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Jugendbuch "Ich überlebte": Den Tod hatte sie täglich vor Augen
Ein Mädchen aus Schindlers Liste: Rena Finder erzählt in einem bewegenden Buch, wie sie den Holocaust überlebt hat.
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Sie ist zehn Jahre alt, als das Leben für sie und ihre Eltern immer bedrohlicher wird. „Man hatte den Eindruck, dass jeden Tag ein neues Gesetz gegen uns erlassen wurde“, erinnert sich Rena Finder. Mit „uns“ meint sie die Juden ihrer Heimatstadt Krakau. Seit die Wehrmacht im September 1939 Polen überfallen und besetzt hat, bekommen sie den Hass der Eroberer zu spüren.
Eines Tages verkünden die Deutschen, dass Juden keine Radios und Fahrräder mehr besitzen dürfen. Dann wird es ihnen verboten, Gottesdienste zu feiern. Ab Dezember dürfen jüdische Kinder nicht mehr die Schule besuchen. Und alle Juden müssen als Zeichen ihrer Ausgrenzung weiße Armbinden tragen, auf die ein blauer Davidstern genäht ist. Wer sich nicht an die Verbote hält, muss damit rechen, sofort erschossen oder deportiert zu werden.
Armbinden für die Ausgegrenzten
Rena Finders autobiografisches Buch „Ich überlebte“, das sie zusammen mit dem Dokumentarfilmemacher Joshua M. Greene geschrieben hat, ist ein erschütterndes Dokument. Weil zwar Finder den Holocaust überlebt hat, aber so viele Menschen nicht, die ihr nahestanden, angefangen mit ihrem Vater, der in Auschwitz ermordet wurde. „In meinen Augen war mein Vater der klügste und stärkste Mann auf der Welt“, schreibt sie, „und ich war überzeugt davon, dass ihm nichts passieren würde“. Finder und ihre Mutter kamen mit dem Leben davon, weil sie zusammen mit rund 1200 Jüdinnen und Juden für den Unternehmer Oskar Schindler arbeiteten. Er hat sie gerettet.
Man kennt diese Geschichte aus Steven Spielbergs Spielfilm „Schindlers Liste“, doch in Finders Buch bekommt sie eine größere Kraft und Unmittelbarkeit, weil die Autorin sie selbst erlebt hat. Im März 1940 müssen Rena und ihre Eltern wie alle Krakauer Juden ihre Wohnungen verlassen und ins Ghetto umziehen, einem mit Mauer und Stacheldraht abgeriegelten und von Soldaten streng bewachten Viertel im Süden der Stadt.
Wo zuvor 3000 Menschen lebten, werden nun mehr als 16 000 Juden zusammengepfercht, in winzigen Wohnungen und bei miserabler Verpflegung. Zusammen mit ihrer Mutter muss Rena Zwangsarbeit in einer Druckerei leisten, 12 Stunden täglich, sieben Tage pro Woche.
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„Den Tod hatten wir im Krakauer Ghetto täglich vor Augen“, erzählt Finder. Rudy, ein Freund ihres Vaters, wird von einem deutschen Offizier erschossen, als er vom dem Ghetto-Krankenhaus steht. Der einzige Grund für den Mord: Er ist ein Jude. Als das Ghetto im März 1942 aufgelöst wird, kommen Rena und ihre Mutter in das Konzentrationslager Plaszow. Das Essen dort besteht aus einer faulig riechender Schüssel Suppe und einem alten Stück Brot pro Tag.
[Joshua M. Greene: Ich überlebte. Aus dem Englischen von Manuela Knetsch. Hanser, München 2022. 111 Seiten, 15 €. Ab 13 Jahre]
Der Kommandant Amon Göth ist dafür berüchtigt, dass er vom Balkon seiner Villa aus Häftlinge erschießt. Er soll nie gefrühstückt haben, ohne zuvor mindestens einen Menschen getötet zu haben. „Es machte ihn glücklich zu morden“, schreibt Finder. Aber nur drei Kilometer entfernt betreibt Oskar Schindler die Deutsche Emailwarenfabrik, die als kriegswichtig gilt, weil dort Granatenhülsen produziert werden. Weil sie den Mann kennen, der die Liste mit den „Schindlerjuden“ führt, gelingt es Rena und ihrer Mutter, dort unterzukommen.
Freigekauft mit Edelsteinen
Schindler ist Mitglied der NSDAP, behandelt Juden aber wie Menschen. Anfangs beschäftigt er sie, weil sie billige Arbeitskräfte sind, doch bald investiert er sein gesamtes Vermögen, um SS-Bonzen wie Göth zu bestechen, damit die jüdischen Gefangenen in seinem Betrieb bleiben können. Finder nennt ihn einen „Engel“. Als eine Gruppe seiner Arbeiterinnen trotzdem nach Auschwitz deportiert werden – darunter Rena und ihre Mutter – kauft Schindler sie mit einem Säckchen Edelsteine frei.
Nach dem Krieg heiratet Rena Finder, zieht in die USA und bekommt drei Kinder. 1979 lernt sie die Gründerin der Organisation „Facing History and Ourselves“ kennen und beginnt in Schulen, Universitäten und Synagogen über ihr Leben zu berichten. Ihr bewegendes Buch endet mit einem Appell an ihre jungen Leser, sich für Ausgegrenzte einzusetzen: „Steht für sie ein – und nicht nur unbeteiligt dabei.“
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