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Erzählt von Liebesabstürzen. Die 1975 geborene Leipziger Schriftstellerin Daniela Krien.

© Maurice Haas /Diogenes Verlag

Daniela Kriens Roman „Die Liebe im Ernstfall“: Das Glück ist anderswo

Fünf Protagonistinnen, fünf Paare in der Dauerkrise: Daniela Krien feiert in ihrem Roman „Die Liebe im Ernstfall“ das Matriarchat.

Paula und Ludger scheinen ein glückliches Paar zu sein. Sie arbeitet in einer Buchhandlung, er ist ein aufstrebender Architekt. Sie schmieden Pläne, beziehen eine Loftwohnung, die ihr längst nicht so gut gefällt wie ihm. Paula mag im Liebesglück über solche Differenzen hinwegsehen, auch wenn ihr Ludgers rhetorische Dominanz und seine missionarisch vorgetragenen Weltverbesserungsideen bald auf die Nerven gehen. Immerhin, der Sex ist erfüllend, und nach der Hochzeit bringt Paula zwei Kinder auf die Welt. Mal knirscht es, mal knistert es in dieser Ehe. Vielleicht hätte sie gehalten. Aber leider wird diese Liebe auf schlimme Weise geprüft.

Johanna, das jüngste Kind, stirbt kurz nach einer Impfung. Plötzlicher Kindstod, sagen die Ärzte und sehen keinen Zusammenhang mit der Injektion. Ludger allerdings geriert sich nachträglich als Impfgegner und macht Paula für Johannas Tod verantwortlich. Die Liebe schlägt in Hass um, Paula und Ludger haben – wie alle anderen Paare in Daniela Kriens Roman „Die Liebe im Ernstfall“ – das Gefühl der Zusammengehörigkeit nicht durch die Krise bringen können. Die fünf Teile des Romans tragen jeweils die Namen ihrer Protagonistinnen, und dabei sind alle Lebenswege miteinander verbunden. Auf Paula folgt die Ärztin Judith, die eine Affäre mit dem verheirateten Hans hat und viel auf Dating-Plattformen unterwegs ist. Bei Judith wohnte Paula zur Untermiete, bevor sie Ludger kennengelernt hatte. Sie sind seit Schulzeiten befreundet, und nach Johannas Tod war Judith eine wichtige Stütze für Paula. Beide ergänzen sich gerade in ihrer Unterschiedlichkeit gut. Was im heterosexuellen Verbund selten klappt, scheint ein Vorteil in Frauen-Freundschaften zu sein.

Fassungslos vor der Großzügigkeit der Frauen

Judith sehnt sich nicht nach einer lebenslang haltenden romantischen Beziehung. Kaum ein Typ genügt ihren Ansprüchen. „Manchmal steht sie fassungslos vor der Großzügigkeit anderer Frauen. Wie mild sie urteilen, wie sanft sie sich ihren Männern zuwenden, wie großherzig sie deren Schwächen hinnehmen und übersehen." Judiths Ernstfall ist dann ein älterer, stilvoller Mann namens Gregor, dem die Rolle des Teilzeit-Lovers nicht reicht: „Ficken und Kultur, fuhr Gregor fort, sei nicht das, wonach er sich sehne.“

Judith hat noch eine zweite Freundin, nämlich die Schriftstellerin Brida. Die erobert den attraktiven Tischler Götz, obwohl der mit Malika zusammen ist, bekommt zwei Kinder mit ihm, um sich dann wieder von ihm zu trennen. Was wie eine parallel gebaute Geschichte zu Paulas und Ludgers Ehedrama wirkt, hält dennoch eine andere Verwicklung bereit: Brida und Götz verheddern sich nicht nur im Alltag mit den Kindern, kämpfen um Zeitbudgets im Familienkalender, der begehrte Mann findet mit Svenja leider auch eine neue Liebhaberin. Nun schließt sich der Kreis. Brida erlebt wie ihre Vorgängerin heftige Eifersuchtsattacken, kann sich weder endgültig von Götz trennen noch von ihm lassen, schläft weiter mit dem Gatten, obwohl der sich auf Svenja eingelassen hat.

Von einer Frauenperspektive zur nächsten

Die 1975 geborene Daniela Krien legt mit „Die Liebe im Ernstfall“ eindringliche Charakterstudien vor. Sie zeigt ein analytisches Gespür für die grausamen Brüche im Leben der Menschen, die entstehen, wenn Liebesbeziehungen zu Ende gehen, neue Paare sich finden und die Übergänge sich hinziehen. Wie in der wahren Liebe immer auch ein Stück Egoismus steckt, lässt sich vor allem an Bridas Geschichte ablesen. Als sie den wankelmütigen Adonis mit der ihr eigenen Mischung aus aggressivem Charme und emotionaler Schläue aus der Beziehung mit Malika zog, plagte sie kein schlechtes Gewissen. Ein paar Jahre und zwei Kinder später erinnert sie ausgerechnet der treulose Mann an ihre verwegene, ja: rücksichtslose Vergangenheit. Brida wird über ihr Leid ein Buch schreiben, und es ist eine bittere Pointe, dass Malika in Bridas Romanen nach Spuren des Verflossenen sucht. Beide trauern sie einem Mann hinterher, der sie sitzengelassen und ihre emotionale Welt nachhaltig beschädigt hat. Malika wird sich, wie Krien in dem ihr gewidmeten Kapitel anschaulich beschreibt, nie mehr auf das Wagnis einer bedingungslosen Liebe einlassen.

