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Kultur: Der Schrei des Papstes

Das Kunsthistorische Museum Wien feiert Francis Bacon in einer grandiosen Ausstellung – und zeigt seine Vorbilder

Die letzten Tage haben ihn noch einmal gezeigt: in aller Macht und aller Schwäche. Wer Johannes Paul II. bei den Feierlichkeiten zu seinem 25. Amtsjubiläum gesehen hat, bekam eine Ahnung davon, was Papsttum bedeutet. Umstrahlt vom Glanz der kirchlichen Inszenierung, übernahm der mühsam vom Blatt ablesende, im Rollstuhl sitzende Dreiundachtzigährige wirklich die Rolle des Stellvertreter Christi auf Erden: eines Schmerzensmannes, der das eigene Leid zum Wohl der Welt erträgt.

Francis Bacon, bekennender Atheist, wäre von diesen Auftritten Johannes Pauls II. wahrscheinlich fasziniert gewesen. 15 Jahre lang, in mehr als 40 Bildern, hat der irische Jahrhundertkünstler (1909 -1992) geradezu obsessiv dieses Thema verfolgt: den Widerspruch zwischen einem durch höhere Macht verliehenen Amt und der menschlichen Schwäche des Inhabers. Seine Papst-Studien setzen den Nachfolger Petri auf einen goldenen Thron und distanzieren ihn zugleich, indem sie ihn mit einemstreifenartigen Schleier verhüllen oder in einen goldenen Käfig bannen. Und dabei ist das Gesicht des Pontifex eine einzige Wunde, ein zerfließend amorphes Gebilde.

Ein olivgrünes Gesicht

Die Papst-Studien bilden den Paukenschlag einer außergewöhnlichen Ausstellung, mit der das Kunsthistorische Museum Wien Francis Bacon in Bezug zu seinen Vorbildern setzt. Es ist, überraschend genug, die erste große Bacon-Ausstellung in Österreich – Wiens Museum Moderner Kunst besitzt mit einem Porträt das einzige Werk des Malers im Land. Der Gedanke, Bacon in Beziehung zur Kunstgeschichte zu setzen, ist so naheliegend, dass man sich wundert, wieso kein Ausstellungsmacher früher auf die Idee gekommen ist. Bacon, der geniale Autodidakt, der nie eine Kunsthochschule von innen gesehen sah, hatte immer betont, wie sehr ihn bestimmte Künstler beeinflusst haben: Van Gogh, Ingres, Picasso, Giacometti, mit dem er befreundet war, die Filmregisseure Eisenstein und Bunuel und,vor allem Velázquez. Von dessen Papstporträt Innozenz X. (von 1650) war Bacon geradezu besessen: Er kaufte jedes Buch, in dem er das Werk abgebildet fand, und erzählte dem Kunstkritiker David Sylvester, es habe ihn jahrelang verfolgt.

Warum wohl gerade dieses Bild – das Bacon übrigens nie im Original (in der römischen Galleria Doria Pamphilii) gesehen hat? Auch die Wiener Ausstellung kann nur spekulieren. Der Maler selbst hat gesagt, die prachtvollen Farben hätten ihn verfolgt – um dann das leuchtende Rot von Velazquez durch ein ebenso leuchtendes, doch viel kälteres Violett zu ersetzen. Vielleicht war es doch eher der scharfe Blick, mit dem der spanische Hofmaler sein Modell charakterisiert: Zeitgenossen beschreiben Innozenz als „von hoher, hagerer Gestalt, das Auge klein, die Füße groß, der Bart spärlich, die Gesichtsfarbe fast olivengrün, der Kopf kahl“. Hinzu kam ein ungezügeltes Temperament; die Zornesausbrüche des Papstes waren gefürchtet. Diese Charakterisierung hat Bacon übernommen: Seine Päpste fletschen die Zähne, öffnen den Mund zum Schrei, verschwimmen im Profil oder lösen sich ganz auf.

