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Remaining Hybrids2, Sarah Oh-Mock, Baerenzwinger Berlin 2023, Foto Juan Saez.jpeg

© Juan Saez

Der letzte Mensch im Bärenzwinger: Die Ausstellung „Becomings“ über die Zukunft unserer Spezies

Wie geht es weiter auf der Erde? Die Künstlerinnen Helin Ulas und Sarah Oh-Mock imaginieren posthumane Welten und ermutigen Besucher, dasselbe zu tun.

Von Jamin Schneider

Stand:

„Wer erinnert sich an dich, wenn du der letzte Mensch bist?“ fragt eine melancholische Stimme dieser Tage die geneigten Besucherinnen und Besucher des Bärenzwingers in Berlin. Der düstere Unterton ist dabei wenig überraschend, gehört die Stimme doch zu Sarah Oh-Mock, ihres Zeichens der – man will es kaum wahrhaben – letzte Mensch auf dieser Welt, also jedenfalls bis Ende Oktober. So lange nämlich kann man sich die Ausstellung „Becomings“ in der ehemaligen Heimat der offiziellen Hauptstadtbären anschauen, organisiert vom Fachbereich Kunst, Kultur und Geschichte vom Bezirksamt Mitte von Berlin. Der Bärenzwinger ist seit 2017 Teil der kommunalen Galerien.

Eine KI, die zu Wasser werden will

„‚Becomings’ heißt so viel wie ‚Pluralität der Zukunft’“ erklärt Joana Stamer, die zusammen mit Julius Kaftan das zweiköpfige Kuratoren-Team bildet. „Die sich daraus ergebenden Möglichkeitsräume künstlerisch zu beleuchten, fanden wir eine ganz spannende Idee. Die Besucher sollen dazu angehalten und inspiriert werden, sich von den Werken ausgehend selbst Gedanken darüber zu machen, wie die Zukunft einer Menschheit aussehen kann, die immerzu weiter nach dem technologischen Fortschritt strebt.“

Gefüllt werden eben diese Möglichkeitsräume von den Künstlerinnen Sarah Oh-Mock und Helin Ulas, beide haben sich im Zuge einer Ausschreibung für die Ausstellung in der kommunalen Galerie angeboten: „Wir haben uns für einen Open Call entschieden, um auch weniger bekannten Künstlern und Künstlerinnen die Chance zu geben, gesehen zu werden“ sagt Julius Kaftan. „Wir sehen uns im Auftrag, die kulturelle Diversität dieser Stadt widerzuspiegeln und haben gehofft, mit dieser Art die freie Kunstszene etwas aktiver anzusprechen.“

„Tides of Memories“ von Helin Ulas.

© Juan Saez

Ulas wurde 1990 in der Türkei geboren, lebt in Berlin und ist wohl das, was man eine technikaffine Künstlerin nennen würde. In ihren Arbeiten behandelt sie die verschiedenen Themen, die der technologische Fortschritt der Menschheit nun mal so mit sich bringt, im besonderen Fokus stehen dabei aber meist das Potenzial und die Grenzen von künstlicher Intelligenz. Für „Becomings“ hat Ulas eine KI erdacht und inszeniert, die sehnlichst davon träumt, irgendwann einmal zu Wasser zu werden – ihr Ziel dabei aber nie so ganz zu erreichen vermag. Denn obwohl der Algorithmus mit genügend Bild- und Audio-Material gefüttert wurde, scheint ihm die Essenz des Wassers doch für immer fremd zu bleiben.

Kann eine Simulation wahrhaftig sein?

Auf fünf übereinander installierten Screens, werden wir Zeugen ihrer tragischen Reise, unfähig dazu, zwischen den einfachen Informationen über die Beschaffenheit von Wasser und dessen tatsächlicher Natur zu unterscheiden. Bei dem Versuch, Wahrhaftigkeit zu simulieren, lässt Helin die Technologie eindrucksvoll an ihre Grenzen stoßen – und stellt damit die Frage: Kann eine Simulation von etwas denn überhaupt wahrhaftig sein? Oder braucht es dafür vielleicht doch immer noch den Menschen? Und was ist überhaupt wahrhaftig?

Weniger sanft, aber mindestens genauso eindrucksvoll, ist die Perspektive von Sarah Oh-Mock. In ihrem Projekt „PHASO. Remaining Hybrids“ entwirft die 1984 in Worms geborene Künstlerin eine Welt, in welcher der Mensch keine Rolle mehr spielt. Er wurde Opfer der eigenen, stetig vorangetriebenen Entfremdung von der Natur und musste schließlich weichen, als diese beschloss, sich zurückzuholen, was schon immer ihr gehörte – nämlich „unseren“ Planeten.

Sarah Oh-Mock untersucht die Spuren der Menschheit.

© Juan Saez

Zum Glück erlaubt es uns Oh-Mock aber wenigstens, vorher noch ein bisschen etwas über diesen unseren Untergang zu erfahren, indem sie uns Zugang verschafft zu den archäologischen Funden einer auf den Menschen folgenden, intelligenten Zivilisation. Die verschiedenen Exponate, die unsere verstreuten Überbleibsel darstellen, zeigen eindrücklich auf, wie es die Menschheit in kurzer Zeit geschafft hat, mehr als ein paar Mal gänzlich falsch abzubiegen. Besonders informativ für die Archäologen der neuen, dominanten Spezies dürfte dabei die goldene Schallplatte sein, die Oh-Mock, ihre Mission als letzter Mensch sehr ernst nehmend, mit den Impressionen einer scheidenden Zivilisation bespielt hat.

Angelehnt an die, mit Beethovens und Mozarts Stücken bestückte Goldplatte, die von der Menschheit per Voyager-Sonde im Jahr 1977 ins All geschossen wurde, zieht die Künstlerin ein letztes Mal traurige Bilanz ihrer Artgenossen: „Wer erinnert sich an dich, wenn du der letzte Mensch bist?“ 

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