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Plötzlich selber Stars. Christoph Erkes, Nicole Schettler und Christian Meyerholz (von links).

© °awhodat°

Debütalbum von KitschKrieg: Das ist Kunst, du Idiot

Das Produzententeam KitschKrieg veröffentlicht ein herausragendes Hip-Hop-Album. Mit dabei sind Stars wie Trettmann, Nena und der umstrittene Rapper Gzuz.

Christoph Erkes hat Migräne. Er trägt Sonnenbrille, sitzt zusammen mit Christian Meyerholz und Nicole Schettler vor der ehemaligen Kirche St. Agnes in Berlin-Kreuzberg, und erzählt davon, dass sie noch viel Arbeit vor sich haben. Alle tragen schwarz-weiße Kleidung, alle sind etwas geschafft. St. Agnes ist mittlerweile kein Gotteshaus mehr, sondern beherbergt die Galerie König. Drinnen ist ein riesiges Soundsystem aufgebaut, Boxen stapeln sich auf Boxen. Licht flackert. Großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien hängen an einer Wand. Eine Ausstellung wird aufgebaut, ihre Ausstellung.

Erkes, Meyerholz und Schettler sind bekannt unter ihren Künstlernamen Fizzle, Fiji Kris und °Awhodat°. Zusammen bilden sie das Kollektiv Kitschkrieg. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass Deutschrap heute so klingt wie er klingt, haben eine eigene Ästhetik geprägt, minimalistisch, schwarz-weiß oder wie Fizzle es sagt: „Reduktion ist unser Hauptthema. Die Frage ist: Wie viel kann man weglassen?“ Gerade hätten sie, sagt er, die Hälfte des installierten Lichts im Ausstellungsraum wegreduziert, weil sich das besser angefühlt habe.

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Wenige Tage nach dem Interview wird in der Galerie die Release-Ausstellung zu ihrem ersten Produzentenalbum stattfinden. Es heißt schlicht „KitschKrieg“. Mitgemacht dabei haben alte und junge Rapstars wie Jan Delay, Max Herre, Kool Savas, Cro und Trettmann. Auch die Deutschpop-Größen Peter Fox und Nena singen ein paar Zeilen. Es ist ein Pop-Großereignis, das es in der Form bisher nicht gab. „Rap ist die Popmusik unserer Generation“, sagt Fiji Kris. Kitschkrieg tragen dazu bei. Das Album ist der bisherige Peak einer steilen Karriere von drei Menschen um die vierzig, die mit einem solchen Erfolg längst nicht mehr gerechnet hatten. Da kann man schon mal Migräne bekommen, kurz vorm großen Tag.

In einer Berliner WG fing alles an

Als Fizzle und Fiji Kris, die beide Musik produzieren, und °Awhodat°, die Fotos und Videos macht, vor knapp fünf Jahren mit Mitte 30 in einer Berliner WG zusammenfanden, war von Erfolg nichts zu spüren. Stattdessen: Existenzängste. Die drei einte die Liebe zu Reggae und Dancehall, zur Musik aus Jamaika, die noch immer aus ihrem Sound herauszuhören ist. Angesprochen auf ihre Verbindung zur Insel sagt Fiji Kris knapp: „Auf Jamaika zu sein ist mehr als nur ein Urlaubstrip, es ist essenziell für uns.“

In dieser Zeit trafen sie auf einen Musiker, der sich in einer ähnlichen Situation befand und die Liebe zu Musik aus Jamaika teilte: Trettmann. In der deutschen Dancehall-Community hatte er sich als Ronny Trettmann zwar einen Namen gemacht, darüber hinaus kannte ihn aber kaum jemand.

Sie machten Trettmann zum Star

Kitschkrieg brandeten Trettmann neu. Nicht nur musikalisch, auch visuell. Sie konzipierten zusammen mit ihm innerhalb kürzester Zeit drei EPs, die, na klar, „KitschKrieg 1 – 3“ hießen. Die Musik darauf, Grooves aus Dancehall und aktueller elektronischer Musik aus Großbritannien, dazu die introspektiven, oft um sein Aufwachsen in Ostdeutschland kreisenden Texte von Trettmann waren etwas, was es so im Deutschrap noch nicht gegeben hatte. Die EPs und vor allem das darauffolgende Album „DIY“ aus dem Jahr 2017 wurden ein Riesenerfolg.