Wie Daniela Krien von einer Frauenperspektive zur nächsten überleitet, wie sie die Geschichten ihrer starkschwachen Charaktere fast zärtlich verbindet, selbst wenn sie spinnefeind sind, wie sie den liebenden und leidenden Frauen einen eigenen Schutzraum der Erzählung gibt, wie diese Lebensentwürfe und Lebenslügen durch die Blickwinkel der Freundinnen und Konkurrentinnen jeweils in ein anderes Licht gerückt werden, all dies ist dramaturgisch sehr gelungen. Der Erzählton indes bleibt in jedem Kapitel ähnlich. Die oft kurzen Sätze sind von Lakonie und Schärfe geprägt, manchmal werden sie beschwörend und sinnenstark, vor allem wenn Kriens strauchelnde Heldinnen im inneren Monolog ihre enttäuschten Gefühle ausbreiten.

Die Konzeption des Romans verlangt es, dass die Sicht der Männer nur eine marginale Rolle spielt. In der Welt von Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinda als fünfte im Frauenbunde kommen die Typen naturgemäß schlecht weg. Sie sind Besserwisser, Fremdgeher oder cholerische Kindsköpfe, deren Schuld es ist, dass die Verletzungen der Erwachsenen auch auf die nächste Generation übergehen. Was nicht heißt, dass die Frauen schuldlos wären. Aber dass es um die Geschlechterverhältnisse so schlecht bestellt ist, liegt in Kriens provokativem Roman vor allem daran, dass die Männer keine Vorstellung von einer verantwortungsbewussten Männlichkeit haben.

Auf der Suche nach neuen Wegen zum Glück

Männer und Frauen, so lässt sich aus Kriens Eheschicksalen herauslesen, können unter den gegebenen Ungerechtigkeiten, in den aktuellen emotionalen und ökonomischen Machtverhältnissen nicht zusammenleben. So groß die Liebe, so schwach die Bindung im Ernstfall. Der Alltag wird erst erträglich, wenn die Frauen unter sich bleiben, eine WG aufmachen und die Kinder ohne die Männer aufziehen. Was auch immer von dieser Zeitdiagnose und dem bisweilen augenzwinkernden Lobgesang auf das Matriarchat zu halten ist: Dieser Roman liegt erfrischend quer zur zeitgenössischen Beziehungsprosa, die sich oft in raunender Ratlosigkeit verliert. Daniela Krien verortet überdies die emotionalen Dissonanzen auch im politischen Diskurs. Manches Frau-Mann-Drama entpuppt sich als Ost-West-Problem. So stark aber die Liebesabstürze erzählt werden, so schwach sind die eindimensionalen politischen Zuschreibungen, die leider altbekannte Muster abrufen. Der Westen steht für eine Konsumwelt, der Osten für eine Idee des Zusammenhalts, die Westmänner nerven mit Geldfixierung und Schlaumeierei, die Ostfrauen vertreten die wahre Leidenschaft. Ärgerlich werden die politischen Klischees, wenn es heißt, dass „die Medien über Ostdeutschland herfielen“. Bei derlei Formulierungen ist nie ganz klar, wer hier spricht: die Protagonistin oder die Autorin? Doch auch in der Rollenprosa sollte das unpräzise Gerede von „den Medien“ nicht unwidersprochen stehenbleiben, scheint es doch die viel unappetitlichere Beschimpfung von der angeblichen „Lügenpresse“ zu beinhalten.

Vielleicht gehören die politischen Schmerzen aber auch untrennbar zu den seelischen Qualen von Kriens Figuren. „Die Liebe im Ernstfall“ jedenfalls berichtet eindrücklich von Frauen, die nach dem Scheitern klassischer Beziehungsmodelle nach neuen Wegen zum Glück suchen. Aber der Wille, es trotzdem zu schaffen, es nach dem Bruch mit dem Partner noch mal und zwar ganz anders zu versuchen, ist weder eine im Osten Deutschlands vermehrt anzutreffende Eigenschaft noch typisch westdeutsch, weder weiblich noch männlich, sondern eine menschliche Fähigkeit, die Daniela Krien in ihrem insgesamt lesenswerten Roman zu feiern weiß.

Daniela Krien:  Die Liebe im Ernstfall. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2019. 288 Seiten, 22 €.

Carsten Otte

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