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Monsterschach. Ingo Hülsmann bleibt als Oberbefehlshaber ziemlich allein auf weiter Flur.

© Paul Zinken/dpa

Michael Thalheimer inszeniert "Wallenstein" an der Schaubühne: Daheim in Pappenheim

Michael Thalheimer stemmt an der Schaubühne Schillers „Wallenstein“ - mit Darstellern, die wie Schachfiguren zur Rampe drängen.

Nebel im Zuschauerraum – oder soll das Pulverdampf sein? Wummernder Soundtrack wie in einem Weltuntergangsfilm, tiefe Basstöne. Fahles Licht. Erinnerungen an die Orgien von La Fura dels Baus: Gestalten drängen sich um einen aufgeschnittenen Pferdekadaver, der von der Decke hängt. Es ist Krieg, und der erste Eindruck täuscht nicht: In den kommenden drei Stunden – ohne Pause – wird es keinen Moment des Atemholens, der Entspannung geben. Power der Negativität.

Friedrich Schillers „Wallenstein“ zeigt ja keine Schlachtszenen. Das Riesenwerk malt mit breitem Pinsel das Psychogramm des Feldherrn aus dem Dreißigjährigen Krieg, in dem man Napoleon erkennen kann und Schillers bittere Abkehr von der revolutionären Idee, hin zu einem Nihilismus mit immer noch idealistischen Zügen. Oder ist das hier Adolf Nazi, wie er zusammengesunken im Führerbunker hockt, im Halbdunkel, und ein Regiment nach dem anderen fällt ab?

Endkampf am Lehniner Platz. Michael Thalheimer stellt einen Großklassiker auf die Schaubühne. Sein Team kennt man von vielen Schlachtfeldern. Die Unheilsklänge stammen von Bert Wrede, den Metallkäfig mit der blutigen Schlachtrosshälfte hat Olaf Altmann entworfen. Und Ingo Hülsmann hat den Wallenstein verschlungen, die Rolle liegt schwer im Raubtiermagen. Imposant auch im Sitzen, ein Herrenmensch, rettungslos von sich eingenommen, zu besiegen nur durch Wallenstein. Wer sich nicht schnell aus dem Staub macht, kommt um in dieser Gruft.

Der Grundton der Inszenierung: Geschrei, ausgespuckter Text

Doch erst einmal ein Blick auf die Frauen in Thalheimers Männerwelt: Sie haben ein Haarproblem. Entweder steht ihnen die Frisur zu Berge oder etwas ist schiefgegangen beim Färben. Irre starren sie ins Nichts. Marie Burchard als Wallensteins Gattin zeigt die Katastrophe lange an, bevor diese eintritt. Tochter Thekla – Alina Stiegler – trotzt und leidet kurz, der große Monolog bleibt ihr versagt. Und Gräfin Terzky – Regine Zimmermann – zieht sich für jeden Auftritt schick um, bloß wird das hier keine Party mehr, sondern ein vorgezogener Leichenschmaus (Kostüme: Nehle Balkhausen). Die Terzky bringt schrille Intermezzi und einen Rest von Adel und Hochmut, woran man die Fallhöhe der Wallensteins erkennen kann. Doch auch sie muss zurück ins Zombie-Glied – nicht ohne blutigst ihren Abschied zu nehmen.

Was wollte dieser Wallenstein? Ingo Hülsmann stemmt den Weltbeherrscher. So einer muss stürzen wie ein römischer Tyrann. Aber muss er auch brüllen aus Leibeskräften, immerzu? Das ist der Grundton der Inszenierung: Geschrei, ausgespuckter Text. Zu verstehen sind meist nur die Satzanfänge und die Enden. Dazwischen: sowieso egal. Gestrichen. „Wallensteins Lager“ erledigt Thalheimer pantomimisch, komplett braucht das auch keiner. Und im Grunde läuft es dann auf „Wallensteins Tod“ hinaus, das Schlussstück der Trilogie.

Zehn Stunden dauerte Peters Steins „Wallenstein“ 2007 auf einem Neuköllner Brauereigelände mit Klaus Maria Brandauer. Nach Thalheimers Gewalttour wünscht man sich Steins Aufsage- und Historientheater nicht zurück. Eines aber doch: Es gab bei Steins „Wallenstein“ nicht nur den einen, den Chef. Er hatte Mit- und Gegenspieler, den wunderbaren Jürgen Holtz vor allem. Ingo Hülsmann hat nur sich selbst. Kaum dass er die anderen wahrnimmt. Thalheimer fixiert sich komplett auf den Giganten. Nicht einmal Wallensteins leidenschaftliches Spiel mit der Astrologie, sein Zocken mit den Botschaften der Sterne, bekommt nennenswerten Raum. Nur Größenwahn, Machtgier, Irrsinn. Nibelungenstimmung.

Was heute Syiren ist, warum um 1630 die deutschen Lande

Hülsmanns Physis, seine Dauerpräsenz können beeindrucken. Aber ihm fehlt, wie Lars Eidingers Richard III. am gleichen Ort, ein Gegenüber. Der junge und sehr brave Max Piccolomini – Laurenz Laufenberg – hat nicht mal eine rhetorische Chance. Und das macht’s monolithisch, langweilig, leer. Drei Stunden Agonie in Schillers Sentenzen-Hölle, da ist man dankbar für Einlagen unfreiwilliger Komik. Wenn es heißt: „Daran erkenn’ ich meine Pappenheimer ...“

Daran erkenne ich auch meine Thalheimer: Schauspieler-Schachfiguren mit Drang zur Rampe, mehr Statik als Bewegung. Worte werden herausgepresst wie im peinlichen Verhör. Lehrreich wäre Schiller mit seiner Darstellung Europas als Spielball von Warlords und dem Missbrauch der Religion. Was heute Syrien ist, waren um 1630 die deutschen Lande. Im „Wallenstein“ steckt sehr viel mehr als ein Monster, das seinen letzten Gruß entbietet.

Wieder am 9. 5. sowie vom 10. bis 12. 6.

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