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Das Gute immer im Blick: Die Kinder- und Jugendfilme der Berlinale
Die jungen Heldinnen und Helden der Programmreihe „Generation“ zeigen den Erwachsenen, wie eine bessere Welt aussehen kann. Ein Überblick.
Stand:
Papier, Stifte, Schere, Klebe und ein Smartphone – mehr braucht der Regisseur Michel Gondry anfangs nicht für seine animierten Kurzgeschichten, in denen seine Tochter Maya die unerschrockene Heldin ist. In knappen Sätzen hat sie ihm zuvor mitgeteilt, welches Abenteuer sie sehen möchte: „Maya im Meer mit einer Flasche Ketchup“ zum Beispiel. Und da nicht nur sie, sondern auch ihr Vater über eine ausgelassene Fantasie verfügt, reiht sich in dem Stop-Motion-Film „Maya, donne-moi un titre“ eine verspielte Episode an die nächste.
Animierte Welten im Kinderprogramm
Das diesjährige Kinderprogramm Generation Kplus vermittelt einen Eindruck davon, wie vielseitig Animationsfilme jenseits von Disney, Pixar & Co. sein können. Neben dem Gondry-Film sind dort drei weitere Produktionen zu sehen: Die 3D-Computeranimation „Space Cadet“ erzählt mit viel Musik, aber ohne Worte von einer jungen Astronautin, die zu ihrer ersten Mission ins All aufbricht. Aufgezogen wurde sie von einem Roboter, der nun zurückgelassen langsam einrostet.
Ein etwas lebensnäheres Setting findet sich im Figurentrickfilm „Tales from the Magic Garden“: Die Oma von Tom, Suzanne und Derek ist gestorben. Die Trauer ist groß, doch dann greift das Mädchen eine Tradition ihrer Großmutter auf: Jedes Kind packt eine „Zutat“ in Omas alten Strohhut, aus denen Suzanne eine tröstende Geschichte spinnt.

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Eine andere Technik – 2D-Zeichentrick kombiniert mit traditioneller chinesischer Tuschemalerei – nutzt „Ran Bi Wa“, der auf einer alten Legende aus dem Südwestens Chinas beruht. Vor filigranen Landschaften bekommen es die beiden Hauptfiguren, die das Geheimnis der Wärme suchen, mit Raubtieren, Dämonen, Hunger und den eigenen Ängsten zu tun.
Leben in herausfordernden Zeiten
Die jungen Protagonisten der insgesamt 19 Kplus- und 14plus-Langfilme haben es nicht nur mit alterstypischen Problemen oder Fragen zu tun, sondern sie müssen sich immer wieder behaupten und für ein selbstbestimmtes Leben und Lieben kämpfen. Dabei greifen die Filme der Sektion weniger als in den Jahren zuvor Tagesaktuelles auf, vermitteln aber oft ein leises Gefühl von Überforderung, Verlorenheit oder Einsamkeit ihrer Figuren.
Da begegnet man etwa bei 14plus der jungen Sunshine im gleichnamigen, philippinischen Drama. Ein Aufstieg in das Nationalteam ist für die Leistungsturnerin greifbar nah, als sie ungewollt schwanger wird. Wie kann sie ihren Lebenstraum verwirklichen in einem Land, in dem Abtreibungen strikt verboten sind?

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Oder was ist, wenn eine Liebe abgelehnt wird wie in „Zečip Nasip“? Mirko scheint bestens in die patriarchale Gemeinschaft seines kroatischen Heimatorts integriert zu sein – bis seine große Liebe Slaven zurückkehrt. Während der Pegel des Flusses im Dorf unaufhörlich steigt, Sandsäcke zum Dämmen geschleppt werden, können die jungen Männer ihre Gefühle immer weniger verbergen, was zu offenen Anfeindungen führt. Was setzt man dem entgegen?
Einige Filme werden auf ukrainisch oder arabisch vorgeführt
Die Jugendliche Chloe in „I agries meres mas“ steht nach einem Familienstreit plötzlich auf der Straße und schließt sich einer Gruppe junger Leute an, die im Camper durch Griechenland reist, sich mit Einbrüchen über Wasser hält und à la Robin Hood gegen soziale Ungerechtigkeit vorgeht. „Man kann sich eine Familie suchen“, heißt es im Film und darum geht es in dem Roadmovie, in dem Chloe und ihre Freunde ein Leben jenseits gesellschaftlicher Normen und Zwänge suchen.

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Auch der 17-jährige Titelheld in „Christy“, der den Wettbewerb vom 14plus eröffnet, fühlt sich anfangs ungewollt und verloren. Seine Pflegefamilie hat ihn rausgeworfen, nun kommt er im in Cork bei seinem entfremdeten Halbbruder unter. Die Bedingungen könnten besser sein, zuhause wie im Wohnviertel, wo Jobs rar sind, ständig geflucht wird und selbst Kindern der Mittelfinger in die Höhe schnellt. Doch allmählich zeigt sich, wie Gemeinschaft und Solidarität den Einzelnen stark machen können.
Der Programmleiter Sebastian Markt und die Sektionsmanagerin Melika Gothe wollen mit ihrem Programm „Kino als einen Ort der Gemeinsamkeit“ begreifbar machen, Begegnungen ermöglichen und Perspektiven eröffnen. Dazu gehört auch, dass Kplus- Filme nicht nur mit deutscher, sondern einige auch mit ukrainischer oder syrisch-arabischer Einsprache vorgeführt werden und Gebärdendolmetschern Filmgespräche begleiten.
Themen, die Kinder auf der ganzen Welt beschäftigen
Dass nicht allen Filmen das Etikett Kinder- oder Jugendfilm anhaftet, gehört seit jeher zum Selbstverständnis der Sektion. Im Jugendprogramm 14plus zeigt Zacharias Kunuk, der seit „Atanarjuat – Die Legende vom schnellen Läufer“ (2001) als ein Pionier des indigenen Kinos gilt, sein episches Inuit-Märchen „Uiksaringitara“, das vor 4000 Jahren in der Arktis spielt. Und so steht im Kinderprogramm Kplus neben dem Langzeitporträt „Zirkuskind“ über den zehnjährigen Santino, der mit seiner Familie immerzu auf Achse ist und sich kein anderes Leben vorstellen kann, mit „Only on Earth“ auch ein Dokumentarfilm über die Waldbrände im Süden Galiciens, in dem man sich Bilder und Zusammenhänge erschließen muss.
Es sind nicht immer einfache Geschichten, die in den beiden Programmreihen der Sektion zu sehen sind, aber sie erzählen immer auch von Hoffnung und dem, was Kraft gibt: der Zusammenhalt mit anderen Menschen, die eigenen Träume, die Liebe, die Verbindung zur Natur, in der man zu sich selbst kommt.

© Moveo Films
So wie die beiden 10-jährigen Freundinnen im Kplus-Eröffnungsfilm „A natureza das coisas invisíveis“, die die sterbende Urgroßmutter aus dem Großstadtkrankenhaus zurück in ihr Dorf bringen, wo sie eine geradezu spirituelle Beziehung zur Natur und zum Kreislauf des Lebens entwickeln. Die beiden Mädchen leben in einem anderen Land, sprechen eine andere Sprache und haben dennoch einiges gemein mit Gleichaltrigen überall auf der Welt. Kino kann verbinden. Oder wenigstens kurz ein Fenster in ein anderes Leben öffnen.
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