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Kultur: Das Prinzip Moderne

Warum die Sanierung der Berliner Museumsinsel auf dem richtigen Weg ist / Von Klaus-Dieter Lehmann

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Die Museumsinsel ist ein Sehnsuchtsort für Kunstliebhaber und Geschichtsinteressierte, Architekturbegeisterte und Ästheten, Nostalgiker und Flaneure, Touristen aus Europa und Übersee – ein wahrhaft urbaner Weltort für Kunst und Kultur, eine persönliche Entdeckung für jeden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Wiederherstellung und Vollendung der Museumsinsel die Öffentlichkeit in höchstem Maß interessiert. Als Teil der allgemeinen Geschichte und als Teil der jeweils eigenen Geschichte und Erfahrung gehört die Museumsinsel allen.

Dieses vitale öffentliche Interesse ist ein entscheidendes Element unseres Erfolges. Das andere entscheidende Element ist die Professionalität, die Planungssicherheit und die Verlässlichkeit, mit der dieses größte Museumsvorhaben in Europa durchgeführt wird. Nur durch die Akzeptanz in der Öffentlichkeit und bei den politischen Gremien gewinnen wir die Zukunft.

Mit großem Erfolg wurde inzwischen die Alte Nationalgalerie und das Bode- Museum der Öffentlichkeit übergeben, die Fertigstellung des Neuen Museums ist für Ende 2008 geplant. Alle Maßnahmen sind eingeordnet in den „Masterplan Museumsinsel“, der der Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes der Unesco zugrunde liegt. Am 10. März 2000 wurde die Urkunde feierlich in der Rotunde des Alten Museums überreicht.

Obwohl die Fertigstellung der bisherigen Museen den gleichen denkmalpflegerischen Grundsätzen als verbindlich vorgegebenem Regelwerk folgen musste wie diejenige des Neuen Museums – und es auch intensive Debatten bei den Beteiligten gab –, hat die Öffentlichkeit die Gestaltungsentscheidungen bei diesen Gebäuden am Ende nicht nur akzeptiert, sondern bejubelt.

Beim Neuen Museum haben wir eine andere Ausgangslage. Es war Ruine seit 1945, Wind und Wetter ausgesetzt, das fragilste Gebäude mit unterschiedlich starken Zerstörungen. Zum Teil fehlen ganze Gebäudeabschnitte, zum Teil Oberflächendekorationen, zum Teil architektonische Details. Ein gleichermaßen verstörendes und faszinierendes Haus!

Wie kann für eine solche Ruine die bestmögliche Lösung als funktionierendes Museum gefunden werden? Die Ruine abreißen und das Gebäude nach alten Plänen neu errichten? Die Ruine durch Bau-Imitate und kopierte Kunstwerke zu einem Ganzen fügen? Das Alte und das Neue durch eine Strategie der Kontrastwirkung betonen? Die authentischen Bauzeugnisse hüten und die modernen Teile so ergänzen, dass daraus ein harmonisches Ganzes wird? Die Menschen bewerten und interpretieren die verschiedenen Vorstellungen ganz unterschiedlich, verunsichert auch durch fundamentalistisch vorgetragene Positionen wie jetzt durch das Volksbegehren „Rettet die Museumsinsel“.

Das kulturelle Erbe ist zu wertvoll, um es dem Tagesgeschmack zu überlassen. Die große Chance, die wir heute bei der Wiederherstellung dieses einzigartigen kulturellen Ensembles haben, muss sich auch gegenüber den kommenden Generationen legitimieren. Deshalb folgen wir weiterhin dem mit dem Unesco-Welterbezentrum (Icomos) vereinbarten Vorgehen. Es sieht den Wiederaufbau ohne künstliche Nachbildungen vor, die Wertschätzung der Authentizität, die Bildung harmonisch ausgestalteter Räume und die Ordnung in der Raumfolge des ursprünglichen Gebäudes. Nach einer Begehung im April 2006 urteilt der Präsident des Internationalen Rates für Denkmalpflege (Icomos), Prof. Dr. Michael Petzet, gegenüber der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: „Insofern kann noch einmal festgestellt werden, dass das derzeit verfolgte Konzept für die Instandsetzung des Neuen Museums nach den Plänen des Architekten David Chipperfield aus der Sicht von Icomos zu begrüßen ist.“

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihr Präsident treffen die konservatorischen Entscheidungen innerhalb eines engen Netzes von definierten Zuständigkeiten von Landesdenkmalamt Berlin, Icomos und Unesco, mit Beratung des Landesdenkmalrates. Sie bedürfen der formalen Zustimmung der Denkmalpflege. Grundlage bilden der verbindliche denkmalpflegerische Leitfaden und das Restaurierungskonzept. Alle vier bis sechs Wochen finden Baubegehungen statt. Jeder Restaurierungsmaßnahme muss formal zugestimmt werden. Was hier an Sorgfalt, Kooperationsfähigkeit, Sachverstand und Verantwortungsbewusstsein bei Architekten, Denkmalpflegern, Museumsexperten und Verwaltung sichtbar wird, ist vorbildlich. Außerdem gibt es ein Monitoring durch Icomos Deutschland mit jährlichen Berichten. Auch dort wird das Verfahren und Konzept als international beispielhaft bezeichnet.

