zum Hauptinhalt

Kultur: Der Poet im Einmachglas

Neue Verse, alte Gefühle: Bertolt Brechts Geburtsstadt Augsburg richtet dem großen Sohn ein viertägiges Fest aus

Von Caroline Fetscher

„Die Vaterstadt, wie find ich sie doch? / Folgend den Bomberschwärmen / Komm ich nach Haus. / Wo denn liegt sie? Wo die ungeheueren Gebirge von Rauch stehn. / Das in den Feuern dort / ist sie.“

Als Bertolt Brecht seine im Zweiten Weltkrieg wegen ihrer Waffenfabriken attackierte Geburtstadt Augsburg besuchte, hätte keiner geahnt, was sich im friedlichen Sommer im sechsten Jahr des neuen Jahrtausends hier zutragen würde. Dass zu Ehren des Sohns der Stadt auf dem sonnigen Freiplatz vor Augsburgs Renaissance-Rathaus Fahnen mit einem roten Stern drauf flattern würden, ein Stern flankiert vom Buchstabentrio „abc“, Signum des Festivals „Augsburg Brecht Connected“. „Da denk i an die Mütze vom Che Guevara“, lässt eine flanierende Augsburgerin ihre Begleiterin wissen. Dann hält sie einen Moment inne und fügt hinzu: „Im Prinzip ham mir ja net so recht durchblickt, was des war.“

Ob man heute so recht durchblickt, worum es geht, wenn Bertolt Brecht gefeiert wird? In der bajuwarischen Fuggerstadt, satt an Tradition, Touristen und Kaufhäusern, liegt der Trachtenladen mit „Sportalmdirndl“ und „Wilddiebweste“ nur Gehminuten von der Brecht-Buchhandlung am Obstmarkt entfernt. Wo die Rauchgebirge standen, hat sich ein kleinstädtisches Idyll aus Wohlstand entfaltet. Je historischer der rebellische Augsburger wird, desto mehr verzeiht die Stadt ihm, und mit Augsburg sein ganzes Herkunftsland. Wie würde ihm das gefallen, wenn er aus dem Himmel, an den er nicht glaubte, auf das Treiben blickte? Brecht, der Kapitalismuskritiker, der nach Jahren des Exils freiwillig in die Arbeiter- und Bauernrepublik DDR zog, hätte sich nicht träumen lassen, dass jenes Festival zu seinem 50. Todestag im wiedervereinigten Deutschland unter der Schirmherrschaft eines CDU-Kulturstaatsministers stehen würde.

Dieser, Bernd Neumann, nennt Brecht einen „Klassiker der Vernunft“, einen, dem es „um die menschliche Sehnsucht nach einer besseren Welt“ ging. Und erst die Sponsoren: Von der Augsburger Sparkasse bis BMW, vom Goethe-Institut bis zur Hotelkette Steigenberger haben sie ihren Obolus geleistet, um die vier Festivaltage möglich zu machen. Organisiert und kuratiert hat das Sonntagnacht zu Ende buchstabierte „abc“ der nachgeborene Dichter Albert Ostermaier. Er erklärt – erleichtert, bedauernd oder konstatierend? –, Brechts Lyrik sei „längst Legende“. An die 70 Schriftsteller hat Ostermaier zum Vortragen und Debattieren geladen, unter ihnen Volker Braun, Wolfgang Hilbig, Helmut Krausser, Herta Müller, Bert Papenfuß, Oskar Pastior, Thomas Rosenlöcher, Peter Rühmkorf, Joachim Sartorius, Michael Wildenhain und, als grandiosen Vorleser einer eigenen Erzählung, Feridun Zaimoglu.

Mit sprachfreudiger Empathie sprang Zaimoglu beim Lesen von Dialogen zwischen den Rollen hin und her; erzählt hat er die Geschichte eines Atheisten, den angesichts des Todes geliebter Verwandter Zweifel heimsuchen. Auch der Portugiese Antonio Lobo Antunes hätte in Augsburg auftreten sollen, ließ allerdings nur eine zwiespältige Note verlesen, über jenen Brecht, der ihm in den Theatern seiner Jugendzeit „in einer Abfolge proletarischer Ohrfeigen ins Gesicht geschmettert“ wurde.

Bertolt Brecht, geboren 1898, gestorben in Berlin am 14. August 1956, Erfinder von Dramen und Geschichten, ästhetischen und politischen Theorien, Gedichten in Reimen und im freien Fall, erfand vor allem sich selbst. Dabei hinterließ er sich als produktives Rätsel, angesiedelt zwischen dem frühen, hedonistisch-anarchischen Baal-Brecht und dem späten, Kadergehorsam einklagenden „Maßnahme“-Brecht, zwischen rücksichtslosem Bohémien und moralischem Volkspädagogen: Von allen Seiten sollte er im „abc“ beleuchtet werden, als multidimensionales Monument.

