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Sonntagsinterview: „Das hat verdammt wehgetan, Mann“

Sein Name steht für hemmungslosen Exzess, massakrierte Tiere, teuflische Musik. Dabei gleicht das Leben von Ozzy Osbourne einem bürgerlichen Bildungsroman.

Ozzy Osbourne, 61, wurde in Birmingham geboren und als Sänger von Black Sabbath zum Star.Seine Drogengeschichten und andere Skandale beschreibt er in „Ozzy – die Autobiografie“ (Heyne-Verlag), jetzt erschien sein Album „Scream“. Ozzy Osbourne lebt mit seiner Frau Sharon in Beverly Hills.

Mr. Osbourne, ist es wahr, dass Ihre musikalische Karriere in einer Autofabrik begann, wo Sie die Hupen stimmten?

Was? Ich habe Sie nicht verstanden.

In Ihrer Autobiografie schrieben Sie über Ihre Jugend in Birmingham. Nach der Schule hatten Sie verschiedene Jobs, zum Beispiel waren Sie in der Autofabrik für die Hupen zuständig …

Ah ja, man kann sagen, dass es mein erster musikalischer Job war, Autos zu stimmen. Wie öde! Ich bin dann bald gegangen.

Hat das Ihren Musikgeschmack irgendwie beeinflusst?

Nein. Mein erster musikalischer Einfluss waren die Beatles. Es war magisch, als die Beatles auftauchten! Ihr zweites Album war die erste Platte, die ich mir kaufte: „With the Beatles“. Vor ein paar Jahren traf ich Paul McCartney auf der Geburtstagsparty von Elton John. Sting war auch da. Ich dachte, ich sei tot und im Rockstar-Himmel!

40 Jahre lang haben Sie sich alle möglichen Drogen durchs Blut gepumpt. Eine Zeit lang konsultierten Sie fünf Ärzte, um Ihre Tablettensucht zu befriedigen, bis vor ein paar Jahren tranken Sie am Tag vier Flaschen Cognac und rauchten dabei Kette. Ein Wunder, dass Sie sich überhaupt an irgendwas erinnern können.

Nun, ich kann mich an Dinge von vor 20 Jahren erinnern. Aber seit meinem Unfall vor ein paar Jahren arbeitet mein Kurzzeitgedächtnis manchmal nicht sehr gut.

Vor sechs Jahren gerieten Sie mit Ihrem vierrädrigen Geländemotorrad in ein Schlagloch.

Ja. Ich steckte mit den Vorderrädern in diesem alten Bombenkrater, kam im falschen Moment an den Gashebel, das Ding machte einen Salto und landete auf mir drauf. Ich dachte: Okay, jetzt muss ich sterben.

Also das Langzeitgedächtnis ist in Ordnung, nur Ihr Kurzzeitgedächtnis ...

Mit dem Kurzzeitgedächtnis habe ich Probleme, mit dem Langzeitgedächtnis kann ich mich erinnern. Telefonnummern, alles.

Und wenn Sie sich beim Schreiben der Autobiografie mal nicht erinnert haben, hatten Sie spezielle Techniken? Meditation vielleicht?

Nein. Keine Meditation. Keine Drogen, kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Dope, kein Marihuana, nichts.

Wie schreiben Sie Songtexte?

Ich kann nicht schreiben, ich mach’ das zusammen mit meinem Produzenten Kevin Churko. Ich habe festgestellt, dass ich anfangen kann, Texte zu schreiben, aber dann vergesse ich, worum es geht. Mit jemandem zusammen geht es besser.

Auch für Ihre Autobiografie hatten Sie einen Koautor. Wie lief die gemeinsame Arbeit ab?

Wir haben uns etwa 27 Stunden lang unterhalten. Ich fragte ihn zum Schluss: Ist das genug, und er sagte: Ja, ich kann nicht alles ins Buch bringen, sonst haben wir am Ende noch ein halbes weiteres.

Meine beiden Lieblingsanekdoten: Sie erzählen im ersten Kapitel, wie die ganze Familie aufs Klo rennen musste, um sich zu übergeben, weil Ihre Mutter aus Versehen einen Spülschwamm mitgekocht hat.