Festzuhalten ist, dass wohl kaum eine Restaurierungsmaßnahme von Beginn des Planungsstadiums bis zu den jeweiligen Realisierungsschritten so ausführlich öffentlich dokumentiert wurde. Von der Broschüre und den öffentlichen Kolloquien mit der Technischen Universität Berlin im Jahr 2000 über die Tage des offenen Denkmals – zuletzt September 2006 – bis hin zu zahlreichen Führungen und Vorträgen, Publikationen und Gesprächen mit der Gesellschaft Historisches Berlin und vielem mehr. Dass wir derzeit keine großen Führungen mehr anbieten können, ist dem Umstand geschuldet, dass das Innere des Hauses in nahezu allen Räumen wegen der Decken- und Wandrestaurierung total eingerüstet und ein Durchkommen nicht mehr möglich ist. Spätestens im September werden wir ein großes öffentliches Richtfest feiern, bei dem die großartige Formenvielfalt, die beeindruckenden Raumsequenzen und die wiedergewonnene Stüler’sche Sprache Triumphe feiern werden. Das Haus selbst wird zu einem kostbaren Exponat. Warum die Debatte kurz vor der Fertigstellung kommt, ist bei dem vermittelten Informationsstand unverständlich.

Die derzeitige Debatte betrifft aber nicht nur die Wiederherstellung des Neuen Museums, sondern auch die JamesSimon-Galerie, das neue Eingangsgebäude, mit dem ebenfalls David Chipperfield beauftragt ist. Es ist im Masterplan als neues sechstes Gebäude auf der Insel mit zentralen Service- und Erschließungsfunktionen vorgesehen. Es ist der Unesco bekannt, zuletzt als Teil der Berichterstattung von 2004, und gilt im Rahmen der Welterbeliste als akzeptiert. Der Präsident von Icomos hat sich auch dazu geäußert. „Es gibt keine Vorbehalte gegen die Schaffung dieses notwendigen Funktionsbaus.“ Er erwartet aber eine der Museumsinsel angemessene Architekturqualität. Da befinden wir uns auf einer Linie.

Offensichtlich sind sich alle einig, auch die Initiative Volksbegehren, dass ein solches Gebäude unverzichtbar ist. Die Museumsinsel mit ihren dann vier Millionen Besuchern jährlich verfügt nur über rudimentäre Service- und Informationsbereiche. Ohne eine solche Infrastruktur wäre die historische Substanz der Museen massiv gefährdet, und die Insel liefe Gefahr zu kollabieren.

Offensichtlich sind sich ebenfalls alle einig, auch die Initiative Volksbegehren, dass ein solches Gebäude auf der Insel stehen muss. Sie schlägt eine Überdachung des Ehrenhofs des Pergamonmuseums vor. Solche Ansätze wurden bereits bei den Vorüberlegungen im Jahr 2000 von der Denkmalpflege kategorisch abgelehnt. Außerdem könnten in keinem Fall die übergreifenden Funktionen der Besucherführung erfüllt werden, der Ehrenhof verkäme zur Verkehrszone mit Verteilerfunktion. Die Wettbewerbsentscheidung für O. M. Ungers hat hier die endgültige Lösung mit dem vierten Flügel gebracht. Hier befinden wir uns in der Phase der Ausführungsplanung.

Es bleibt also nur der Packhof am Neuen Museum als Standort – wie geplant. Das Argument, damit würde die Sicht auf das Neue Museum verstellt, verkennt die historische Situation, denn hier stand bis 1938 der Kopfbau der Packhofgebäude.

Letztlich geht es wohl um die Architektur. Erste Bauüberlegungen von Chipperfield 2001 wurden von den Gremien der Stiftung bislang nicht behandelt. Im Zuge der Beratungen des Bundeshaushaltes 2007 wurde die Finanzierung der Baumaßnahmen für das Eingangsgebäude dann berücksichtigt. Jetzt konnte dem Architekturbüro ein entsprechender Auftrag erteilt werden, der die neue Anbindung an das Pergamonmuseum und das Neue Museum berücksichtigt und eine entsprechende Bearbeitung von Baukörpergestalt und Fassadengestaltung vorsieht. Gestritten wird also über ein Phantom, über eine Architektur, die es noch gar nicht gibt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier mehr um die Abwehr einer modernen Architektur geht. Die Insel war jedoch immer Ausdruck einer jeweils existierenden zeitgenössischen Architektur. Sie ist ein hervorragendes Beispiel für 100 Jahre Architekturgeschichte. Jede Generation hat selbstbewusst die Insel weitergebaut, mit ihren Stilmitteln. Daraus ist heute die einzigartige Komposition entstanden. Neues hinzuzufügen ist Prinzip der Museumsinsel, von Schinkel bis Messel.

Sollten wir dieses Selbstbewusstsein verloren haben? Chipperfield hat bewiesen, dass er qualitätsvoll bauen kann. Ihn schon zu verketzern, bevor er überhaupt seinen Entwurf vorgelegt hat, ist bizarr. Ich bin überzeugt, dass er die Bautradition dieser Insel fortsetzen kann und den Zauber als Tempelstadt der Künste vermitteln wird. Günther Jauch, einer der Unterzeichner des Volksbegehrens, hat auf Nachfrage geäußert: Das Neue müsse „auf den Prüfstand“ (Tagesspiegel vom 18.3.2007). Genau das wollen wir auch.

Aber dazu bedarf es einer unvoreingenommenen öffentlichen Debatte mit Argumenten und nicht mit Ideologien.

Der Autor ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

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