
Jüdische Musik in Berlin: Damit die Erinnerung weiterlebt
Nur Ben Shaloms "Lebensmelodien" und ein Abend mit David Geringas: zwei Berliner Konzerte mit Werken jüdischer Komponisten als Streaming-Angebote.
Die „Jüdischen Kulturtage Berlin“, die in der ersten Novemberhälfte stattfinden sollten, mussten wegen des erneuten Kultur-Lockdowns kurzfristig und komplett abgesagt werden. Immerhin als Streaming-Angebote aber können zwei andere Projekte zum Thema nun die Öffentlichkeit erreichen: Die vom Usedomer Musikfestival veranstalteten „3. Internationalen Tage Jüdischer Musik“ finden in diesen Tagen an vier verschiedenen Orten in Deutschland statt. Bei diesem Auftakt zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ wird zwar vor leeren Zuschauerreihen musiziert, die Konzerte lassen sich aber live im Internet erleben.
Nach Stationen in Köln, Würzburg und im mecklenburgischen Stavenhagen treten am Samstag zum Abschluss der Cellist David Geringas und der Pianist Jascha Nemtsov in der Neuen Synagoge Berlin an der Oranienburger Straße auf. Ausgewählt haben sie unter anderem Max Bruchs berühmtes „Kol Nidrei“, Werke von Walter Braunfels und Mieczyslaw Weinberg sowie, als postume Uraufführung, das „Poème“ des 1957 verstorbenen litauischen Komponisten Grigory Krein. Zu sehen ist der Abend ab 19 Uhr live auf dem Youtube-Kanal der „Internationalen Tage für Jüdische Musik“.
Das "Lebensmelodien"-Projekt ist auf zwei Jahre angelegt
Ebenfalls ohne Publikum musste der Start von Nur Ben Shaloms Projekt „Lebensmelodien“ am 8. November in der Schöneberger Apostel-Paulus-Kirche stattfinden. Aber der RBB war dabei und hat das Konzert aufgezeichnet. Auf der Website des Senders ist der Beitrag etwas versteckt, wer www.rbb-online.de/fernsehen/beitrag/lebensmelodien.html eingibt, wird aber fündig.
Der Klarinettist Nur Ben Shalom kam vor zwölf Jahren aus Tel Aviv zum Studium nach Berlin – und blieb. Mit seinem Nimrod Ensemble will er jetzt Stücke wiederentdecken, die „zwischen 1933 und 1945 gespielt, gesungen oder komponiert worden sind“, wie er im Gespräch mit dem Tagesspiegel erzählt.
Auf die Idee brachte ihn ein Zeitungsartikel über die Freunde Shmuel Blasz und Shmuel Lazarovich, die zusammen in einem ungarischen Arbeitslager interniert waren. Bevor er nach Auschwitz deportiert wurde, notierte der Musiker Blasz seine Kompositionen auf einem Stück Papier, das Lazarovich, der den Holocaust überlebte, dann dem Nationalarchiv in Israel zukommen ließ.
Udo Samel war beim Auftaktkonzert dabei
Dort hat Nur Ben Shalom die Noten bei seinen Recherchen entdeckt. Mehr als 300 Werke von rund 50 Komponisten konnte er mittlerweile zusammengetragen. In der auf zwei Jahre angelegten „Lebensmelodien“-Konzertreihe will er sie mit seinem Nimrod Ensembles aufführen.
Zehn Stücke erklangen beim Auftakt in Schöneberg, der Schauspieler Udo Samel las die dazu passenden Lebensgeschichten. Sobald die Pandemie überstanden ist, will Nur Ben Shalom dann auch vor Live-Publikum an die jüdischen Menschen und ihre Musik erinnern. Und er hofft darauf, dass die Melodien ein neues, zweites Leben entfalten mögen: „Vielleicht denken einige Zuhörer: Diese Stücke würde ich gerne in meiner Klasse unterrichten“, sagt er „Oder sie möchten sie ihren Kindern zu Hause vorspielen und die Geschichte der Menschen dahinter erzählen.“ Darum plant Nur Ben Shalom, die Lebensmelodien in einfachen Arrangements als Notensammlung zu veröffentlichen.