Kultur: "Der Rap des kleinen Prinzen": Die Musik des Elends - ein Dokumentarfilm aus Brasilien
Brasilien ist ein Ghetto, singt, spricht ein Rapper. Und Recife ist die viertelendste Stadt der Welt.
Brasilien ist ein Ghetto, singt, spricht ein Rapper. Und Recife ist die viertelendste Stadt der Welt. Aber vielleicht ist das nur eine Frage des Abstands. Wo die Hochhäuser aufhören, beginnen die Hütten. Endlos, fast bis zum Horizont, auf Hügeln und in Senken umlagern sie die Glastürme, bilden einen Wald. Müsste der Wald nicht an den Türmen emporwachsen, sie überwuchern?
Brasilien, das Land ohne Übergänge. Recife, die Stadt ohne Übergänge. Und der "Rap des kleinen Prinzen", die Musik ohne Übergänge. So schroff, so hart, so bitter wie das Leben in den Favelas. Natürlich gibt es den Rap in Brasilien. Rap ist Ghettomusik. Von oben, im Kameraflug ist das Ghetto schön. So schön, wie unbezähmbare Natur immer ist. Ein Dächerwald. Ein Menschenwald.
Drei brasilianische Filmemacher begannen vor zwei Jahren, Bilder von Recife zu machen. Für ein Porträt der viertelendsten Stadt der Welt in einem Land, wo 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung arm sind? Für eine Sozialstatistik in Farbe? Das auch, aber vor allem wollten sie hören, wie Recife klingt, da wo die Hochhäuser aufhören. Denn Städte klingen. Und Menschen. Worte, indem sie etwas erklären, schließen anderes aus. Worte sind Weglassungen. Klänge nicht. Sie sind Zusammenklänge.
Nur manche sind längst tonlos geworden. Menschen, die nicht mehr klingen, gibt es in Ghettos häufiger als anderswo. Etwa der junge Mann, der jetzt im Gefängnis sitzt wegen vierundvierzig Morden. Man fragt ihn, warum er mordete. Doch hier ist das eine beinahe komische Frage. Der Mörder fragt doch auch nicht warum, wenn er das Messer nimmt. Entweder du bringst die anderen um, oder sie bringen dich um, sagt er. So ist das. Und ergänzt, dass du nie genug töten kannst, um deines Lebens völlig sicher zu sein.
Der Mörder hat einen Freund. Er ist Musiker. Der Musiker möchte, dass das Töten fürs Überleben aufhört. Dass dieser menschliche Naturzustand aufhört. Die Mutter des Mörders sagt: Ich bin eine Mutter!
Viele Mütter in Recife sagen jeden Tag, dass sie Mütter sind. Mütter der Mörder und Mütter der Opfer. Und dann werden aus den Müttern der Mörder Mütter der Opfer. Eine Zeitungsfotografin findet den Anblick der jungen Toten immer wieder aufregend. Sie hat keine Angst um ihren Beruf.
"Der Rap des kleinen Prinzen" erklärt Recife nicht. Er komponiert es aus Schnitt und Perspektive. Nur die Mutter des Mörders kann in einem Satz sagen, warum alles so ist: Die Leute haben Gott vergessen! Sozialarbeiter formulieren das meist etwas anders - und ärmer zugleich.