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Batman Joker

© Warner Bros.

Batman-Film: Wer zuletzt lacht

Es sind viele Maskierte unterwegs, von Anfang an. Die Guten sehen wie die Bösen aus, die Bösen wie die Guten, die ganze Welt ist Kopie, Karneval, Camouflage. Christopher Nolans "The Dark Knight" und sein faszinierend neuer Blick auf den Batman-Mythos.

Ein Krustengesicht. Die Schminke verschmiert, rissige, clownsweiße Haut, schwarz umrandete Augen, das vernarbte Grinsen, der Mund eine offene Wunde. Bröselnde Farbe, Schweiß, fettiges Haar: Dieses Gesicht ist eine Ruine, verlottert wie die Welt, die es verlacht. Keine Maske, eine Fratze. Kein Clown, ein Dämon, ein Freak. Weißt du, woher mein Grinsen kommt? Joker hält seinem Opfer das Messer an den Mundwinkel. Ein Persönlichkeitsspalter, ein Schlitzer.

Es sind viele Maskierte unterwegs, von Anfang an. Bankräuber-Clowns, Gangster-Clowns, Killer-Clowns und ganze Batman-Banden. Es wimmelt nur so von Doppelgängern, Wiedergängern, von bedeckten, entstellten, verzerrten, verschlissenen, versehrten, verbrannten Gesichtern, Plastikgesichtern, Gummigesichtern, Vexiergesichtern. Da ist Two Face mit den zwei Gesichtshälften, rechts Goldjunge, links Totenschädel. Da ist Batman, der den Technik-Master Lucius um eine beweglichere Kappe bittet (was das Rückwärtseinparken erleichtern würde). Da ist auch, kurzer Gastauftritt, das Sackgesicht von Scarecrow.

Die Guten sehen wie die Bösen aus, die Bösen wie die Guten, die ganze Welt ist Kopie, Karneval, Camouflage. Deshalb sehnt sich Gotham City nach einem Retter ohne Maske – so viel zum Plot von „The Dark Knight“ – und hofft auf Harvey Dent (Aaron Eckhart), den neuen Staatsanwalt. Der ist ein strohblonder Strahlemann, sagt dem organisierten Verbrechen den Kampf an und dehnt diesen Kampf gemeinsam mit Batman und Commissioner Gordon sogar bis nach Hongkong aus. Aber ausgerechnet Harvey Dent wird sein Gesicht verlieren, dafür sorgt Heath Ledger als Joker.

Heath Ledger, man weiß es, ist tot, im Januar mit 28 an einer Überdosis von Medikamenten gestorben. Es ist seine letzte Rolle, die amerikanischen Zeitungen schreiben Hymnen, nennen ihn „Hannibal Ledger“ und wünschen ihm einen posthumen Oscar. Sie haben recht, sein Joker ist mindestens so monströs wie Anthony Hopkins’ Kannibale, kein kaltes Blut, sondern ein diabolischer Pyromane. Christopher Nolans zweiter Batman-Film beginnt mit einer Feuersbrunst, einem sekundenkurzen Armageddon-Bild, und steigert sich dann: Anflug auf eine Hochhausfassade, ein Sirren, eine Panik, nein, das hier ist nicht 9/11, oder vielleicht doch, das Fassadenglas birst, Schüsse fallen, Menschen stürzen hinaus. Der Terror ist längst da, er kommt von innen.

Batman alias Bruce Wayne, der dunkle Ritter von Gotham City, ist gar nicht so wichtig diesmal. Ja, Christian Bale macht das gut, wie schon bei „Batman Begins“ von 2005, dieses schizoide Hin und Her zwischen apokalyptischem Reiter und aalglattem Millionärssohn, zwischen Schattenmann und smartem Yuppie. Wie James Bond und Spiderman ist auch Batman ein Superheld in der Krise, der sich nach Normalität sehnt und sich trotz neuer Kampfmaschine (aus dem Batmobil, jener Mischung aus Panzer und Lamborghini, kann er den Batpod ausklinken, ein Turbo-Moped mit meterbreiten Truckreifen) mitunter verletzt. Gleich nach dem ersten Kampf näht er sich selbst wieder zusammen.

Aber wie in Tim Burtons fantastischem „Batman“-Revival von 1989, wo er sich nicht zufällig im Rittersaal zwischen Rüstungen vorstellt, hat er eine Seele aus Blech. Nur ein Mal küsst er Rachel (Maggie Gyllenhaal), seine große Liebe, die er an Harvey Dent verloren hat. Er küsst sie mit der Hand in der Hosentasche. Nein, der Held dieses Films heißt Joker. Heath Ledger leckt sich die schrundigen Lippen, schmatzt, schnalzt, züngelt, redet wie betäubt, kaut die Wörter, verdaut sie, spuckt sie wieder aus, sagt: „Ich bin das Chaos, und das Chaos ist fair.“ Geld ist ihm egal, die ganze Kapitalismuskritik von „Batman Begins“ interessiert ihn kein bisschen.

Er liebt Messer und Dynamit, billige Sachen, er verbrennt ein Dollarbündel-Gebirge, verkabelt seine Widersacher mit Benzinfässern, sprengt ein Krankenhaus in die Luft. Er läuft als Krankenschwestern-Tunte aus der Klinik, krummbeinig und mit dem Zünder in der Hand schlendert er über die Straße, ein Hüpfer und die Detonationen erschüttern die Fassade hinter ihm. Ein paar kleinere Explosionen vorweg, ein Beben, eine Stille, dann stürzt das Krankenhaus in Wellen zusammen, Stockwerk für Stockwerk. Das Trümmerfeld mit den Wasserfontänen der Feuerwehrleute, wer denkt da nicht an Ground Zero.

