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Farin Urlaub im Football-Dress.

© Olaf Heine

Farin Urlaub über neues Album "Faszination Weltraum": „Da geht's um Tod! Uiuiui!“

Farin Urlaub, der eigentlich Jan Vetter heißt, braucht keine Verzweiflung um Musik zu machen. Im Interview sprach der Sänger der Punkband Die Ärzte über Songtexte, gute Laune und sein neues Album "Faszination Weltraum".

Herr Urlaub, warum stopfen Sie eigentlich immer so viel Text in jede Songzeile? Sind Sie heimlich Rap-Fan?
Ich hab eben etwas zu sagen! Relevante Dinge. Nein, rappen will und kann ich nicht. Ich weiß, an Rap wird heute textmäßig alles gemessen, in den Siebzigern hätte auch ein Dreizeiler gereicht, den man immer wiederholt. Aber ich mache lieber Rockmusik und kann da die Zeilenlänge glücklicherweise selbst beeinflussen, damit das alles gerade so reinpasst.

Wollten Sie auch mal etwas anderes aus Sprache basteln als Songtexte?
Ja, ganz früher hatte ich richtig Ehrgeiz, ich habe sogar mal ein Buch angefangen, wollte in Richtung „Tristram Shandy“: 100 000 Geschichten in einer, wow! Ich bin ungefähr bis Seite zehn gekommen. Anlässlich der Reise-Fotobücher, die ich seit ein paar Jahren mache, habe ich gemerkt, dass längere Texte eine Quälerei für mich sind. Ich bin für das Dreieinhalbminutenformat gemacht. Außerdem will ich die Leute ja nicht zu sehr zuscheißen. Musik reicht doch wohl.

Neben textlastigem Rock haben Sie auf Ihrem neuen Album „Faszination Weltraum“ eine Menge Backgroundgesang, Streicher, Orchesterarrangements versteckt.
Das merkt doch keiner! Ich höre tatsächlich viel Klassik, als Erstes geht es mir aber immer um die Komposition. Und dann um das Arrangement: „L’été indien“ von Joe Dassin zum Beispiel ist ein unfassbar arrangiertes Stück. Ich habe mir für mein Album gleich eine Trompetenfigur daraus geborgt.

Schreiben Sie die Arrangements für die Nicht-Rockband-Instrumente selbst?
Ja, ich nehme sie auf, und jemand anders übersetzt sie für die Streicher. Ich weiß inzwischen einigermaßen, welchen Tonumfang Streicher und Bläser haben. Das Schreiben dauert zwar bei mir ziemlich lange, macht mir aber viel Spaß.

Beherrschen Sie neben Gitarre und Schlagzeug noch andere Instrumente?
Klavier würde mich reizen, aber andererseits ist das Leben so verdammt kurz. Da lern ich doch lieber Sprachen.

Apropos Lebensqualität: Sie leben ja vorbildlich gesund. Sind Sie fitter als gleichaltrige Rockmusikkollegen?
Nee, und das wäre mir auch egal. Klar höre ich jedem zu, der sich über seinen Zustand beschwert, und gebe ungefragt dufte Tipps. Ich glaube aber, dass es mir so gut geht, hat weniger mit meinem Lebenswandel zu tun, sondern mit meinem Glück beim Körperroulette.
Aber dann bräuchten Sie ja nicht mal gesund zu leben.
Das predige ich auch nicht. Ich mach das nur so, weil mich das andere einfach nicht interessiert.

Ihre Platte klingt wieder sehr gut gelaunt.
Aber das letzte Stück „Immer dabei“ ist doch ganz schön düster! Da geht’s um Tod! Uiuiui!

