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Video-Streit: Der Krieg der kaukasischen Stellvertreter

Im Internet streiten Armenier und Aserbaidschaner erbittert um ein syrisches Youtube-Video: Wem gehört die Musik, zu der die Rebellen in Aleppo tanzen? Zur Verbreitung armenischer Plagiate in Europa soll ausgerechnet ein Deutscher beigetragen haben.

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Einige Tage vor dem Angriff durch Assads Armee feierten junge Aufständische in Aleppo ihren Kampfesmut. Sie tanzten und sangen, jemand stellte ein Video auf Youtube ein, das es in wenigen Tagen auf 200 Kommentare brachte Es war ein erbitterter Streit entbrannt zwischen Angehörigen zweier ganz anderer Staaten: Armeniern und Aserbaidschanern. Zwar wünschen die ersten Kommentatoren den Rebellen den Sieg, doch dann ist zu lesen: „Das ist aserbaidschanische Musik“. Kurz darauf erscheinen die Reizworte „armenian song“. Ein Sturm bricht los, teilweise unter Verwendung böser F-Worte. Vergessen sind vorerst die Syrer unter Assads Bombenhagel.

Der Ernst der Sache zeigt sich in den Beschwerdebriefen, die Aserbaidschan mit viel Tamtam dem Europarat und den UN übergab, und den armenischen Reaktionen auf die Plagiatsvorwürfe. Dahinter steckt eine leidvolle Vergangenheit mit Pogromen, Flucht und Vertreibung auf beiden Seiten. Nach blutigen Kämpfen wurde Anfang der Neunziger mit Hilfe russischer Einheiten die Enklave Berg-Karabach von Armenien besetzt. Aserbaidschan will sich mit der Besatzung nicht abfinden, Armenien leidet unter der Isolation.

Die Verhandlungen stagnieren, es ist keine Lösung in Sicht, und so werden die Aggressionen in kulturellen Fragen angeheizt – ob es um die Frage geht, wer kulinarische Spezialitäten wie die Dolma erfunden hat, um Plagiate von Melodien oder Teppichmustern. Die Bezichtigung des Diebstahls und der Zerstörung aserbaidschanischer Kulturgüter kontern die Armenier mit demselben Vergehen seitens der Aserbaidschaner und weisen auf ihren beträchtlichen Beitrag zur Entwicklung von deren Musik hin.

Zur Verbreitung armenischer Plagiate in Europa soll ausgerechnet ein Deutscher beigetragen haben: Friedrich von Bodenstedt. Von einer Reise nach Eriwan 1844 brachte er viele Manuskripte mit und soll auch aserbaidschanische Lieder, Märchen und Sprichwörter den Armeniern zugeordnet haben. Kenntnisse der wichtigsten kaukasischen Sprachen erwarb er bei dem aserbaidschanischen Dichter Mirza Schafi Vazeh. Der verschaffte ihm zugleich Einblick in kaukasische Sitten und Kultur. Zurück in Deutschland gelang Bodenstedt ein literarischer Coup: seine „Die Lieder des Mirza-Schaffy“ brachte es in der damaligen Orientbegeisterung auf 142 Auflagen allein zu seinen Lebzeiten. Als aber herauskam, dass es sich bei den Gedichten nicht um Übersetzungen handelte, sondern um Selbstgeschriebenes, garniert mit orientalischen Zutaten, musste Bodenstedt einen Karriereknick hinnehmen. Ein Plagiat konnten ihm aserbaidschanische Wissenschaftler allerdings nie nachweisen.

Internet-Krieg lenkt von Problemen im jeweils eigenen Land ab

Eine ähnliche Rolle spielen heute die Armenier. Als Volk mit einer gewaltigen und einflussreichen Diaspora verbreiten sie kaukasische Lieder und Musik auf der ganzen Welt. Die eingangs erwähnte Melodie zum Gesang der syrischen Rebellen entstammt einer beliebten Fernsehserie vom Anfang der siebziger Jahre. Der schmachtende Gesang des närrischen Helden Ghawar, in abgrundtiefer Verzweiflung zum Schluss sogar auf Deutsch und Italienisch, erfreut sich in Syrien immer noch großer Bekanntheit.

Zur gleichen Melodie sang die auch in Armenien verehrte, aserbaidschanische Sängerin Zeynab Chanlarova das Lied „Sene Kurban“ (Ich opfere mich für dich). Es wurde bereits 1968 von ihrem Landsmann Alakbar Tagijev komponiert. In Syrien lebt eine 60 000köpfige armenische Community, und auch Chanlarova gab viele Konzerte im Nahen Osten. So wurde im Irak ihr Friedenslied ganz populär.

Chanlarova, inzwischen 75 Jahre alt, ruft jetzt dazu auf, diejenigen zu verfluchen, „die einen Graben zwischen unsere Völker reißen“. Vielleicht beginnt ja bald auch manchem der leidenschaftlichen Internet-Krieger zu dämmern, wie sie instrumentalisiert werden, um von Problemen im jeweils eigenen Land abzulenken.

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