Das hat auch viel mit dem Kunstansatz zu tun, den Kitschkrieg verfolgen und der sich fundamental von anderen Hip-Hop-Produzenten unterscheidet. Kitschkrieg sehen sich nicht als Band, sie sehen sich als Brand. Sie produzieren Kleidung, Videos, Fotos, Alben, sind Label und Toningenieure in einem. Wenn sie mit einer Rapperin  wie Haiyti zusammenarbeiten, dann konzipieren sie das gesamte Projekt, entwickeln die Corporate Identity des Albums gleich mit.

Missverstanden als Dienstleister

Die Art, wie Kitschkrieg die Dinge angehen, ist mittlerweile akzeptiert. Doch das sei, sagen alle drei, nicht immer so gewesen. Gerade im Hip-Hop werden Produzenten oft als Dienstleister angesehen. Die Sängerinnen und Sänger stehen im Vordergrund, alles andere ist Beiwerk. Auch Foto und Video gelten als Nebensache. Auf Ignoranz reagieren Kitschkrieg mit Arroganz. Einmal, sagt °Awhodat° lachend, habe Fizzle als Foto-Credit „Das ist Kunst du Idiot“, und „wer °Awhodat° vergisst stirbt“ durchgesetzt, als Spitze gegen all jene, die die Credits vergessen.

Fürs Album hatten sie sich eine Wunschliste mit Gästen zusammengestellt, fast alle Wünsche wurden erfüllt, sagen sie. 21 Mitwirkende sind auf dem Album zusammengekommen. Das ist ein kleiner Bruch mit dem Kitschkrieg-Minimalismus. Mit den vielen Stimmen wirkt das Album heterogener im Sound, erinnert mitunter mehr an eine Compilation von Singles, ist weniger stringent als die Vorgängerprojekte. Einige Songs gehen dadurch unter, andere glänzen. Der mit tanzbaren Grooves unterfütterte Song mit Modeselektor und dem Österreicher Crack Iganz zum Beispiel.

In der Kritik wegen Sexismus

Auch die Hamburger Rapper Gzuz und Bonez von der 187Strassenbande sind auf dem Album vertreten. Beide stehen wegen sexistischer Texte in der Kritik, Gzuz erhielt 2018 einen Strafbefehl wegen sexueller Belästigung, nachdem er beim Splash!-Festival einer Besucherin aus einem fahrenden Auto heraus mit der Hand aufs Gesäß geschlagen hatte. Darf, soll, kann man mit so jemandem weiter zusammenarbeiten? „Wenn wir Gzuz und Bonez nicht mit aufs Album genommen hätten, wäre auf dem Album nicht das komplette Spektrum der Künstler, die wir feiern, abgebildet“, sagt Fiji Kris. „Wir sind uns dessen bewusst, wie kontrovers das diskutiert wird. Die Leute haben alles Recht, das nicht gut zu finden. Aber wir haben uns bewusst dafür entschieden, das auszuhalten.“ Fizzle fügt hinzu: „Für Sachen, die auf unseren Songs gesagt werden dürfen, gibt es eine Grenze. Aber was die Leute sonst so machen, ist ein anderer Schnack. Darauf haben wir nur begrenzten Einfluss.“

Verliebt in Jamaika

Als wir das Thema wieder auf Reggae und Dancehall lenken, entspannen sich die Körper von Kitschkrieg. Ihre Augen glänzen, °Awhodat° hält einen Monolog über ihre Liebe zu Reggae und Dancehall und dessen politische Kraft, Fizzle spricht lachend über seinen Versuch, ein Soundsystem zu etablieren, der kläglich scheiterte und Fiji Kris sagt: „Es ist jetzt unsere Verneigung vor der Dub-Kultur, ein Soundsystem in die König-Galerie zu stellen.“ Diese Verneigung ist ihnen gelungen („KitschKrieg“ von Kitschkrieg ist bei SoulForce/BMG (Warner) erschienen).

Johann Voigt

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