Also halten Sie nichts von der Theorie, dass man Verzweiflung braucht, um kreativ zu sein?
Nee. Und wenn ich verzweifelt wäre – das war ich tatsächlich auch schon öfter –, würde ich als Letztes daran denken, Musik zu machen. Ich glaube, das ist nur der Wunsch mancher Künstler, zu überhöhen, was sie tun, dem Ganzen eine gewisse Dramatik zu geben. Ich setze mich natürlich auch nicht hin und schreibe auf Bestellung Songs. Meistens entstehen sie aus Ideen, die ich vorher gesammelt habe. Bei der Weiterarbeit kommt die Inspiration für etwas Neues.

"Umberto Eco würde ich gern mal treffen."

In einem Song singen Sie: „Fast Mitternacht – ich schlafe noch lange nicht ein“ – gehen Sie so früh ins Bett oder richtet sich das an Schulkinder?
Ich gehe wirklich so früh ins Bett! „Fast vier Uhr morgens“ singt sich außerdem schlechter. Und übrigens heißt es: „Ich schlafe noch lange nicht ein“, es könnte sich also auch bis halb eins hinziehen! Sodom und Gomorrha!

Können Sie verstehen, dass Fans aufgrund Ihrer Texte denken, sie kennen Sie?
Ja, aber ich habe die Kunstfigur Farin Urlaub davorgeschaltet. Das hilft mir tatsächlich. Jan schreibt keine Texte, Farin tut das.

In „3000“ geht es um Burn-out – sind Sie davon betroffen?
Nein, gar nicht. Aber in meinem Freundes- und Bekanntenkreis fallen die Leute um wie die Fliegen. Der Auslöser für diesen Song war diese ständige Erreichbarkeit, die Angewohnheit, das Handy nicht mal nachts auszuschalten. Bei mir entwickeln sich Songs meistens ohnehin nicht aus einem Thema, über das ich etwas schreibe, sondern aus einer Zeile, der ich dann einen Sinn zulüge. Bei diesem Song war das „Alle fragen sich: Wie kann ich noch schöner werden, aber keiner fragt sich: Für wen?“. Das fand ich zeitgemäß. Der Text hat mich dann an die Hand genommen und weitergeleitet.

Können Sie mit emotionalen und politischen Texten wie beispielsweise von Ton Steine Scherben etwas anfangen?
Ja, die mag ich auch sehr. Ich könnte so etwas aber nicht machen. Den alten Die-Ärzte-Song „Opfer“, in dem es heißt „Ich bin nur ein Opfer des Kapitalismus“, habe ich tatsächlich mal als Reaktion auf ein Interview geschrieben, das ich gelesen hatte. Ich war so empört und sauer, dass ich mich das erste Mal in meinem Leben direkt danach hingesetzt und einen Text geschrieben habe. Aber das ist wirklich selten.

Gibt es einen Musiker, mit dem Sie gern in einer Band spielen würdest?
Nö. Die mit denen ich spielen möchte, mit denen spiele ich schon in einer Band! Und die Bands, von denen ich großer Fan bin, schaue ich mir lieber als solcher an.

Gibt es niemanden, den Sie gern mal kennenlernen würden – lebend oder tot?
Ich würde mich wirklich gern mal mit Umberto Eco unterhalten. Und es gibt ein historisches Ereignis, bei dem ich gern dabei gewesen wäre: Als Katsushika Hokusai die „36 Ansichten des Berges Fuji“ gemacht hat. Darin steckt so viel grafisches Genie, ich möchte wissen, was ihn dabei inspiriert hat.

Welches Buch lesen Sie gerade?
Mehrere: Die neue, großartige Übersetzung von Herodot, in der er wie ein Schoolbuddy rüberkommt. Außerdem lese ich ein Buch über Hirnforschung und eins über Gesang, das „The Singing Neanderthals“ heißt. Eins über die Päpste habe ich gerade durch, und ich versuche, alles von Faulkner zu lesen.

Mehr nicht?
Ich habe eben viele Interessen!

Das Gespräch führte Jenni Zylka.

Farin Urlaub Racing Team: „Faszination Weltraum“ erscheint bei Völker Hört die Tonträger/Universal. Konzert: 18.10., C-Halle

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