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Kultur: "Das war einmal ein Mensch" - Fotografien deutscher Landser in Berlin-Karlshorst

Der Tod hat viele Gesichter. Er kann einen Menschen in ein leblos daliegendes Kleiderbündel, in eine verkohlte Gliederpuppe oder in ein steif unter eine Laterne baumelndes Gespenst verwandeln.

Der Tod hat viele Gesichter. Er kann einen Menschen in ein leblos daliegendes Kleiderbündel, in eine verkohlte Gliederpuppe oder in ein steif unter eine Laterne baumelndes Gespenst verwandeln. "Gefallenes sowjetisches Mädchen", steht unter einem Foto, das eine uniformierte Leiche zeigt, die bäuchlings vor einem Schützengraben auf dem Boden kauert. Dass es eine Frau ist, kann man nur an ihren langen schwarzen Haaren erkennen. Ob sie tatsächlich im Gefecht gestorben, also "gefallen" ist, oder erst nach ihrer Gefangennahme erschossen wurde, bleibt unklar. Das Einschussloch im Rücken lässt beide Möglichkeiten zu. "Dies war einmal ein Mensch - Volltreffer", lautet der Kommentar zu einem Bild, auf dem zu sehen ist, was eine Granatenexplosion von einem Soldaten übrig gelassen hat. Man muss lange hinschauen, bis man an dem blutüberströmten Torso eine Hand, ein verdrehtes Bein entdeckt. Andere Aufnahmen zeigen Männer in Zivilkleidung, die auf baumumstandenen Dorfplätzen, vor ausgebrannten Hausruinen aufgehängt wurden. Dazu die Vermerke: "1 Partisan in Luga 1941", "Torgowyi 30. XI. 41. Partisanentod" und "Kommissare in Poreba, Mai 1941".

Diese Fotos, die in den ersten Monaten des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion entstanden, sind Fotos von Tätern. Gemacht wurden sie von Wehrmachtssoldaten, von denen viele auch eine Kamera im Tornister hatten. Wenigstens am Anfang schien der Krieg noch eine Art Abenteuerreise zu sein. So wie man im Urlaub Fotos macht als Gruß aus der Ferne für die Daheimgebliebenen, schossen die Soldaten Fotos für ihre Angehörigen, die beweisen sollten, dass zur Sorge kein Anlass bestand. Deshalb sieht der Krieg auf den meisten dieser Amateuraufnahmen wie eine Idylle aus. Papa mit seinen Kameraden vor dem Eiffelturm. Papa in einem Unterstand an der Ostfront. Papa bei der Morgenwäsche an einem Wasserkübel.

Die Wirklichkeit des Krieges rückt selten ins Bild. Unter den 400 Privataufnahmen aus dem Zweiten Weltrieg, die die Ausstellung "Fotofeldpost" im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst versammelt, sind nur etwa zwei Dutzend Fotos, die Tote zeigen. Es sind ausnahmslos Bilder von getöteten Feinden, und immer ist der Blick, der auf sie fällt, kalt. Einige Bilder, auf denen gleich mehrere uniformierte Leichen nebeneinander liegen, erinnern an Aufnahmen von Jagdtrophäen. Und die Fotos, die gaffende Soldaten bei Exekutionen gemacht haben (Notiz: "Ein jüd. Kommissar schaufelt sein eig. Grab"), dienten auch dem Bedürfnis nach einem persönlichen Thrill am Grusel. "Zweifellos war ein erhebliches Maß an Gefühlsverhärtung die Voraussetzung, um auf den Auslöser drücken zu können", schreibt Museumsleiter Peter Jahn im Ausstellungskatalog. "Ob ein Foto aus reiner Sensationsgier mit dem Ziel geschossen wurde, ein schockierendes Bild vorzeigen zu können, Härte zu demonstrieren, oder ob die grausame Tat gebilligt wurde, ist aus dem Foto nicht zu ersehen." Anders als die Bilder vom Gammeln in der Etappe, die per Feldpost an die Lieben in der Heimat verschickt, wurden die Fotos von den Hinrichtungen eher unter den Kameraden herumgereicht. Brieftaschenfotos, ähnlich der Pornographie.

