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Kultur: Das Ende der Weltprovinz

Anfang des Museumssterbens: Weimars Stadtmuseum schließt

Wenn das keine Abstimmung mit den Füßen war: Zur „Langen Museumsnacht“ im Mai kamen fast so viele Besucher ins Weimarer Stadtmuseum wie in das Goethehaus. Teils dürfte sie Neugier, teils Solidarität getrieben haben. Knapp drei Wochen zuvor hatten Weimars Stadträte die Schließung der 100-jährigen Sammlung zum 1. Oktober beschlossen. Den zwölf Museumsmitarbeitern war schon Ende Februar gekündigt worden. Seither wird gegen den kulturpolitischen Schildbürgerstreich protestiert. Museumsdirektor Rüdiger Wiese und seine Mitarbeiter sammelten 10000 Unterschriften, 8000 weitere kamen landesweit dazu. Intellektuelle wie der Lyriker und Weimar-Preisträger Wulf Kirsten oder der Architekt Peter Mittmann zweifelten öffentlich an der Kompetenz, zumindest aber an der Redlichkeit von Oberbürgermeister Volkhardt Germer. Mehrere der Entlassenen klagen. Der ideelle Schaden ist ohnehin irreparabel.

Was bringt die Kulturstadt Europas von 1999 dazu, sich ihres kulturellen Gedächtnisses zu entledigen? Die Rahmenbedingungen machen ratlos: Weimar ist mit 103 Millionen Euro verschuldet. Der Verwaltungshaushalt für 2003 weist selbst nach drastischen Kürzungen ein Defizit von 1,8 Millionen Euro auf. Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat ihn deshalb bis heute nicht genehmigt. Deutsches Nationaltheater und Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen finanziert die überforderte Klassikerkleinstadt anteilig: mit zusammen immerhin rund 5,5 Millionen Euro. Hätte man sich dort bedient, wären Komplementärmittel von Land und Bund verloren gegangen. Die 730000 Euro des Stadtmuseums sind der einzige größere Posten im Kulturbereich, der ungestraft gekappt werden kann. Freilich müssen auch im nächsten Jahr 140000 Euro für den Notbetrieb bereitgestellt werden. Zwei Museumsgebäude und ein Außendepot wollen stabil klimatisiert, rund 60000 Sammlungsobjekte weiter bewacht sein.

Stadtmuseen genießen keinen guten Ruf. Doch Weimar gehört eben gerade nicht in die Kategorie eingestaubter Heimatstuben. Erst 1999 konnte das Wohnhaus des schriftstellernden Frühkapitalisten Friedrich Justin Bertuch nach aufwendiger Sanierung wiedereröffnet werden – einschließlich der neuen Dauerausstellung „Poetische Weltprovinz“. Nomen est omen: Weimar besaß plötzlich eines der schönsten und instruktivsten kulturhistorischen Museen Deutschlands. Die Geschichte der Weimarer Republik etwa lässt sich nur dort nachvollziehen. Weimarer Geist und Ungeist umfasste stets mehr als die Summe aus Goethe und Schiller.

Die Besucherzahlen stiegen – gegen den Weimarer Trend. Im vergangenen Jahr kamen rund 10000 Besucher mehr als 2001. Im Oktober 2002 konnte auch das Deutsche Bienenmuseum Oberweimar nach einer Sanierung neu eröffnet werden. Wie Bertuchhaus, Kunsthalle und Stadtarchiv gehörte es zum nun zerschlagenen kommunalen Museumsverbund und soll künftig durch einen privaten Trägerverein bewirtschaftet werden. Privatisierung scheint in der Weimarer Museumsmalaise zum letzten Prinzip Hoffnung zu werden. Aus der Gruppe des Museumsfreundeskreises und anderer „Weimarer Kulturbürger“ soll, so hofft Stadtkulturdirektor Felix Leibrock, auch eine Betreiberinitiative für das Mutterhaus erwachsen. Walter Steiner, der sich als ehemaliger Museumsdirektor weiter für „sein“ Haus engagiert, korrigiert: Zunächst ginge es lediglich darum, das Bertuchhaus durch Vorträge und gelegentliche Führungen „in der Erinnerung der Öffentlichkeit zu halten. Wenn wir mehr wollen, dann brauchen wir das ganz klare finanzielle Bekenntnis der Stadt.“ Mit ehrenamtlichem Engagement, da sind sich selbst Enthusiasten wie Steiner sicher, erhält man kein Museum dieser Größe und Bedeutung.

Unter Museumsprofis umstritten bleibt die Frage, ob Weimar Schule machen wird. Hans-Peter Jakobson, Chef des Thüringer Landesmuseumsverbandes, fallen einige Bürgermeister ein, die nur darauf warten, dass sich die dortige public-private partnership bewährt, um sie bei sich zu kopieren. Michael Eissenhauer, der Vorsitzende des Deutschen Museumsbundes, warnt hingegen vor allzu viel „Alarmismus“. Ihm sei kein vergleichbarer Fall bekannt. In einem sind sich jedoch alle einig. Sparpolitik, wie derzeit in Weimar betrieben, ist zum Lotteriespiel mit ungewissem Ausgang verkommen. Verloren haben jetzt schon alle.

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