Kultur: Denk ich an Deutschland
Ingo Metzmacher, neuer Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, über seinen Berlinstart
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Herr Metzmacher, Ihren Hamburger Posten haben Sie aus Protest gegen die dortige Kulturpolitik aufgegeben, und an der Amsterdamer Oper haben Sie einigen Gegenwind zu spüren bekommen. Warum übernehmen Sie jetzt überhaupt noch eine Position als Chefdirigent?
Mich interessiert es nun mal, an größeren Projekten zu arbeiten und mit meiner Arbeit nachhaltig beim Publikum wie bei den Musikern zu wirken. Und als Gastdirigent kann ich das nicht. Allein schon, weil ich dann die Programme, die ich spannend finde, gar nicht durchsetzen könnte.
Was finden Sie denn spannend?
Als ich mich zum ersten Mal mit der Möglichkeit auseinandergesetzt habe, Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters zu werden, fiel mir ein großes Thema ein: Ich möchte mich in den nächsten Jahren mit dem Deutschen in der Musik auseinandersetzen. Ich finde, das gehört hier nach Berlin, und außerdem werde ich der erste deutsche Chefdirigent dieses Orchesters sein, das das Wort „Deutsch“ sogar im Namen hat. Ich wünsche mir, dass das DSO künftig als Deutsches Nationalorchester im positiven Sinn verstanden wird, ähnlich wie in Frankreich das Orchestre National de France.
Wie ist denn nun das Deutsche?
Auf jeden Fall ist es sehr vielseitig. Faszinierend ist doch gerade, dass im Deutschen die Extreme sowohl des Guten wie des Schlechten möglich sind. Wir starten zum Beispiel am 3. Oktober mit Hans Pfitzners Kantate „Von deutscher Seele“ - einem Stück, das bisher schon wegen Pfitzners Unterstützung der Nationalsozialisten unter starkem ideologischen Verdacht stand. Dann kommt Kurt Weills „Silbersee“, ein hoch symbolisches Stück, das Weill kurz vor seiner Flucht in die USA geschrieben hat. So werden wir versuchen, im Rahmen einer eigenen Konzertserie diese verschiedenen Seiten des Deutschen zu beleuchten – auch die leichte übrigens, die mit einer Kombination von Hans Wener Henzes Mendelssohn-inspirierter achter Sinfonie sowie dessen Musik zum „Sommernachtstraum" vertreten sein wird.
Woher kommt dieses besondere Interesse für das Deutsche? Hat das auch biografische Ursachen?
Natürlich. Ich bin Jahrgang 57, meine Eltern haben das Dritte Reich noch voll miterlebt. Dieses Nachdenken darüber, was es heißt, deutsch zu sein, war für mich seit meiner Jugend präsent – als Student habe ich mich zum Beispiel viel mit dem deutschen Widerstand beschäftigt. Und später habe ich lange im Ausland gelebt, da wird man sich automatisch seiner Herkunft bewusster. Auch weil man sie öfter verteidigen muss.
Hat sich diese Auseinandersetzung schon früher in Ihrer Arbeit niedergeschlagen?
Sicher. Vor allem in meiner Zusammenarbeit mit dem Regisseur Peter Konwitschny. Die Opern, die wir zusammen in Hamburg herausgebracht haben, gehörten fast alle zum deutschen Kernrepertoire: von „Freischütz“, „Lohengrin“ und den „Meistersingern“ bis zum „Rosenkavalier“ und „Moses und Aron“.
Sie sind in Hamburg vor allem als Operndirigent hervorgetreten. Werden Sie auch in Berlin Oper machen?
Ich habe nicht die Absicht, an einem der Berliner Opernhäuser zu dirigieren – erst mal habe ich ja auch noch ein Jahr als Chef an der Amsterdamer Oper vor mir. Aber ehrlich gesagt bin ich nach all den Jahren auch etwas opernmüde. Ich habe das Gefühl, dass für mich jetzt ein Konzertorchester dran ist.
