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Masha (Maria Fedorchenko) in „Stop-Zemlia“

© Oleksandr Roshchyn/Deja-Vu-Film/Verleih

Coming-of-Age-Drama aus der Ukraine: BibizaEine Jugend vor dem Krieg

Kateryna Gornostai erzählt in ihrem Spielfilmdebüt „Stop-Zemlia“ von drei Teenagern am Ende ihrer Schulzeit.

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Die Schultern leicht hochgezogen, der Rücken krumm, der Blick scheu: Die junge Frau wirkt, als würde sie sich am liebsten unsichtbar machen. Masha ist 16 und tut, was man halt so tut mit 16: sich unwohl fühlen im eigenen Körper, mit Freund:innen abhängen und unglücklich in einen Klassenkameraden verliebt sein.


Der Film „Stop-Zemlia“ erzählt eine universelle Geschichte – und auch wieder nicht. Masha wächst in Kiew auf. Wenn man sie so zwischen den Hochhausblöcken hindurchwandeln sieht, flackert schon mal der Gedanke auf: Ob diese Häuser noch stehen? Ob Maria Fedorchenko, die Masha spielt, noch immer in Kiew leben kann? Ob sie unversehrt ist?

So wird das Spielfilmbebüt von Kateryna Gornostai unweigerlich zu einem Stück Zeitgeschichte. 2021 gewann das Coming-of-Age-Drama den Preis der Jugendjury auf der Berlinale. Im Donbass herrschte damals schon Krieg, auch das thematisiert „Stop-Zemlia“. Als Masha und ihre Klasse im Fach „Verteidigung des Vaterlandes“ das Schießen üben sollen, muss ihr Freund Senia (Arsenii Markov) den Raum verlassen. Zu nah sind noch die Eindrücke aus seiner ost-ukrainischen Heimat. 


In dieser Weise gelingt es Regisseurin Kateryna Gornostai, die auch das Drehbuch geschrieben hat, beiläufig wuchtige Themen in ihren Film einzufädeln. Auch psychische Erkrankungen spielen eine Rolle: Masha selbst war schon in Behandlung, ihre Freundin Yana (Yana Isaienko) droht gerade in eine Depression abzurutschen.

Masha, Yana und Senia formen eine Allianz abseits des coolen Kerns der Klasse. Gornostai zeigt das als wunderbar klischeefreie Freundschaftsbeziehung: Die drei geben einander Halt, schlafen schon mal im selben Bett und erzählen sich beinahe alles. Nur, dass Senia in Masha verliebt ist, behält er lieber für sich.

Diese Konstellation – Freund liebt Freundin, die sich nach einem anderen sehnt – ist in Jugendfilmen oft Ausgangspunkt für katastrophale Wendungen. In „Stop-Zemlia“ jedoch (benannt nach einem Kinderspiel namens „Halt’ die Welt an!“) entwickelt sich alles bewusst unspektakulär. Die ruhig beobachtende Kamera von Oleksandr Roshchyn folgt den Figuren durch ihre Lebenswelt. Sie wagt sich auch mal ganz nah an ihre Gesichter heran oder gar hinein in Mashas Träume. Doch selbst die bleiben zurückhaltend inszeniert.

Masha bildet das Zentrum des Films, dennoch nimmt sich Kateryna Gornostai die Zeit, auch andere Jugendliche in ihrer Umgebung zu porträtieren. Besonders Sasha (Oleksandr Ivanov), Mashas Schwarm. Er wohnt allein mit seiner besitzergreifenden Mutter (Lesia Ostrovska) und weiß nicht recht, was er mit seinem Leben anfangen wird. Schon gar nicht, wie er mit Mashas Zuneigung umgehen soll.

Man merkt „Stop-Zemlia“ an, dass die Regisseurin aus dem Dokumentarfilm kommt. Sie erreicht einen Grad an Glaubwürdigkeit, dass man sich fragt, wie viel vom Gezeigten überhaupt gescriptet ist. Gornostai spielt mit diesem Effekt, indem sie die Handlung immer wieder für Interviewpassagen mit dem Cast unterbricht. Die Darsteller:innen beantworten die Fragen der Regisseurin, Jahrgang 1989, mit verblüffender Offenheit. Bald ist nicht mehr klar: Sprechen gerade die Figuren oder doch schon die Spielenden?

Die Jugendlichen im Film sind Laien. Gornostai hat sie in einem zweimonatigen Auswahlprozess gefunden. Anschließend ließ sie alle für neun Wochen einen Workshop durchlaufen. Weniger, damit sie lernen, wie man spielt. Vielmehr sollte eine Vertrautheit zwischen den Teenager:innen entstehen. Die spürt man in „Stop-Zemlia“ zu jedem Zeitpunkt. 

Der Film fühlt sich an, als würde man durch ein geöffnetes Fenster hineinschauen in den Alltag von ganz normalen Jugendlichen, wie sie in vielen Ecken der Welt zu Hause sein könnten. Eine historische Momentaufnahme aus einem Land, in dem seither nichts mehr normal ist.

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