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Silja

© Komische Oper

Interview: Der Mensch ist das Ziel

Vor der „Pique Dame“-Premiere: die Sopranistin Anja Silja über Berlin, Bayreuth – und den Papst.

Frau Silja, wie war die Generalprobe?



Gut. Das wird schon. Neben Tschaikows kys „Pique Dame“ hat mich ja vor allem der Mythos Komische Oper interessiert. Ich wollte wissen, was ist davon übrig, wie funktioniert dieses Theater heute.

Und, funktioniert es?

Na, die Disziplin ist schon erstaunlich. Die hat fast etwas Soldatisches, toll, gefällt mir. Über das Ästhetische kann man sicher streiten, aber das kann man immer. Was ist fortschrittlich, was neu, was ist in der Auseinandersetzung mit einem Werk wirklich nötig? Dafür, dass sich diese Fragen jeden Tag neu stellen, sieht mir die Oper heute überall viel zu gleich aus. Selbst die New Yorker Met will ja inzwischen progressiv sein.

Die Berliner Operndebatte dreht sich seit Jahren nur ums Geld, nicht um die Kunst. Haben Sie in Ihrer Arbeit etwas mitbekommen von der Berliner Opernkrise?

Nein, aber wenn ich denke, dass das Mariinsky Theater an der Deutschen Oper gerade „Pique Dame“ gezeigt hat, auch wenn es nur ein Gastspiel war, dann weiß ich nicht, ob eine neue „Pique Dame“ an der Komischen Oper so glücklich ist. Das können Politiker nicht gut finden. Andererseits hat ein so riesiges Talent wie Kirill Petrenko seinen Weg über Berlin in die Welt gefunden. Toll!

Mit ihm haben Sie Janaceks „Katja Kabanova“ an der Wiener Staatsoper gesungen.

Diese musikalische Intelligenz, dieser Zugriff! Das hat mich tief beeindruckt. Überhaupt muss man sich um die jungen Dirigenten weniger sorgen als um die jungen Regisseure. Da wird das Hinterste nach vorn gekehrt und das Unterste nach oben, nur um etwas anders zu machen. So entwickeln sich keine Persönlichkeiten. Letztlich ist es eine Mutfrage: Vertraue ich dem Stück? Traue ich mich, ohne Videoclips zu arbeiten und ohne dass die Leute sich nackt ausziehen? Wobei ich mit Vera Nemirova oder Keith Warner auch positive Erfahrungen gemacht habe.

Das klingt jetzt ziemlich konservativ.


Wenn es konservativ ist, ein Handwerk und ein Interesse für die Figuren zu verlangen, dann bin ich’s eben. Aber ich würde für mich doch immer eine Offenheit in Anspruch nehmen. Deswegen suche ich zunächst in jedem Konzept einen Sinn. Ich könnte ja zu Hause bleiben und mit meinen Enkelkindern spielen.

Sie waren blutjung, gerade 20, als sie in Bayreuth debütierten und Wieland Wagner kennenlernten, den Regisseur und Mann Ihres Lebens. Bis heute werden Sie auf ihn angesprochen. Nervt das?


Nein, er war und ist für mich die Überfigur. Ach was: für eine ganze Generation! Für uns heute! Ein Klaus Michael Grüber, ein Luc Bondy, eine Ruth Berghaus, ein Robert Wilson – die sind ohne Wieland doch gar nicht denkbar.

Haben Sie die Entwicklung der Bayreuther Festspiele verfolgt? Mit Wielands Tod 1966 sind Sie dort nicht mehr aufgetreten, haben nie wieder Wagner gesungen.


Ich bin mit Eva Wagner-Pasquier befreundet, insofern wünsche ich ihr als Festspielleiterin von Herzen alles Gute. Ansonsten kann ich wenig dazu sagen. Sicher hat sich Bayreuth verändert. Als ich für die Festspiele zum ersten Mal vorgesungen habe, war ich 15 und völlig unbelastet. Bayreuth, das war für mich der Ort, an dem man eben Wagner singt. Ich habe gar nicht begriffen, dass Menschen auf Knien den Grünen Hügel hochgerutscht sind. 1960, als ich als Senta debütiert habe, gab es im Festspielhaus noch eine Zimmertür, da stand ganz normal „Richard Wagner“ drauf. Gespenstisch. Später wurde diese Tür verglast und noch später ist sie dann verschwunden, ab zur Rettung in irgendein Archiv. Das ist doch ein schönes Bild für unser Verhältnis nicht nur zur Wagner-Kunst. Die Dinge entfremden sich uns.

Sie sind gebürtige Berlinerin und haben wenig in Berlin gesungen. Warum?


