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Ein Star seiner Zunft. Der Soziologe Ulrich Beck, 1944-2014.

© picture alliance /Leonardo Cend

Ulrich Beck gestorben: Der demokratische Existentialist

Von der Risikogesellschaft zum Merkiavellismus: Zum Tod des großen Soziologen und Universalgelehrten Ulrich Beck, der im Alter von 70 Jahren gestorben ist.

Wenn es die wahre Mischung aus blitzender Intellektualität und hellwachem Common Sense gab, dann hat sie der am Neujahrstag an einem Herzinfarkt gestorbene Soziologe Ulrich Beck verkörpert.

Beck war erst siebzig Jahre alt und ein quirliger, im deutschen Geistesleben schon vom Habitus und Temperament her durchaus ungewöhnlicher Kopf. Als gebürtiger Hinterpommerer, also Preuße, der in Freiburg studierte, mit einem eher süddeutschen Humor gesegnet und lässig wirkender, aber verlässlicher Freundlichkeit begabt. Durch sein in mehr als 35 Sprachen übersetztes Buch über die „Risikogesellschaft“ war Ulrich Beck schon lange ein Star seiner Zunft. Diese Deutung der globalen Moderne, in der es ökologischen, ökonomischen und politischen Katastrophen durch analytische Antizipation und praktische Vernunft zu begegnen gelte, erschien im Jahr 1986, just vor der Kernschmelze des Atomkraftwerks von Tschernobyl. Seitdem gilt die „Risikogesellschaft“ als eines der zwanzig einflussreichsten soziologischen Werke des zwanzigsten Jahrhunderts.

Danach hat Ulrich Beck in gut einem Dutzend weiterer Bücher, in unzähligen Aufsätzen, Interviews, Zwischenrufen zu fast allen denkbaren Zeitfragen Stellung bezogen. Befeuert von seiner enzyklopädischen Bildung und einer schier unerschöpfliche Fülle der Interessen, hätte man den über die Universitäten Münster und Bamberg nach München gelangten Professor für Soziologie und Mitglied der London School of Economics in früheren Zeiten wohl als uomo universale bezeichnet. Einen Universalisten vom Schlage eines Erasmus, Hegel oder Humboldt.

Doch Ulrich Beck blieb der im Umgang unkompliziert menschenfreundliche, für Studenten, Freunde oder Fragesteller jederzeit offene Mitbürger. Ziviles, zivilgesellschaftliches Engagement war ihm selbstverständlich. Beck bezog darum nie Wohnung im akademischen Elfenbeinturm, sondern liebte den Austritt ins Freie, Offene, auch den Marktplatz. Nicht den der Eitelkeiten, sondern jene Agora, den altgriechischen Versammlungsplatz der Stadt- und Staatsbürger, auf dem sich Politiker auch mit Philosophen mischten. Und einmischten.

Mit festem Boden unter den Füßen nach den Sternen greifen

In Becks Begriff des Common Sense schwang der angelsächsische Pragmatismus mit, die Haltung, nur mit festem Boden unter den Sohlen nach den Sternen zu greifen. Und Argumente nicht elitär, sondern im sokratischen Dialog auszutauschen, fundamental, doch nicht fundamentalistisch. Durchaus aber auch mal: feuilletonistisch. Quecksilbrig schnell gedacht, einprägsam formuliert, manchmal mehr für das aktuelle Momentum, die Zeit und die Zeitung als für die wissenschaftlich längere Weile gedacht.

Um es vereinfacht zu sagen: Ulrich Beck hatte im Schreiben und Reden nicht immer den Tiefgang eines Jürgen Habermas, der noch von Adornos und Horkheimers Frankfurter Schule geprägt ist, von der Symbiose von Soziologie und Philosophie. Andererseits inszenierte Beck auch nicht das intellektuelle Kugelblitztheater eines Peter Sloterdijk, der als nietzscheloser Nietzscheaner mitunter noch das letzte Amalgam von Poesie und Philosophie zu bilden scheint. Nein, Ulrich Beck blieb ein Solitär.

Wie Peter Sloterdijk und Jürgen Habermas gehörte er als Autor zur Suhrkamp-Kultur und war ein Leitgestirn jener so genannten reflexiven Zweiten Moderne, die sich vom post(post)modernen romanischen Modemeisterdenkerschnickschnack abhebt durch mehr Stringenz und Nähe zu den politischen Themen der Gegenwart. Gemeint ist die Moderne am Ende des einst modernen (analogen) Industriezeitalters. Gut zwei Jahrzehnte nach der „Risikogesellschaft“ hat Ulrich Beck den Blick dann nochmals geweitet und 2007 seine Studie zur „Weltrisikogesellschaft“ veröffentlicht. Beck dachte Kants Idee vom vertraglich grundierten globalen Frieden emphatisch weiter und träumte im Grunde von einem neuen universellen Völkerrecht: als Regulativ und Instrumentarium angesichts vermehrter lokaler, asymmetrischer Kriege, Terrorattacken und ökologischer Bedrohungen.