Nun, was mich über die Jahre vor allem am Leben gehalten hat, war mein Sinn für Humor, ich konnte über viele Sachen lachen. Ich wollte das ins Buch einbeziehen, genauso wie das ernste Zeug. Denn alles in allem hatte ich einigen Spaß über die Jahre.

Einmal arbeiteten Sie im Schlachthof, und eine Kuh, die Sie lebend an den Haken gehängt hatten, trat Sie in den Abfluss mit dem Blut und den Eingeweiden.

Ja, das hat verdammt wehgetan, Mann.

Glaube ich. Nur: Man kann sich unmöglich vorstellen, dass das alles so passiert ist.

Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.

Es klingt, als hätte sich das jemand ausgedacht.

Ah, Sie meinen, das ist nie wirklich passiert? Wollen Sie das sagen?

Na ja, vielleicht haben Sie ein wenig übertrieben?

Nein, nein, es ist wahr.

Ich frage mich, ob Sie schon mal darüber nachgedacht haben, Vegetarier zu werden. Zuerst der Schlachthof, dann haben Sie die Hühner Ihrer ersten Frau abgeknallt, weil sie keine Eier legten, 1982 bissen Sie während einer Show einer Fledermaus den Kopf ab, aus Versehen, wie Sie später sagten …

Vegetarier? Nein. Ich habe noch immer Lust auf Fleisch. Aber ich finde Leute, die Fleisch essen, sollten einmal sehen, wie ein Tier geschlachtet wird.

Fühlten Sie sich eigentlich mit Ihrer Autobiografie im Zugzwang? Ihr Sohn hat seine ja schon mit 21 veröffentlicht.

Ich hatte es nicht vor, aber die Leute drängten: Wann kommt Ozzy? Ich dachte, Leute schreiben solche Bücher am Ende ihres Lebens und ihrer Karriere, aber so ist es nicht mehr. Außerdem hatte ich nicht gedacht, dass ich ein Buch machen könnte. Ich leide unter Schreib- und Leseschwäche und unter einer Aufmerksamkeitsstörung. Als ich das Buch gegenlesen musste, dachte ich: Das ist die größte Aufgabe meines Lebens. Aber das Buch war besser als erwartet. Ein ziemlich dunkler Teil meines Lebens ist die Zeit, in der ich drogen- und alkoholabhängig war. Wenn ich versuchte, clean zu werden, erzählten sie mir in der Entzugsklinik alles Mögliche, was ich diesmal wieder getan hätte. Ich konnte mich an nichts erinnern, ich dachte, die wollten mir nur Angst einjagen.

Sie haben doch auch vielen Menschen Angst eingejagt. Dabei haben Sie einmal behauptet, Sie würden Heavy Metal hassen.

Nein, nur das Wort „Heavy Metal“. Das war Gift für Black Sabbath, für Mötley Crüe, für Motörhead. 70er-Metal ist anders als 80er-Metal. Und dann New Metal, ich verstehe das nicht mal mehr, es ist scheiße. Also ich würde es am ehesten okay finden, Heavy Rock zu sagen. Heavy Metal ist kein musikalischer Begriff.

Aber ich nehme an, Sie werden immer der Prince of Darkness sein ...

... hehehe …

... der Heavy Metal erfunden hat.

Ich habe ihn nicht erfunden, echt nicht.

Aber Sie haben einen ganz eigenen Sound geschaffen, schwere, zähe Bluesriffs mit dem seit dem Mittelalter gefürchteten Teufelsintervall ...

Nein, das war nicht ich, ich habe ja nur gesungen. Unser Gitarrist Tony Iommi kam mit den ganzen Riffs an.

Die ersten Black-Sabbath-Songs klingen, als hätten Sie das einfach tun müssen, um Druck abzulassen. Aber wenn man Ihr Buch liest, hat man eher den Eindruck, dass Sie ein paar Jungs waren, die viel tranken und nebenbei in den Erfolg stolperten.