An den Ost-Brecht erinnert Oskar Pastior, geboren 1927. Damals, in Bukarest, war der ein staatlich sanktionierter DDR-Import, doch eindrucksvoll fand Pastior „sein Lutherdeutsch, sein Grimmelshausendeutsch, sein Bauhausdeutsch ...“ Gleichwohl: „Was nicht verboten war, war mit Vorsicht zu genießen.“ Anders der West-Brecht, von dem Peter Rühmkorf schwärmt, dessen großartige Dichtung von den sozialen Brüchen der Welt auch in der Gegenwart noch Geltung habe. Da ist der Autor, über den Walter Benjamin einmal schrieb: „Wer in drei Worten über Brecht das Entscheidende sagen müsste, würde klug tun, sich auf den Satz zu beschränken: Sein Gegenstand ist die Armut.“ Vielleicht würde die heutige SPD mit Verwunderung lesen, wie aktuell Brecht nach 1933 den Abfall der Kleinbürger von den Sozialdemokratie begründete. Warum der geschah? „Weil die Sozialdemokratie keine Konzeption von der Zukunft hat. Weder außen- noch innenpolitisch. Sie kann die skandinavische Idee nicht mit sozialem Inhalt füllen, den Sozialismus nicht auf die breite Basis ganz Skandinaviens stellen.“

Ostermeiers Augsburger Brechtfrage stellt sich vor allem als lyrische, zu der auch 30 Musiker auftreten, eine Hand voll Künstler und dichterischer Nachwuchs. Besonders ausgefeilt die Klangarchitektur des Kuss-Quartetts mit Alban Berg und Anton von Webern, besonders anrührend zwölf poetryslammende Augsburger Gymnasiasten. Ihren sechsmonatigen Workshop hatte das abc-Budget mitgetragen, und so klettern sie, gleich am ersten Abend, mutig auf die Bühne des einstigen Kinos „Capitol“, um mit Rap und Reim einer Welt beizukommen, deren Unrecht und Werbeflut, Liebesleid und Zukunftsangst sie umtreibt. Bejubelt wird der selbstironische Sieger Tommy Tesfu vom Maria-Theresia-Gymnasium, der sich als „maximalpigmentierter“ Afrodeutscher bezeichnet, während er zu den Nationalfarben erklärt: „Ich bin schwarz, mein Blut ist rot, nur leider habe ich kein Gold.“ Am Schluss zitiert er die berühmte Brecht-Sentenz: „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht, da hab ich eben leider recht.“

Unbehelligt vom Ost- wie West-Brecht freuen sich die Schüler an den Erinnerungen des Augsburgers: „Während meines neunjährigen Eingewecktseins in einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern.“ Das schrieb der junge Dramatiker 1922 mit selbstbewusster Koketterie an Herbert Jhering, den Theaterkritiker des Berliner „Börsen-Couriers“, der um ein paar Sätze zur Vita gebeten hatte. Brechts Verdikt über seine Jahre auf dem Königlichen Realgymnasium „Auf der blauen Kappe“, das er bis zum Notabitur im März 1917 besuchte, scheint imprägniert gegen das Verblassen, auch der DDR-kritische Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck („Das Leben der Anderen“) holt diese Sätze hervor, als Einleitung zu einem Geständnis: „So einer ist ein Freund!“ Denn so sehr der Filmemacher, Jahrgang 1964, von seiner aufrührerischen SDS-Mutter schon im Sandkasten mit der Seeräuber-Jenny traktiert wurde: Aus der Kinderzeit mit den schrägen Wiegenliedern, weiß er, werde Brecht ihm trotzdem bleiben. Etwa wegen dessen Lob des Zweifels.

Immer wieder triumphiert, bei den skeptischen Jüngeren vor allem, dieses große Trotzdem, um das die Brecht-Diskurse bei den Festival-„Modulen“ zirkulieren: Brecht und das Exil, Brecht und die Religion, Brecht und der Krieg, Brecht und die Städte, Brecht und die Natur, Brecht und die Musik. Nur, wo bleiben die Frauen? Sie waren rar auf der Liste der Geladenen, und das Thema Brecht-Frauen, Teil des großen Trotzdem, wenn vom Macho und Ausbeuter B. B. die Rede ist, vermisste man in Augsburg.

Einer allein hatte sich ihrer angenommen. Der serbische Autor Bora Cosic malt sich in einem seiner sechs für das Festival verfassten Gedichte, „Verteidigung und letzte Tage“, eine endgültige Szene aus: „Vor einem Gericht / einem Menschheitstribunal / sitzt Brecht auf der Anklagebank / einer Gartenbank / im paradiesischen Gericht von Buckow / hustet ein wenig / im koronaren Fieber / angeklagt von Elisabeth Hauptmann / Ruth und Marianne / Paula, Marieluise und Grete / wegen Untreue / Schwanken der Seele / Grobheit des Mannes / obwohl von schmächtiger Statur / (das Eheweib hält sich zurück).“

Genugtuung scheint sich abzuzeichnen für die späten Rächerinnen. Cosic gestattet allerdings keine Illusionen: „dieser widerspenstigen Mädel / etwas angejahrten / (einige schon tot) / wird er sich irgendwie entledigen / denn auch des Dichters Herz / ist nicht ewig.“ So nimmt er sich vermutlich am Ende aus, der Triumph des Trotzdem beim listigen Bürgerschreck B. B.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false