Es wirkt darin auch der ins Weltweite gedachte Befund der sozialen Verbundenheit, der technologischen wie auch zum Überleben des Globus notwendigen ethischen Vernetzung. Freiheit und immer mehr individuelle Lebensansprüche verlangen demnach auch eine neue, den allgegenwärtigen Kapitalismus transzendierende Moral. Beck, der demokratische Existentialist, sagt: „Individualisierung muss unterschieden werden von Individualismus oder Egoismus.“

Gleichzeitig stellte der erklärte Kosmopolit seinen Fokus, ähnlich wie Jürgen Habermas, seit etlichen Jahren auch immer schärfer ein auf: Europa. Zusammen mit Daniel Cohn-Bendit publizierte Beck im Jahr 2012 unter dem Titel „Wir sind Europa!“ ein „Manifest zur Neugründung der EU von unten“.

Mit Blick vor allem auf auf die grassierende Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern und die innerhalb der Union aufklaffende Schere zwischen Armut und Reichtum appellierte das Manifest nicht nur an Brüssel, vielmehr auch an die nationalen Parlamente und Bevölkerungen, um beispielsweise ein „Freiwilliges soziales Jahr“ in Europa zu schaffen: aus und gegen „die Wut über eine Politik, die mit riesigen Summen Banken rettet, aber die Zukunft der Jugend verspielt“. Zu den Mitunterzeichnern des Manifests gehörten damals Helmut Schmidt, Jacques Delors, Richard von Weizsäcker, Javier Solana, Joschka Fischer ebenso wie die Literaturnobelpreisträger Imre Kertész und Herta Müller.

Als die Selbstmordbomber am 11. September 2001 in die New Yorker Zwillingstrüeme rasten, war Ulrich Beck mit seiner Frau, der Familiensoziologin Elisabeth Beck-Gernsheim – mit der er ein schönes Buch über Liebe und Familie am Rande der Auflösung geschrieben hatte – gerade beim Wandern. Auf dem Weg nach Santiago de Compostela, auf dem alten, durch Hape Kerkeling auch in Deutschland wieder popularisierten Jakobspfad. Ulrich Beck, religiös wohl ähnlich „unmusikalisch“ wie Jürgen Habermas (der es so ausgedrückt hat), nahm die Wanderung eher als säkulare Auszeit, zum peripatetischen Nachdenken.

Die ultima ratio der deutschen Politik: das Zögern

In solchem Wandelgang hat er auch aufmerksam das Wiedererstarken der Relionen oder zumindest des Religiösen inmitten dieser ganzen globalen Moderne beobachtet. In einem Sonntags-Interview mit dem Tagesspiegel vermutete Beck noch vor sieben Jahren: „Die Religion hat den Anspruch auf Welterklärung an die Wissenschaft abgegeben und den Anspruch auf Herrschaftslegitimation an die Politik. Das bedeutet zugleich: Sie kann sich jetzt auf das Eigene konzentrieren. Auf das spirituelle Erlebnis. Das ist es, was die Menschen vermehrt suchen.“

Den Streit um die Mohammed-Karikaturen oder die Ansprüche der christlichen Kirchen gegenüber einer womöglich schrankenlosen Humangenetik sah Beck bereits und sprach, wiederum ähnlich wie Habermas, vom Gedanken des „reflektierten Tabus“. Die radikaleren, totalitären Herausforderungen des politischen Islamismus nahm Beck dann erst später und deutlicher ins Visier. Und er blickte im europäischen Kontext durchaus auch aufs Eingemachte der deutschen Politik.

Ein Wort von Ulrich Beck wird hierzu bleiben: der Merkiavellismus. In einem „Spiegel“-Essay vor gut zwei Jahren hat er den Begriff geprägt. Beck sah als „ultima ratio“ der deutschen Politik nicht mehr wie in älteren Zeiten die Gewalt, sondern das Zögern. Schon deshalb seien alle Anspielungen auf ein „Viertes Reich“ so absurd. Dennoch übe Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Macht auf Europa aus: durch scheinbaren Machtverzicht, im Kostüm der offensiv Zögerlichen, die zur Rettung des Euro und der bedrängten Schuldenländer immer wieder ihr „machtpokerndes Jein“ verkündet habe. So verkörpere die Politik der Kanzlerin die zuvor nie geahnte Verbindung von Neoliberalismus und Sozialdemokratismus.

Eine Stimme wie die von Ulrich Beck wird jetzt fehlen. Jüngere Zeitgeister als intellektuelles Gewissen der Gesellschaft sind in Deutschland kaum mehr in Sicht. Erst vor einigen Monaten ist er in Japan beim Weltkongress der Soziologie für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden – mit dem höchsten Preis zur Erforschung von Gegenwart und Zukunft.

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