Zum Teil hat es sicher damit zu tun, dass Götz Friedrich an der Deutschen Oper lieber seine Frau beschäftigt hat, Karen Armstrong, die das gleiche Fach sang wie ich. Und dann muss ich sagen, dass Berlin nach der Wende einfach nicht mehr meine Stadt ist. Da sträubt sich etwas in mir. Wobei der Osten mir schon früh vertraut war, in die Komische Oper bin ich lange vor der Mauer ja noch mit meinem Großvater gegangen. Und Walter Felsenstein habe ich in Bayreuth kennengelernt, durch Wieland.

Kommen Sie sich eigentlich manchmal wie ein wandelndes Musiktheaterlexikon vor, all die großen Namen und Orte, die Sie so locker aus dem Ärmel schütteln?

Nö, das ist mein Leben. Das bleibt nicht aus, wenn man fast 60 Jahre auf der Bühne steht. Und für ein Lexikon ist mein Gedächtnis leider nicht gut genug.

Kennen Sie stimmliche Krisen?

Nein. Da habe ich der fundierten Ausbildung durch meinen Großvater unendlich viel zu verdanken. Ich habe spielerisch gelernt. Man hat mir nie gesagt, das oder das ist jetzt schwer. Es hieß immer: Du kannst das, mach doch mal. Das führte dazu, dass ich als Zehnjährige sämtliche Wagner-Partien auswendig konnte, nicht nur die weiblichen. Ich war ein Wunderkind. Auch später hatte ich nie Probleme, nicht einmal in den Wechseljahren. Meine Krisen waren der Tod von Wieland Wagner und von André Cluytens . . .

. . . dem Dirigenten, mit dem sie nach Wieland liiert waren . . .

Da wollte ich jedesmal mitsterben. Andererseits haben mir diese Verluste auch Kraft gegeben. Für die beiden musste ich es einfach schaffen. Und ich hab’s geschafft. Alle Kritiker, die gesagt haben, na, mit der geht es höchstens zwei Jahre gut, die schweigen jedenfalls schon lange.

Sind Ihre Rollen kontinuierlich mit Ihnen mitgewachsen?

Irgendwie ja. Nehmen Sie die Gräfin in „Pique Dame“. Für mich ist das eine Zeitfigur. Und nichts anderes repräsentiere ich auch! Überhaupt finde ich es wichtig, dass man sein Leben mit in die Kunst hineinnimmt. Auch insofern hat Regie für mich unbedingt mit Menschen zu tun. Es geht darum, wen habe ich vor mir? Wer ist das? Welche Lebenserfahrung bringt er oder sie mit, welches Alter? Kann ich dieser Figur glauben? Die 80-jährige Marianne Hoppe hat doch auch nicht mehr Shakespeares Julia gespielt! In der Oper ist das an der Tagesordnung. Gwyneth Jones hat noch mit 60 die Senta gesungen, Placido Domingo den Parsifal. Grotesk! Wieland hat immer gesagt, eine Darstellerin der Isolde kann im Grunde nicht verheiratet sein.

Hat sich Ihr Verhältnis zu Ihrer Stimme mit dem Alter verändert?

Nein, die Stimme ist ein Muskel, und den muss ich pfleglich behandeln. Ich muss mich gut ernähren, ich muss trainieren, ich brauche eine saubere Technik, dann ficht mich wenig an. Ich persönlich trage so gut wie nie einen Schal oder eine Mütze – und ich bin so gut wie nie krank.

Können Sie sich ein Leben ohne Gesang, ohne die Bühne vorstellen?

Den Verbrecher zieht es immer wieder an den Tatort zurück, hat Birgit Nilsson einmal gesagt. Sie gehört übrigens zu den ganz wenigen, die es geschafft haben, anständig aufzuhören. Die befand, das war jetzt gestern meine letzte Vorstellung. Normalerweise läuft das ja eher à la Christa Ludwig oder Dietrich Fischer- Dieskau: Eine Abschiedstournee nach der anderen, oder man dirigiert und malt – und erreicht nie wieder das Niveau, auf dem man gesungen hat. Das alles kommt für mich überhaupt nicht infrage.

Sie haben sich kürzlich katholisch taufen lassen.

Religion, Spiritualität, das Mystische, Ruhe, Stille, das ist mir immer wichtig gewesen. Ausschlaggebend für mein Bekenntnis zur Kirche aber waren Francis Poulencs „Dialoge der Karmeliterinnen“ – und Papst Benedikt, den ich unendlich bewundere. Seine Bescheidenheit und Klugheit, sein Minimalismus, das alles kann ich sehr gut nachvollziehen. Weil es viel mit meinem eigenen Beruf zu tun hat.

Wie werden Sie nächstes Jahr Ihren 70. Geburtstag feiern?

Ich werde unerreichbar sein, auf einem Schlauchboot mitten im Ozean.

Interview von Christine Lemke- Matwey.

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