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Kultur: Das Kratzen des Stiftes

Als Meister des Aphorismus läßt sich Wolfgang Rihm nicht unbedingt bezeichnen; er liebt es, die Klänge quasi hin und her zu drehen, ihnen damit immer neue Wirkungsmöglichkeiten abzugewinnen.Zum Konzert des Scharoun-Ensembles bei der "Gesellschaft der Freunde der Philharmonie" hatte der "Composer in residence" dieser Spielzeit jedoch Kammermusikwerke der letzten zehn Jahre von erstaunlich knapper Zeichnung mitgebracht.

Als Meister des Aphorismus läßt sich Wolfgang Rihm nicht unbedingt bezeichnen; er liebt es, die Klänge quasi hin und her zu drehen, ihnen damit immer neue Wirkungsmöglichkeiten abzugewinnen.Zum Konzert des Scharoun-Ensembles bei der "Gesellschaft der Freunde der Philharmonie" hatte der "Composer in residence" dieser Spielzeit jedoch Kammermusikwerke der letzten zehn Jahre von erstaunlich knapper Zeichnung mitgebracht.Wie Rihm an ihnen seine Vorstellungen über "Augenblicke, Stille und Form" entwickelte, bewies einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit, die sich jeder "Schubladisierung" entzieht.Während "Bild" - eine vor, neben und nach dem Bunuel-Film "Ein andalusischer Hund" zu spielende Musik - metallische Klänge von Blechbläsern und Schlagzeug mit sanfteren Streicherschatten holzschnittartig konfrontiert, ist "Kolchis" das sensiblere Gegenstück mit tastenden Tonschritten der Harfe und der gedämpfteren Farbigkeit des Holzschlagzeugs.Wie um eine Skulptur, meint Rihm, soll man um jeden einzelnen dieser statischen Klänge herumgehen können.

Dem Prinzip des Verlaufs, einer in immer neuen Figuren sprudelnden Bewegungsenergie huldigt dagegen "Pol", ein Werk, das Rihm auch zu immer neuen Fassungen anregte, nach der mittelalterlichen "Contrafakturtechnik" des Versetzens einer Stimme oder einer Struktur in einen neuen Satz."Sie sehen, das Komponieren geht sehr mittelalterlich vor sich." Die Musiker des Scharoun-Ensembles beeindruckten hier besonders durch mitreißende Virtuosität, die sich auch optisch etwa in den lebhaften Sprüngen des Vibraphonisten ausdrückte.Ihre exquisite Klangfarbenkunst machte auch das ähnlich bewegte Werk "Chiffre I" zum intensiven Erlebnis einer ganzen Skala von dunkler Bedrohlichkeit bis zu fast schmerzhaft gleißender Helligkeit, noch geschärft durch die Repetitionsattacken der fabelhaften Pianistin Majella Stockhausen.Ein plastisches Beispiel dafür, wie der Komponist Licht aus eigentlich dämmrigen Farben herausfiltert.Herzstück des Programms aber war das ganz intime, in den Klangschatten des leisesten Geräuschs zurückgenommene "In nuce" für Viola, Cello und Kontrabaß - der Schaffensprozeß, bei dem der Komponist allein mit sich in seinem Zimmer nur das Kratzen des Stifts über das Papier und die eigenen Atemzüge vernimmt wird hier ganz physisch-direkt umgesetzt, dessen Anstrengung und Erregung nur selten im heftigen Unisono oder fieberhaften Rhythmen hervorgehoben.

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