
© Dick Zimmermann
Chick Corea live in Berlin: Porträts nach Noten
Spontane Duette und Experimente mit den Konzertbesuchern: Der legendäre Jazz-Pianist Chick Corea gibt sich in der Schöneberger Apostel-Paulus-Kirche publikumsnah.
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Wie beendet man ein Konzert mit Stil? Zuerst das Publikum entlang der Sitzreihen aufteilen. Fünf Gruppen, ganz klassisch: Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Bass. Dann tief Luft holen und das Handzeichen geben – jetzt bitte den H-Dur-Akkord anstimmen! Plötzlich füllen 400 Konzertbesucher den neogotischen Backsteinbau mit einem vibrierenden Klangschwall. Daa, daaa, daaaa, daaaaa, daaaaaaaaaa! Es hallt für einen Augenblick, dann ist es vorbei. Ein sichtlich erheiterter Chick Corea trippelt von der Bühne.
Zuvor stehen er und sein Instrument ganz allein im Mittelpunkt. Der 76-jährige Pianist, durch seine Zeit mit Miles Davis und als Begründer der Fusion-Band Return to Forever längst eine Jazzlegende, ist am Samstagabend zu Gast in der Schöneberger Apostel-Paulus-Kirche. Die Holzbänke sind dicht besetzt, viele stehen in den Gängen. Zu Beginn bekennt sich Corea zu Bill Evans, Antonio Carlos Jobim und Thelonious Monk, verschmilzt „Waltz for Debby“ und „Desafinado“ mit träumerischen Improvisationspassagen.
Doch seine mit technischen Finessen gespickten Interpretationen wirken allzu routiniert. Dann eine kurze Verschnaufpause vor dem zweiten Set (O-Ton Corea: „Hier in der Kirche gibt es gar keinen Backstage, ich spiele also lieber weiter“). Und jetzt taut die Stimmung auf. Ein „Experiment“ nennt er, was jetzt folgt. Nacheinander holt er Neugierige auf die Bühne, die er in kurzen Improvisationen porträtieren will. Chick Corea schafft es, mit den mutigen Versuchspersonen eine Intimität herzustellen. Er spielt nicht nur, sondern befragt die Handvoll Menschen, die ihm nacheinander gegenübersitzen, mit skizzenhaften Harmonien und Linien. In ihren Gesichtern steht die Spannung, das Entzücken über die Offenheit des Meisters.
Pianisten aus dem Publikum kommen zum Zug
Dann begibt sich Corea auf noch dünneres Eis: Ob denn Pianisten anwesend sind, möchte er wissen. Prompt findet sich die erste Musikerin, die ein vierhändiges Duett mit Corea erleben darf. Zuerst zögern sie etwas, dann werfen sie und Corea sich die Bälle gegenseitig zu. Mit Witz beantworten sie die Phrasen des anderen, greifen auch mal daneben, was zu Lachern im Publikum führt. Die Anwesenden sind begeistert. „Das ist das Schöne an frei improvisierter Musik“, sagt Corea nach drei solchen Spontanduetten. Und dann sind die zwei Stunden auch schon vorbei, Corea geht unter polterndem Beifall von der Bühne. Um dann noch einmal für seinen Klassiker „Spain“, die Corea-Hymne schlechthin, zu erscheinen.
Ken Münster
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