Nachdem wir das erste Black-Sabbath-Album aufgenommen hatten, gingen wir auf Tour in die Schweiz. Wir hatten keine Ahnung, dass unser Produzent Rodger Bain das berühmte Intro mit den Kirchenglocken einfügen würde. Als wir an Weihnachten zurückkamen, sagte der Manager: Kommt rüber, ich will euch die Platte vorspielen, und wir waren außer uns, so überglücklich. Wenn wir später den Song live spielten, rasteten die Leute aus und rannten aus dem Raum, die dachten wir würden uns in Teufel verwandeln.

Ob das wohl heute noch passieren könnte?

Ich weiß nicht. Nichts schockiert die Leute noch wirklich. Ich nehme an, wenn heute jemand einer Fledermaus den Kopf abbeißen würde, würden die Leute sagen: Okay, und jetzt?

Bedauern Sie das?

Irgendjemand wird es immer weiter und weiter treiben, bis sie im beschissenen Fernsehen um sechs Uhr abends live Sex zeigen oder Hinrichtungen ...

Beschreiben Sie bitte, wie das erste Black-Sabbath-Album Sie verändert hat.

Vor dem ersten Album hatten wir weder Geld noch Zukunft. Es war großartig, dass aus unserer Idee etwas geworden war. Wir hatten Autos, unsere eigenen Apartments, unsere eigenen Freundinnen … Aber unter unseren Managern waren ein paar böse Leute, die uns abgezogen haben. Wir hatten keine Ahnung von den Finanzen, unser Manager Patrick Meehan konnte einfach das meiste einstreichen. Die ersten zwei oder drei Alben mit Black Sabbath haben Spaß gemacht, aber dann wurde es langsam verrückt, und wir fingen an mit Kokain, Heroin und dem ganzen anderen Scheiß.

Der Rockkritiker Lester Bangs bezeichnete Black Sabbath 1972 im „Creem Magazine“ als „die erste katholische Rockband“. Sie würden gesellschaftlichen Fehlentwicklungen einen biblischen Moralismus entgegenstellen, gegen den selbst Bob Dylan blass aussähe.

Nee. Wir hatten den Traum, Stars zu werden, berühmt, erfolgreich, wie jede junge Band. Dann kommt der Erfolg, das Ego, das Geld, du hast einen Rolls Royce und dazu noch einen BMW, du bist der neue Held, und Tussis wollen dich ficken und du willst sie ficken. Aber dann heißt es, du bist nur so gut wie deine letzte Hit-Platte. Und du musst sie wieder toppen. Du sollst plötzlich Champagner wollen, ich habe das mit dem Champagner verdammt noch mal nie verstanden. Du kannst es dir leisten, Dinge auszuprobieren, von denen du nie geträumt hättest. Aber ich hatte viel Glück in meinem Leben, ich hatte eine großartige Karriere.

Als Sie vier Jahre alt waren, wollte Ihr Vater mit Ihnen „Minstrel Show“ spielen, ein früher populäres und rassistisches Unterhaltungsspiel, bei dem Weiße Schwarze darstellen. Als er schwarz angemalt die Treppe runterkam, schrien Sie vor Angst und wehrten sich, selbst angemalt zu werden. Dann wurden Sie Mr. Black Sabbath.

Als ich meinen Vater mit einem schwarzen Gesicht sah, fand ich das schrecklich. Ich wollte nicht, dass sie die Farbe in mein Gesicht schmieren. Aber jetzt schmier’ ich sie mir verdammt noch mal selber rein!

Schwarz beunruhigt Sie nicht mehr.

Nein.

War Heavy Metal nie die Gefährdung der Jugend, wegen der Sie in den 80ern in den USA vor Gericht standen, oder die Zivilisationskritik, die Lester Bangs darin sehen wollte? Sondern nichts als ein Kinderstreich?

Ja, es ist wie jemandem einen Streich zu spielen, nach dem Motto: „Ich bin der Prince of Darkness!“, und alle so: „Huch!“

Schon in der Schule sollen Sie den Klassenclown gegeben haben. Fühlten Sie sich auch auf der Bühne manchmal wie ein Clown?

