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Thurston Moore

© Vera Marmello

A L'Arme Festival im Berghain: Das Glück des Zerberstens

Singende Sägen und ein Gitarrenduell im Berghain: Thurston Moore und Caspar Brötzmann eröffnen das A L’Arme Festival.

O. k., für einen anständigen Ohrmuscheltest könnte man auch zum Nachwuchswettbewerb „Metal Battle“ nach Wacken fahren. Wenn sich aber zwei gestandene Gitarristen, die für ihre gnadenlose Lautstärke und kompromisslose Spielweise bekannt sind, zum „Duel of the Giants“ treffen, geht man selbstredend hin. Dabei können Gitarrenduelle echt grausam sein. Das weiß man spätestens, seit der sportive Alleskönner Steve Vai als Gitarrist des Teufels im Film „Crossroads“ 1986 im Einsatz war und dabei gleich beide Gitarrenparts einspielte!

Umgekehrt gibt es freilich auch sehr schöne Duelle, Momente der Entfesselung, bei denen sich die Protagonisten gegenseitig zur Höchstleistung anspornen. Man denke nur an die Anfänge mit Les Paul und Mary Ford, Neil Youngs hitziges Geheule mit Crazy Horse oder die teuflischen Wechselspiele von Kerry King und Jeff Hannemann bei Slayer. Oder an Sonic Youth, bei denen Lee Ranaldo und Thurston Moore die Rockmusik immer wieder mit ihrem munteren Geschrabbel an ihre Grenzen führten. Auch nach der Auflösung der Band ist das für den inzwischen nach London umgezogenen Moore noch maßgeblich, der neben seiner Tätigkeit als Frontmann immer in Noise- und Free- Jazz-Kreisen verkehrte, um seine „Fire- Music“-Obsessionen auszuleben.

Zwei schlaksige Haudegen

Kein Wunder, dass er irgendwann auf Caspar Brötzmann treffen musste, den Sohn des legendären Free-Jazz-Saxofon- Berserkers Peter Brötzmann, der mit seiner Berliner Band Massaker eine eigene brachiale Sprache entwickelt hat. Nachdem die beiden bereits vor drei Jahren im Londoner Cafe Oto die Klingen kreuzten, gibt es nun beim fünften A L’Arme! Festival eine Fortsetzung ihres Radauwettstreits, der einen Haufen Leute ins Berghain gelockt hat, bevor beide Musiker am Freitag nochmals mit ihren Bands im Radialsystem auftreten.

Da stehen sie also: Zwei schlaksige Haudegen, bereit zur Korrespondenz mit singenden Sägen und bulligen Rückkopplungen. Nach einem kurzen Geplänkel, bei dem man noch an was Schönes denken darf, beginnt der Irrsinn. Mit berstender Intensität sprengt das Duo die Formen der Rockmusik und entfacht einen wahrhaft infernalischen Klangstrom, in dem Struktur kaum noch eine Rolle spielt. Es geht um puren, erhabenen Lärm – Sonic Brötz! Ein atemberaubendes Wechselspiel zwischen schroffen Stakkatosplittern und rasenden Notenspritzern bis in die höchsten Lagen.

Blitze schleuderndes Gitarrengewitter

Dabei scheinen beide Gitarristen einen Zustand zu suchen, in dem die Hände schneller sind als der Verstand. Sodass sie zu Durchlauferhitzern einer Musik werden, die aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche brodelt, während einige beflissene Lehrlinge in der ersten Reihe die Finger der Meister keine Sekunde aus den Augen lassen und zu verstehen versuchen, wie diese hoch verdichteten, wild kreischenden Klänge den beiden Fender-Gitarren entlockt werden. Moore spielt eine irre Synthese aus Kontrolle und Kontrollverlust, oft kurz vor der definitiven Schmerzgrenze. Brötzmann befeuert die Raserei als grollende Unterströmung und Blitze schleuderndes Wah-Wah-Gitarrengewitter. Dabei besticht vor allem die Konsequenz, mit der er den Geist von Hendrix beschwört und mit ekstatischem Brennstoff hantiert, bis sich in dem schäumenden Soundgewebe ein Wille artikuliert, der das Dionysische selbst noch verschlingt. Statt mit dem Ausloten von statischen Klangnuancen zu langweilen, halten beide immer fest an Power und Drive, einer kreischenden Vorwärtsbewegung, die den Sound in voller Fahrt an imaginären Schallmauern entlang in einen Sackbahnhof knallender Züge treibt. Mit grimmiger Entschlossenheit setzen sie eine Energie frei, die das Zerbersten als glücklichen Zustand feiert. Und doch ist es eine Musik, die unweigerlich rockt! Bei allen Freiheiten, die sie sich nimmt. Und natürlich genau deswegen.

Am Schluss, nach 45 ohrenbetäubenden Minuten, bleibt nur ein Nachhall, Echowellen des Klangbebens, in denen ein dunkles Klopfen der Gitarren nachklingt, auch wenn die Trommelfelle nur noch ein leises Zischeln vernehmen. Während Moore fast zusammenbricht, schnippt Brötzmann sein Plektrum so lässig ins Publikum, als wolle er unbemerkt Kaugummipapier wegwerfen. Danach ist erst mal eine Erholungspause nötig, bevor das norwegische Hammond-Orgel- Power-Trio Elephant 9 den A-L’Arme!-Auftakt mit einer Musik beendet, die sich anhört wie ein verschollenes Jazz-Rock-Projekt der Doors auf Juckpulver: wild, groovy und ziemlich sensationell, mit der verblüffenden Demonstration, dass man als Band auch zusammenspielen kann, ohne den geistig weit entfernten Organisten in seinem Wahn zu bremsen. Aber das ist eine andere Geschichte dieses wieder hervorragend zusammengestellten Programms.

bis 5.8. weitere Infos: alarmefestival.de

Von Volker Lüke

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