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Kultur: Der Pate

Gottvater der Theaterkritik: Henning Rischbieter ist 80

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Nein, kein Kerr, aber ein Kerl – wie es unter den Jüngeren wohl keinen mehr gibt. Henning Rischbieter ist einer der letzten Begleiter des Welttheaters, der noch aus dem eigenen Erlebnis des Weltkriegs, der Naziverheerungen und der Spaltung Europas kommt, der Augenzeuge war bei der Rückkehr Fritz Kortners aus dem Exil – oder dem Wiederaufstieg des einstigen Berliner Staatstheaterintendanten Gustaf Gründgens. Aber nie rückgewandt hat der Historiker und spätere Theaterwissenschaftsprofessor an der Freien Universität die Szene betrachtet. Vielmehr: Henning Rischbieter hat mit der Gründung der damals ganz beispiellosen Zeitschrift „Theater heute“ ab 1960 den ersten Maßstab gesetzt für so etwas wie überregionale, auch internationale Theaterkritik. Berlin gab es nicht mehr als Hauptstadt, als kulturelles und journalistisches Zentrum. Aber mit „Theater heute“, dem Phönix aus der niedersächsischen Provinz, existierte plötzlich eine Haupttheaterzeitschrift, welche die Bühne als Forum aller Künste und so auch der Zeitgeschichte und Gesellschaft behauptete. Das strahlte schnell über die deutsche Szene hinaus – „Theater heute“ wurde zur begehrten „Bückware“ von Ost-Berlin bis Peking. Und die monatlichen Stückabdrucke (von Albee bis Walser, von Gombrowicz bis Hochhuth, Handke und Peter Weiss) gerieten oft auch zum literarischen Ereignis. Rischbieter machte Siegfried Melchinger, Ernst Wendt und den jungen Botho Strauß zu seinen ersten Weggefährten – und bald schrieben alle großen Namen des Feuilletons (und der neuen deutschen Literatur) für Rischbieter, der so vielleicht nicht zum obersten deutschen Feuilletonchef geworden ist. Wohl aber zum Paten der deutschen Theaterkritik.

Heute wird dieser rund- und dickschädlige Geisteskopf wirklich schon 80. Ein Kerl, kein im Stil und in der persönlichen Stilisierung hochbürgerlicher Ästhet wie Alfred Kerr, nein: eine durch die Geschichtserfahrung sozialdemokratisch geerdete Erscheinung, die für Beschreibungsgenauigkeit statt Pointenseligkeit steht. Kaum einer kann wie Rischbieter lange zurückliegende Theaterabende mit ihren inszenatorischen Valeurs und dem flüchtigen Gestus der Schauspieler so sinnlich sinnfällig schildern. Wobei in dem kräftigen Mannsbild auch die Stimme eines feinen, zarten Erzählers steckt. So begabt, ist er ein großer Lehrmeister, ich habe es selbst erfahren. Dafür Danke, und vivat!

Am 25. März feiert die Berliner Akademie der Künste Rischbieter um 20 Uhr im Hanseatenweg. Tel. 030-20057-2000

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