
© Hreinn Friðfinnsson/Kunst-Werke
Kunst-Werke zeigen Hreinn Friðfinnsson: Der Isländer, der Ólafur Elíasson prägte
Hreinn Friðfinnsson gilt als Geheimtipp unter Kunstliebhabern, und als Inspirationsquelle großer Stars. Eine Schau in Mitte zeigt sein Werk.
Stand:
Die stillen Stars des Kunstbetriebs, das sind die „Artist’s Artists“. Künstler-Künstler inspirieren ihre jüngeren Kollegen, die dann oft berühmter werden als sie selbst.
Lutz Bacher, im Mai verstorben, blieb zum Beispiel nahezu 40 Jahre lang ein Geheimtipp. Erst im letzten Lebensjahrzehnt wurde sie (!) für ein größeres Publikum sichtbar – eine Künstlerin, die sogar aus ihrem Geschlecht ein Mysterium machte.
Oder Thomas Bayrle: Als Professor der Frankfurter Städelschule prägte er Studenten wie Tobias Rehberger und wurde erst als über 60-jähriger Emeritus einer breiten Kunstöffentlichkeit bekannt.
In den Berliner Kunst-Werken rücken derzeit gleich zwei „Artist’s Artists“ von der Hinterbühne ins Rampenlicht. Die verschnürten und verformten Torsi der Malerin Christina Ramberg sind im Erdgeschoss zu sehen. In die beiden Stockwerke darüber stellt mit Hreinn Friðfinnsson ein weiterhin großer Unbekannter aus.
Stars wie Philippe Parreno und Ólafur Elíasson haben den 1943 geborenen und heute in Amsterdam lebenden Konzeptkünstler als wegweisende Figur bezeichnet. „Wenn ich eine Sprache wäre“, schrieb Elíasson einmal, „wäre ich gerne diejenige Sprache, die von Hreinns Werken gesprochen wird.“
Kunst über Sprache und Zeichen
Seine Kunst zielt weniger auf Materialwirkungen, sie ist von Sprache und Zeichen her gedacht. 1964 gründete Friðfinnsson in Reykjavík das Künstlerkollektiv SÚM.
Hier führte der schweizerisch-deutsche Künstler Dieter Roth, der zeitweilig in Island lebte, die jungen isländischen Künstlerinnen und Künstler an eine „nicht-retinale“ Ästhetik heran, wie sie schon der Konzeptkunst-Vordenker Marcel Duchamp gefordert hatte.
Kunst-Werke-Chef Krist Gruijthuijsen und sein Co-Kurator Andrea Bellini präsentieren die erste Retrospektive des 76-Jährigen in Deutschland. Im ersten Stock dominieren die 70er Jahre, im zweiten die 80er.
Architektur, Natur und die Unendlichkeit
Beide Etagen verbindet die Wandarbeit „Palace“ von 1990, bestehend aus Maschendraht, den Friðfinnsson zu kleineren Honigwaben-Strukturen zerschnitten hat. Die kumulative Reihung setzt sich fort bis hin zu zwölf mal zwölf Sechsecken an der Basis, lässt sich jedoch endlos weiterdenken. Architektur und Natur sowie Unendlichkeit: zentrale Themen Friðfinnssons.
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Obwohl er als Konzeptualist Materialeffekte ablehnt, nutzt der Künstler eine Vielzahl an Medien, Werkstoffen und Objekten. Malerei, Texte, Fotografie und Film kommen zum Einsatz; er arbeitet mit Papier, Holz, Seide, Samt, Schuhen, Spinnweben oder Kristallen.
Vor allem aber hat er sich als Sammler immaterieller Dinge hervorgetan. Für das Langzeitprojekt „I Collected Personal Secrets“ bat Friðfinnsson zwischen 1972 und 2015 verschiedene Menschen darum, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen.
Materialbild aus Schnipseln
Vor vier Jahren vollendete er sein Projekt, indem er lauter Zettel schredderte und ein Materialbild aus den Schnipseln klebte. Die 90-mal-95-Zentimeter-Platte ist in den Kunst-Werken beidseitig zu betrachten.
Die absurde Pointe: Friðfinnsson hatte Anfang der 70er dafür zwar ein Inserat in einer niederländischen Kunstzeitschrift geschaltet, aber seine Bitte um Einsendungen wurde nicht erfüllt. Der Künstler erhielt nie ein „Geheimnis“. Virtueller als sein Schredderbild kann Konzeptkunst nicht sein.
Ein weiteres Nicht-Material, mit dem Friðfinnsson arbeitet, ist die Zeit. 1971 kombiniert er zwei Fotografien, die den jungen Hreinn 1962 in Island und als Erwachsenen neun Jahre später in Holland zeigen.
Auf beiden Fotos ist Friðfinnsson mit Bleistift und Papier beschäftigt. Die Fotoarbeit heißt „Drawing a tiger“, ihr Gegenstand ist nicht der Tiger – dessen gezeichnetes Abbild man kaum erkennen kann –, sondern die Zeit.
[Kunst-Werke, bis 5. 1.20, Mi bis Mo 11–19, Do 11–21 Uhr. Katalog 29,80 €]
Einige der rund 50 gezeigten Werke wirken allerdings weder subtil noch poetisch, sondern banal. Zwei Fotoabzüge zeigen denselben Raumausschnitt, darunter stehen voneinander abweichende Beschriftungen: „Ein Ort der Hoffnung und Erwartung“ soll zu sehen sein, gleichzeitig „Ein Ort des Scheiterns und der Enttäuschung“.
Eine Stimmungsfrage, natürlich, „A Place“ (1975) kommt philosophisch daher und ist doch flach. Andere Werke neigen zum Kunstgewerblichen. Das hängt auch damit zusammen, dass die von Lucy Lippard in den frühen 70ern postulierte „Dematerialisierung der Kunst“ in einer durchdigitalisierten Welt nicht das Konzept der Stunde sein kann.
„First House“, das Friðfinnssons im Sommer 1974 baute, ist jedoch ein Musterbeispiel großartiger Konzeptkunst: Von einem Roman Thorbergur Thordarsons aus den 30ern inspiriert, errichtete der Künstler die Skulptur in einer unbesiedelten Region Islands. Tapete und Vorhänge brachte er außen an.
Das Außen schrumpft so auf ein paar Quadratmeter, während das Innere nach außen gestülpt ist. Das Interieur dehnt sich unendlich aus. Unser Wohnzimmer, das Universum.
Jens Hinrichsen
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