zum Hauptinhalt
Der tägliche Gang zum Brunnen. Erika Bök kämpft sich durch den unheilvoll heulenden Wind vor ihrer Steinhütte.

© Berlinale

Berlinale: Der Letzte macht das Licht aus

Längst alles gesagt: Béla Tarr reitet mit dem "Turiner Pferd" sein Kino zu Tode.

Von Gregor Dotzauer

Mit dem „Turiner Pferd“, hat Béla Tarr verkündet, sei sein filmisches Werk abgeschlossen. Bitterer als mit den 146 Minuten dieses Selbstplagiats könnte er aber nicht offenbaren, dass er vor vier Jahren mit dem „Man from London“ längst alles gesagt hatte, was er je zu sagen hatte. Tarrs Glaube, dass nur in der vollkommenen Hoffnungslosigkeit ein Moment von Befreiung liege, ist in die Mühlen seines eigenen Verlangsamungsstils geraten.

Die sich unaufhaltsam verdunkelnde Welt, der ewige Kreislauf von Herrschaft und Unterwerfung, das Anwachsen von Zerfall und Niedertracht und die Sinnlosigkeit jeden Aufbegehrens – alles, was er mit seinem Stofflieferanten, dem Schriftsteller László Krasznahorkai, mit ebenso physischer wie philosophischer Eindringlichkeit zu inszenieren wusste, wird hier erst unendlich verdünnt und dann dick aufgegossen: „Das Turiner Pferd“ (A torinói ló) ist von vorn bis hinten gepanschter Tarr. Mihály Vigs aus dem Off sinister anschwellende Streicher-Elektroorgel-Ostinati sind dafür nur ein Zeichen: Früher fand Musik auf der Szene statt.

Man sollte diesen Film deshalb besser nicht als Testament betrachten. Denn der Ungar hinterlässt drei Arbeiten, von denen das metaphysische Erbe des europäischen Kinos noch lange zehren wird: „Verdammnis“, eine Vorstufe zum siebeneinhalbstündigen Geniestreich „Satantango“, und „Werckmeister Harmóniák“, das in seiner altmeisterlich ausgekosteten, schwarz-weißen Dehnungskunst schon das äußerste Ende eines Universums bildet, das damit durchquert war.

Für das „Turiner Pferd“, das der Erzähler im Schwarzfilmprolog als Fantasie über das Schicksal der Schindmähre ausgibt, die Friedrich Nietzsche 1889 unmittelbar vor seinem Zusammenbruch auf offener Straße umarmte, bleibt deshalb nicht einmal ein Funken des Humors übrig, der sich in Tarrs anderen Verzweiflungszeremonien durchaus findet. Auch mit dem Pferd ist es so eine Sache. Die erbarmungswürdige Kreatur dient vor allem als Projektion, in deren Zeichen die beiden schweigsamen, einander allein durch das Elend ihres von eisigen Pusztastürmen umtosten Alltags verpflichteten Protagonisten selbst als Arbeitstiere zurechtmetaphorisiert werden und am Ende das Essen verweigern. Wie viel wahrhaftiger, weil auf die Idee des Lebens schlechthin gerichtet, war dagegen Robert Bressons Eselsporträt „Au hasard Balthazar“.

Einmal kommt einer in die Steinhütte von Vater Ohlsdorfer (János Derzsi) und Tochter Ohlsdorfer (Erika Bök) und hält mit pfauenhaft tuntiger Dämonie einen Monolog über die Verheerung der menschlichen Existenz. Einmal fällt eine Horde fahrender Zigeuner ein und über den bald versiegenden Brunnen her. Sonst geht alles seinen unmerklichen Vernichtungsgang mit Pellkartoffeln und Palinka als langsam entgleitendem Ritual. Der einzige Fluchtversuch mit dem Handkarren misslingt. „Das Turiner Pferd“ erzählt in sechs Tagen und sechs Kapiteln eine Art umgekehrter Schöpfungsgeschichte – nur dass am siebten Tag kein Gott mehr da ist, um das Werk zu vollenden. Der Letzte macht das Licht aus: Tarr bräuchte niemandem zu erklären, dass dies der Mensch ganz allein vollbringt.

Heute 12 Uhr (Friedrichstadtpalast) und 17 Uhr (Urania); 20. 2., 15 Uhr (Berlinale-Palast)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false