Ich wollte in einer Band spielen, weil ich keinen normalen Job durchhielt. Das Rumalbern kam von selbst. Wir haben uns ständig gegenseitig Streiche gespielt. Ich dachte, das sei gut für die Show. Mir war nie klar, dass ich das 40 Jahre später immer noch machen würde. Während die Reality-Show „The Osbournes“ auf MTV lief, fragte mein Sohn: Glaubst du, die Leute lachen mit dir oder über dich? Ich sagte: Hauptsache, sie lachen. Für ihn war es nicht so einfach, wenn die ganze Welt sah, wie sein Vater an der Fernbedienung scheiterte.

Mit „The Osbournes“ wurden Sie zum Fernsehstar.

Das war eine Art Experiment, das durchdrehte, eine Lektion über die Macht des Fernsehens. Plötzlich flippten alle aus, wenn wir auf die Straße gingen, junge Mädchen fragten mich nach Autogrammen. Ich wurde zu Präsident Bush eingeladen, ich traf Tony Blair und die Queen. Der Druck war so groß, dass ich rückfällig wurde. Dadurch wurde es nur schlimmer, wenn ich Aufnahmen sah, verstand ich nicht mal selbst, was ich da nuschelte.

Warum lief die Show überhaupt so lange?

Meine Frau mag Fernsehen, ich mag es nicht sonderlich. Ich will nicht im Fernsehen sein. Ich fühle mich darin unwohl, ich vergesse, worüber ich nachdenke. Meine erste Liebe ist die Musik.

Sie beschreiben in Ihrer Autobiografie, wie Sharon Sie eine Zeit lang mit dem Gepäckwagen durch das Check-in fuhr, weil Sie zu betrunken waren, Ihren Ausweis mit Klebeband auf die Stirn geklebt ...

Keine Ahnung.

Ist das nicht seltsam, zugleich in einer Geschäftsbeziehung zu sein und in einer intimen Beziehung?

Wissen Sie, ich bin überhaupt nicht gut in Geschäftssachen, ich verstehe nichts davon. Meine Frau und ich sind jetzt 30 Jahre zusammen. Als ich Sharon das erste Mal traf, betranken wir uns beide, aber dann sagte sie: Einer von uns muss nüchtern bleiben. Also hörte sie auf zu trinken und machte ein Geschäft aus der Sache.

Warum ist Ihre Frau so lange bei Ihnen geblieben?

Nun, ich habe nie aufgehört, ihr zu sagen, dass ich sie liebe. Ich verdanke Sharon mein Leben. Als wir 2002 erfuhren, dass sie Krebs hatte, hatte ich einen Nervenzusammenbruch, ich war ein Wrack. Sie musste mich wegschicken, um ein paar Shows zu spielen, damit sie ihre Ruhe hatte.

Heute sind Sie der von allen Lastern geheilte Familienvater, der mit seiner großen Liebe zusammenlebt. Eine Geschichte wie ein bürgerlicher Bildungsroman: Der junge Mann bricht aus der Gesellschaft aus, um am Ende gereift zurückzukehren.

Ich war jeden verdammten Tag höllisch bekifft und betrunken. Jetzt nicht mehr. Wenn das Zurückkehren ist, bin ich froh, zurückzukehren.

Ist das nicht ein typisches Heavy-Metal-Thema? Der Held streift frei durch die Wildnis, erfährt sich als stark und unabhängig ... Wie im Song „Goodbye to Romance“.

Das Stück handelte von meinem Ausstieg bei Black Sabbath: Leb wohl Romantik, lebt wohl Freunde, am Ende werden wir uns wiedersehen. Und am Ende habe ich sie ja auch wiedergetroffen. Wir waren vier Jungs aus der Nachbarschaft. Wir hatten einen Traum, und er wurde wahr.

Ein weiterer Traum von Ihnen: der Führerschein. Haben Sie inzwischen bestanden?

Ja. Aber ich fahre nicht wirklich viel.

Glückwunsch, nach all den Jahren! Könnte man sagen, dass das Ihre letzte große Prüfung war?

Ich wollte ihn schon lange machen, aber ich war einfach ständig so verdammt drauf und niemand wollte mit mir ins Auto steigen, es hieß immer: Geh nach Hause!

Wie viele Autos haben Sie zu Schrott gefahren?

Sieben. Sechs oder sieben.

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