All das zeigt das Kunsthistorische Museum in Gegenüberstellung – und muss doch gleich anfangs mit dem Manko kämpfen, das Schlüsselwerk, Velázquez’ „Innozenz X.“ von der Galleria Doria Pamphili nicht ausgeliehen bekommen zu haben. In Wien behilft man sich mit anderen, hauseigenen Papst-Darstellungen: Mit Tizians mildem, müd gebeugten „Paul III.“, mit einem arrogant-selbstbewussten „Clemens VII.“ aus der Werkstatt des Sebastiano del Piombo und mit einer römischen Kopie nach Velázquez, die die Verschlagenheit des Innozenz allerdings nur noch ahnen lässt. Man zeigt – aufschlussreicher noch – Materialien aus Francis Bacons rekonstruiertem, inzwischen nach Dublin transferierten Atelier: befleckte, verschmierte Katalogausrisse, Collagen, in denen Innozenz X. mit Propagandafotos von Himmler und Goebbels kombiniert wird. Und man zeigt – da wird die Ausstellung zur Sensation – allein sieben Papst-Porträts, darunter zwei frühe Ganzkörperstudien, die Bacon selbst niemals im Museum zeigen wollte. Lange Zeit galten sie als zerstört und sind nun als Leihgabe einer Privatsammlung erstmals wieder zu sehen.

Der Papst und seine Vorbilder, der einsame Mensch hinter Vorhang und Gitter: Dieser erste Raum allein ist eine Kabinettausstellung, die die Reise lohnt. Ein schmales Thema, exemplarisch vorgeführt, und gleichzeitig eines, das sich unendlich weiten lässt. Ein Exkurs zum Motiv des Schreis etwa zeigt, wie Bacon von der verwundeten Kinderfrau aus Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ beeindruckt war – Munchs nicht weniger wichtigen „Schrei“, den Bacon kannte, unterschlägt die Ausstellung allerdings. Auch das Motiv des Vorhangs, den Bacon aus einem Tizian-Porträt übernimmt und über mehrere seiner Papst-Bilder legt, wird klug umgedeutet. Was für Tizian noch ein Hinweis darauf war, dass der von ihm porträtierte Filippo Archinto sein designiertes Amt als Bischof von Mailand nicht angetreten hatte, ist für Bacon ein allgemeines Mittel der Isolation. In seiner grandiosen „Studie nach Velázquez Porträt von Papst Innozenz X“ von 1953 mag der Papst auf seinem Thron so laut schreien: ein schlieriger, schmieriger Schleier trennt ihn vom Betrachter.

Der Einfluss der Vorbilder ist belegt, häufig durch Arbeitsmaterialien, die Barbara Steffen aus Bacons Atelier ausleihen konnte. So akzeptiert der Besucher selbst Szenen aus Buñuels „Andalusischem Hund“, die keine direkte Entsprechung im Werk gefunden haben – Bacon selbst hatte bekannt, er könne nicht sagen, wie Buñuel auf ihn gewirkt habe. Bewegungsstudien des Fotografen Edward Muybridge, der Anfang des 20. Jahrhunderts Ringer fotografierte, finden ebenso Eingang wie okkulte Geisterfotografien. Einen Raum weiter erkennt man in Van Goghs „Der Künstler auf dem Weg nach Tarascon“ – das Original wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört – wieder das Bild des einsamen Menschen, für das Bacon Päpste wie Maler recht waren. Nur bei den Porträts und den berühmten Triptychen, in denen Bacon den Tod seines Lebensgefährten George Dyer verarbeitete, wird das Wechselspiel zwischen Bild und Vorbild etwas beliebig.

Das Herz des Universums

Wenn schließlich ein Katalog mit Werken von Chaim Soutine und eine Sammlung von Fotografien aus Fleischereien von Bacons Faszination für Blut, Kadaver und Tod künden, ist man im Herzen des Bacon-Universums angekommen: Ein ausgeweideter Ochse von Maerten van Cleve von 1566, ein Kreuzigungs-Triptychon von Rogier van der Weyden stimmen auf das Thema ein. In dem grandiosen Triptychon „Drei Studien zu einer Kreuzigung“ von 1962 aus dem Guggenheim Museum New York sieht man schließlich, wie alles zusammengeht. Gilles Deleuze hat es Bacons „Erbarmen mit dem Fleisch“ genannt. Und Bacon selbst hat erklärt: „Natürlich sind wir Fleisch, potentielle Kadaver. Jedes Mal, wenn ich einen Fleischerladen betrete, bin ich in Gedanken überrascht, dass ich nicht dort anstelle des Tieres hänge.“

Francis Bacon und die Bildtradition, Wien, Kunsthistorisches Museum, bis 18. Januar 2004. Danach in der Fondation Beyeler in Riehen/Basel. Katalog (Skira) 38 Euro

Christina Tilmann

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