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Sensationeller Fund im Keller: die Mitgliederkartei des 1. FC Nürnberg von 1928 bis 1955.

© Starfruit Publications

Der Club und die Ausgeschlossenen: Der 1. FC Nürnberg und seine jüdischen Mitglieder

Der Publizist Bernd Siegler hat für den Nürnberger Club exemplarisch recherchiert, wie man Juden schon im April 1933 die Tür wies.

Von Andreas Austilat

Stand:

Warum sich über Jahrzehnte niemand die Mühe machte, den Inhalt der 15 Kartons zu sichten, die da in einem Keller auf dem Nürnberger Vereinsgelände des 1. FC Nürnberg vor sich hin schimmelten, vermag wohl keiner mehr zu sagen. Immerhin, im April 2021 zeigte der Hausmeister seinen Fund dem Publizisten und ehemaligen „taz“-Redakteur Bernd Siegler.

Siegler hatte sich bereits als Club-Historiker bewährt. Spezialgebiet: die Vereinsgeschichte während des Nationalsozialismus. Der Fund enthielt die verschollen geglaubte Mitgliederkartei der Jahre 1928 bis 1955. Eine Rarität in der deutschen Fußballgeschichte – neben dem 1. FC Nürnberg verfügt einzig Berlins Hertha BSC über eine derartige Kartei.

Sie erlaubte Siegler eine Recherche, die ihresgleichen sucht und aus der er jetzt ein Buch gemacht hat – mit Unterstützung des Vereins: „Heulen mit den Wölfen – der 1. FC Nürnberg und der Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder.“ Bislang war nämlich nur der Name eines einzigen jüdischen Club-Mitglieds bekannt, den man im April 1933 aus dem Verein geworfen hatte – im vorauseilenden Gehorsam und zum Gefallen der neuen Machthaber.

Auch der, Franz Anton Salomon, war ein Zufallsfund gewesen. Weil Salomon den Brief nicht aus der Hand gab, in dem ihm der Club lapidar mitteilte, er sei fortan „aus unserer Mitgliederliste gestrichen“. Auch nicht auf seiner Flucht, die ihn über Italien nach Belgien führte und schließlich in einem südfranzösischen Internierungslager zu enden drohte. Wie er und mit wessen Hilfe er sich dort befreite, ist unbekannt. Aber er schaffte es über Trinidad in die USA.

Salomon hatte es nie verwunden, dass ihm nicht die NS-Behörden, sondern ein bürgerlicher Verein die Tür gewiesen hatte. Der Brief landete im New Yorker Leo-Baeck-Institute. Als Einzelstück. Doch mit dem Fund im Nürnberger Keller wurde deutlich, wie viele sein Schicksal teilten. Allein 142 jüdischen Mitgliedern hatte der 1. FC Nürnberg am 30 April 1933 die Tür gewiesen.

Das Besondere an Sieglers Buch ist die detaillierte Recherche, mit der er diesen 142 Männern und Frauen ihre Identität wiedergab. Von jedem Einzelnen, mal ausführlicher, mal knapper, meist mit Foto, selten ohne, erzählt Siegler aus ihrem Leben, von ihrer Flucht, so sie denn erfolgte, oder von ihrem Sterben, durch Suizid oder im Vernichtungslager.

Eingebettet hat Siegler diese biografischen Skizzen in ein Davor und ein Danach. Akribisch zählt er auf, wie zeitig und durchaus noch ohne Not der Club die Gleichschaltung vorwegnahm. Wobei es nicht um irgendeinen Verein ging, der 1. FC Nürnberg war in den 20er Jahren Rekordmeister mit fünf Titeln, spielte eine dominierende Rolle im deutschen Fußball, hatte viermal so viele Mitglieder wie der Hauptstadtclub Hertha BSC.

Doch - auch das gehört zur Wahrheit - Nürnberg agierte kaum schlimmer als viele andere Großclubs jener Jahre, die viel Eigeninitiative und wenig Zivilcourage demonstrierten, wenn es um den Ausschluss ihrer jüdischen Sportkameraden ging. So übten sich die erfolgreichsten süddeutschen Clubs schon am 9. April 1933 in Stuttgart in der Gleichschaltung, zehn Tage später folgte der DFB.

Nach dem Krieg gab es nur einen kurzen Moment der Selbstkritik im Jahre 1948, bevor Nürnberg wie viele andere Clubs sich als Opfer stilisierte und die eigenen Verfehlungen als Mitläufertum verkleinerte. 1950 hatten dann überwiegend dieselben Leute das Sagen, die schon 1933 beim Ausschluss der jüdischen Mitglieder mitwirkten. Auch das hat Siegler akribisch recherchiert.

Erst in den 2000er Jahren begann die ernsthafte Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit, wie bei den meisten bundesdeutschen Clubs. Erst 2021 machte der 1. FC Nürnberg den Ausschluss jüdischer Mitglieder symbolisch rückgängig.

Die zögerliche Haltung beweist ebenso wie diskriminierende Sprechchöre, die leider bis heute in deutschen Stadien immer wieder vorkommen, wie wichtig eine Arbeit wie die von Bernd Siegler ist.

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