Nach dem Brand von Wayne Manour im Film von 2005 wohnt Batman im Penthouse. Gotham City (gedreht in Chicago) ist diesmal kein faschistoider NoirSchauplatz, sondern eine blankgeputzte, schockstarre Metropole und zugleich eine Stadt mit aufgerissenen Fassaden, Hochhausskeletten und immer wieder berstendem Glas. Verwundbare, verwundete Zivilisation.

Der Reflex auf 9/11 ist nur eine mögliche Erklärung für den Wahnsinnserfolg von „The Dark Knight“. Der sechste der jüngeren Batman-Filme – nach den Art-Deco-Märchen von Tim Burton, dem Klamauk von Joel Schumacher in den Neunzigern und Nolans Ursprungs-Saga „Batman Begins“ – bricht in den USA alle Rekorde. An diesem Wochenende überflügelt er den ersten „Star Wars“ von 1977 (461 Millionen Dollar) und nimmt Kurs auf Spitzenreiter „Titanic“ (600 Millionen Dollar).

Erneut stellt sich die Comicfigur von 1939, die schon so oft recycelt wurde, den Traumata der Gegenwart. „The Dark Knight“ versammelt Schockbilder der Terrorangst und Terrorbekämpfung, die längst im kollektiven Unbewussten siedeln. Nicht dass der Film deutlich auf sie verweist, sie unterlaufen ihm nur im Actionspektakel (Höhepunkt: der Salto mortale eines 12 Meter langen Lastwagens mitten in der City): einstürzende Neubauten, in die Tiefe fallende Menschen (nicht immer fängt Batman sie auf), und die Häftlinge von Arkham Asylum tragen orangene Guantánamo-Overalls.

„Batman Begins“ erzählte in epischer Breite von der Überwindung der Angst, „The Dark Knight“ handelt davon, wie sie sich überall einnistet und die Moral aushöhlt. Ein kurzatmiger Film, der mit gestochen scharfen, schwindelerregenden Imax-Aufnahmen und Hans Zimmers dröhnendem Soundtrack mitunter hyperventiliert. Wer dem Terror den Krieg erklärt, verbreitet bald selber Angst und Schrecken. „Man stirbt als Held oder man lebt so lange, bis man selbst der Böse wird“, sagt Commissioner Gordon.

Das ist der Kartentrick, mit dem Joker die letzten Reste von Menschlichkeit übertrumpft. Der touch of evil kann jeden ereilen. Zum Beispiel, wenn Joker die Passagiere zweier überfüllter Fähren vor die Alternative stellt: Punkt zwölf fliegen beide in die Luft, es sei denn, die eine schaltet vorher per Fernzünder die andere aus. Die Täter lässt er dann leben. Dass ausgerechnet der bullige schwarze Häftling im Guantánamo-Outfit der Perfidie ein Ende bereitet – auch ein Kommentar zur vertrackten Lage der Nation.

Heath Ledger ist kein simpler bad guy. Er ist Monster, Mephisto und Punk, Marlon Brando und Sid Vicious, ein Tier, eine Naturgewalt, der Horror. War Jack Nicholsons Joker im 1989er-„Batman“ ein Künstler des Todes, so ist Heath Ledger der Gott des Chaos. Bisher waren Batmans Gegner Artisten: Nicholson als Image-Designer und Actionpainter, dessen Visage ein Produkt toxischer Chemie war und der sich mit vergifteten Kosmetika für die e Demütigung rächte. Auch Danny DeVitos Pinguinmann und Michelle Pfeiffers Catwoman in „Batman Returns“ rächten sich virtuos, mit mörderischen Zirkusnummern. Heath Ledger ist nicht Artist, sondern Anarchist.

Sein Joker hat mit Ästhetik so wenig zu tun wie mit Rache. Ständig erfindet er Geschichten, woher seine Fratze stammt. Er kommt aus dem Nichts, er plant nichts, er handelt einfach. Und er hat nur eine einzige Botschaft: Wir alle sind Freaks, wir alle sind Monster der Moral. Ein Selbstmordattentäter, der all die anderen amoralischen Kinokreaturen, die Serienkiller und Amokläufer hinter sich lässt. Er ist der Souverän im Reich des Bösen und verkörpert die Freiheit in einer Absolutheit, die schaudern macht.

Erholen kann man sich davon beim Wiedersehen mit alten Bekannten: Mit der Ikone vom einsamen Fledermausmann hoch über der Stadt, dieser Nachtgestalt der Moderne. Mit der Selbstironie des Superhelden. Mit Michael Caines väterlicher Fürsorge als Butler Alfred, mit Morgan Freemans grundgütigem Lächeln. Und mit Gary Oldmans zerknittertem Polizistenmut.

Aber einer wie Joker, der entzieht sich. Es hat etwas Unbegreifliches, etwas, das jeden Filmverstand, jede Schaulust unterminiert. Am Ende hängt er kopfüber in der Luft. Du kannst es dir nicht leisten, mich fallen zu lassen, sagt er zu Batman. Der Joker ist unsterblich.

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