Fotokameras waren Ende der dreißiger Jahre in Deutschland ähnlich populär wie heute Videokameras. Eine einfache Fotobox war schon ab 15 Reichsmark zu haben, eine Kleinbildkamera mit Kunstlederbalg kostete 40 Reichsmark. Kurz vor Kriegsausbruch besaßen rund sieben Millionen Deutsche einen Fotoapparat, die meisten von ihnen waren Männer. Einer von ihnen war Helmut Hoffmann aus Dresden, der 1939 mit 22 Jahren zur Luftnachrichtentruppe kam. Mit seiner Baldax-Kamera, die er als Abiturient geschenkt bekommen hatte, hat er seinen ganz persönlichen Krieg festgehalten, auf über 1000 Aufnahmen, von denen einige in Karlshorst zu sehen sind. "Es sollte eine Chronik meines Lebens in außergewöhnlicher Zeit sein", erzählt Hoffmann, der heute als pensionierter Lehrer in Oldenburg lebt.

Die Fotos, die er machte, entsprachen am Anfang den Propagandabildern einer von Triumph zu Triumph eilenden Armee: Landser beim Polenfeldzug auf einem LKW, auf dem der Spruch "Revierreinigen beendet. Korridor gefegt!" aufgepinselt ist; Siegesparade in der Heimat; brennende Dörfer in Südrussland. Doch spätestens mit dem Winter 1942/43 beginnt sich das Kriegsglück zu wenden, und unter den Schnappschüssen taucht nun vermehrt ein neues Motiv auf: die Gräber deutscher Soldaten. Zunächst sind es noch ordentlich in Reih und Glied stehende Heldengräber mit geschnitzten Namensschildern, später bloß noch einfache Erdhügel, in denen ein Birkenkreuz mit Stahlhelm steckt. Die Leichen gefallener Wehrmachtssoldaten zu fotografieren, war verboten. Aber auch ohne dieses Verbot wäre vermutlich kein Soldat in Versuchung gekommen, die toten Kameraden aufzunehmen. "Es gab eine ganz starke unreflektierte Scheu vor diesen Leichen", erinnert sich Hoffmann, "man wusste: Morgen kannst du selber so daliegen." Für einige seiner Fotos aus dem Krieg - etwa das Bild eines bärtigen Alten vor seinem niedergebrannten Haus - schämt er sich heute. "Ich hatte ein braunes Brett vor dem Kopf", sagt er, "wenn ich mir die Fotos angucke, komme ich mir selber wie ein Fremder vor." Fotografiert hat er bis zum Schluss. Anfang 1945 hat er vor seiner Gefangennahme seine Kamera an einer Hauswand kaputt geworfen, damit sie nicht den Russen in die Hände fiel. Heute ist Hoffmann Pazifist, der hofft, dass Ausstellungen wie die im Deutsch-Russischen Museum "dazu beitragen, dass es nie wieder zu einem solchen Krieg kommt".

Die Ausstellung "Fotofeldpost", für die das Karlshorster Museum auf einen Bestand von rund 18 000 Kriegsfotos zurückgreifen konnte, ist der erste Versuch, die in Familienalben, auf Speichern, in Schuhkartons verwahrten Schnappschüsse als wissenschaftliche Quelle ernst zu nehmen. Hier ist der Krieg alles andere als spektakulär. Zu sehen sind - anders als in der thesenhaften Wehrmachtsausstellung - keine Mörder in Feldgrau, sondern uniformierte Biedermänner bei einem martialisch inszeniertem Betriebsausflug. Interessant ist, was man nicht zu sehen kriegt: Verbrechen finden nicht statt. Die Verdrängung der deutschen Schuld - das ist die Botschaft der Ausstellung - begann nicht erst in den fünfziger Jahren. Sie fing schon mitten im Krieg an.Die Ausstellung "Fotofeldpost" ist bis zum 12. Juni im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst zu sehen. Di bis So, 10 bis 18 Uhr. Katalog 36 DM.

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