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Kultur: Das Ich im Koffer

Schuberts „Winterreise“ im Stadtbad Steglitz

Ein Sänger und ein Pianist: Das ist die klassische Liedsituation, die scheinbar immer häufiger als langweilig empfunden wird. Zahlreich sind die Versuche, gerade den bekanntesten Liederzyklus überhaupt, Schuberts „Winterreise“, mit ein bisschen Inszenierung interessanter zu machen – als hätte er das nötig. Regisseur Stefan Neugebauer gelingt es dennoch im Stadtbad Steglitz, das Kolorit von Abschied, Kälte, Verzweiflung einzufangen. Er schichtet fünfzig alte Koffer übereinander, so entsteht eine muffige Wartehalle, kalt und zugig. Der Wanderer will abreisen, da kriecht ein Penner aus seinem Loch, gemeinsam vertreiben sie sich die Zeit am Klavier.

Allerdings zeigt sich auch in Steglitz: Die wahre Dramatik der „Winterreise“ liegt in der Singstimme. Wenn es da hapert, ist die schönste Inszenierung für die Katz. Das Timbre von Folke Paulsens Bariton hat einen Stich ins Blecherne, der Wechsel zur Kopfstimme gelingt nicht reibungslos, er singt mit wenig dynamischer Differenzierung im Breitwandformat. Das passt manchmal, etwa in den Moll-Passagen des „Frühlingstraums“; meist aber deckt es Schuberts fein auskomponierte Stimmungen einfach zu.

Gottfried Eberle spielt den Klavierpart mit der Aggressivität eines Säufers. Vermutlich gibt das mühevoll gestimmte Klavier keine feineren Klänge her. Das Ende gestaltet er überraschend, aber stimmig. Die „Winterreise“ ist ja, entgegen landläufiger Meinung, viel optimistischer als die „Schöne Müllerin“. Hier ertrinkt das Ich, in der „Winterreise“ zieht es fort. Als der „Leiermann“ zu Ende ist, spinnt Eberle die Motivik der rechten Hand noch eine Weile fort, den Schlussakkord verweigert er. Eine offene Geste. Vielleicht kommt der Zug noch. Udo Badelt

wieder am 5., 11., 12., 17. u. 19.2., 20 Uhr

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