Sie gelten als energischer Befürworter der Moderne. Wie viel neue Töne verträgt das Berliner Publikum?
Ich glaube, dass die Empfänglichkeit des Publikums für Neue Musik stark davon abhängt, wie man sie präsentiert. Für mich besteht die Bedeutung eines Konzertprogramms darin, dass eine Zusammenstellung das Gefühl für jedes gespielte Stück schärft. Mir käme es zum Beispiel nie in den Sinn, Beethoven mit Mahler zu kombinieren. Aber Mahler mit Helmut Oehring, das macht Sinn. Helmut Oehring ist übrigens ein Komponist, den ich besonders fördern will: In jeder Saison soll ein größeres Werk von ihm auf dem Spielplan stehen. Oehring hat für mich einen ganz authentischen, eigenen Ton, im Gegensatz zu vielen jungen Komponisten, die zwar ungeheuer virtuos schreiben können, aber keine eigene, wiedererkennbare Stimme besitzen.
Das DSO ist mit drei anderen Ensembles im Dachverband der Rundfunkorchester und -chöre (ROC) zusammengeschlossen. Dort wünscht man sich ein stärkeres gemeinsames Auftreten der Ensembles.
Ich glaube schon, dass ein solches Projekt möglich und sinnvoll ist. Nur sollte es dann mit dem Entstehungsgrund der ROC zu tun haben. Diese Konstruktion ist eine Folge der Wiedervereinigung, und daher fände ich es sinnvoll, wenn sie sich mit der Musik beschäftigt, die in den beiden Teilen Deutschlands zwischen 1945 und 1989 entstanden ist. Da gibt es eine Menge aufzuarbeiten!
Berlins Orchester werben derzeit intensiv um neue Publikumssschichten – sowohl das Konzerthausorchester wie die Philharmoniker planen beispielsweise, durch die Integration islamischer Musik die türkischstämmige Bevölkerung anzusprechen.
Ich denke da eher von der Musik selbst her. Für mich selbst steckt in der klassischen bis zeitgenössischen E-Musik mehr Bedeutung drin als oft unterstellt wird. Für mich ist es wichtiger, die Hemmschwelle zu senken, die einem Konzertbesuch entgegensteht, als mit Multikulti- Projekten Aufmerksamkeit zu erregen. Wir werden deshalb in der kommenden Saison drei so genannte Casual Concerts veranstalten, bei denen das klassische Konzertritual aufgebrochen wird: Das Orchester trägt Zivil, es gibt Einheitspreise und freie Platzwahl, und ich werde auch etwas zu den Stücken sagen. Wir starten mit Musik von Leonard Bernstein, weil das sozusagen der Urvater der Klassik-Vermittlung ist. Und damit komme ich noch mal zur Anfangsfrage zurück: Solche Projekte kann man eben nur durchsetzen, wenn man selbst der Chef ist.
Das Gespräch führte Jörg Königsdorf. Weitere Informationen zur neuen Saison des DSO unter www.dso-berlin.de
Geboren 1957 in Hannover als Sohn des Cellisten Rudolf Metzmacher, studiert Ingo Metzmacher in seiner Heimatstadt, in Salzburg und Köln Musiktheorie, Klavier und Dirigieren. Beim Ensemble Modern in Frankfurt am Main arbeitet er zunächst als Pianist, dann auch als Dirigent. 1997 wird Metzmacher Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper und macht vor allem durch seine Produktionen mit dem Regisseur Peter Konwitschny überregional von sich reden. In seinen „Who is afraid of 20th century music?“ betitelten Silvesterkonzerten setzt er sich für die Popularisierung zeitgenössischer Musik ein. Seit 2005 ist Metzmacher Musikchef der Oper in Amsterdam , eine Position, die er bis zum Sommer 2008 ausfüllen wird. Im Herbst 2007 tritt Ingo Metzmacher die Nachfolge von Kent Nagano als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin an. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
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