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Schrill & Still: Der schwul-lesbische Filmpreis "Teddy"

Die längste Herren-WC-Schlange der Welt gibt's beim schwul-lesbischen Filmpreis: 1987 war der "Teddy" ein Stofftier von Wertheim, heute wird mit ihm auf DVDs geworben.

Akzeptanz hat ihren Preis. Gestern noch in der Schmuddelecke, heute von mächtigen Autofirmen gesponsert – so etwas geht nicht ohne Identitätsverlust. Eine von „Arte“ übertragene Veranstaltung, auf der auch noch ein Volkswagen-Zuschauerpreis vergeben wird, kann nur schwer ihren Außenseiterstatus legitimieren. Ja, der Teddy Award, der einzige schwul-lesbische Filmpreis auf einem A-Festival, hat sich über die Jahre zu einem widersprüchlichen Spektakel entwickelt.

Über die ersten Verleihungen hatten weder die Zeitungen noch die Presseabteilung der Berlinale ein Wort verloren. Heute entschuldigt sich Dieter Kosslick, wenn er einmal nicht persönlich erscheinen kann, und er rühmt sich gern damit, dass in Cannes und Venedig so etwas nicht geboten wird.

Ganz so schmuddelig war der Anfang übrigens gar nicht, denn erfunden wurde der Teddy in einer Buchhandlung. Im Prinz-Eisenherz-Buchladen fanden nächtliche Diskussionsrunden statt, „Nachtcafés“ genannt und von Manfred Salzgeber moderiert, dem Leiter der Sektion Panorama. Im Februar 1987 nehmen die Regisseure Derek Jarman und Pedro Almodóvar an solch einer Diskussion teil. Es geht darum, wie man den schwulen Berlinale-Beiträgen mehr Aufmerksamkeit verschafft. Könnte man nicht, überlegt Salzgeber, mit diesen renommierten Künstlern die Aufmerksamkeit auf die schwulen Filme im Programm lenken? Warum nicht mit einem neu gestifteten Preis? Selbst wenn es sich um eine notdürftig improvisierte Trophäe handelt, eine kostengünstige Version des Goldenen Bären. Salzgebers Assistent Wieland Speck rennt, sobald am Morgen die Geschäfte aufmachen, zu Wertheim, kauft ein paar Teddys und überreicht einen davon dem Spanier Almodóvar, dessen hitziges Melodram „Das Gesetz der Begierde“ zu den Überraschungserfolgen des Festivals gehört.

Wie viel Konservatismus noch kurz nach dem Fall der Mauer herrscht, wird deutlich, als Heiner Carows „Coming Out“ 1990 von der offiziellen Jury einen Spezialpreis für die „sensible Behandlung der Probleme von Minderheiten“ erhielt. Will heißen: Das Thema war schmutzig, aber es wurde vom Regisseur geschmackvoll umgesetzt. Die Teddy-Jury interessiert sich dagegen gerade für die weniger geschmackvollen Arbeiten. So langsam wächst auch die Beliebtheit des Preises. Die offizielle Berlinale nimmt von ihm Preis Notiz, 1997 schließen sich die Teddy-Macher zum gemeinnützigen Verein zusammen. Vom schwul-lesbischen Oscar ist jetzt die Rede, mit dem man auf dem Cover von DVDs werben kann.

Kritiker des Preises argumentieren, ein Film müsse gut sein, nicht lesbisch oder schwul. Aber warum gibt es dann den Preis der ökumenischen Jury, den Caligari- oder den Wolfgang-Staudte-Preis? Die Liste der prämierten Filme ist beachtlich, sie liest sich wie ein Lexikon des New Queer Cinema: Derek Jarmans „The Last of England“, „Edward II“ und „Wittgenstein“, Isaac Juliens „Looking for Langston“, Cheryl Dunyes „The Watermelon Woman“. Noch bevor Hilary Swank ihren Oscar für das Crossdressing-Drama „Boys Don’t Cry“ gewinnt, würdigt die Teddy-Jury den Dokumentarfilm „The Brandon Teena Story“, der dieselbe Geschichte erzählt. Preisträger wie Lukas Moodysons „Raus aus Amal“ und François Ozons „Tropfen auf heiße Steine“ begeistern auch das nichtschwule Publikum. Eine Pioniertat war übrigens die Ehrung von Tilda Swinton: Sie fand bereits 1988 statt, als Swinton noch keine Independent-Ikone war.

Für das bewegte Leben des Teddy Award sprechen die Austragungsorte. 1990 wurden die Trophäen noch im „Schwuz“ verliehen, das war die erste große Teddy-Gala mit 400 Gästen. Später trifft man sich im SO 36, im Tempodrom, in der Columbiahalle, im E-Werk – inzwischen mit 2500 Gästen –, im Hangar2 des Flughafens Tempelhof, im Haus der Kulturen der Welt oder im Zoo-Palast. Der veränderte Status zeigt sich natürlich auch an den Stars, die vorbeischauen. 1996 ist Tony Ward die Sensation; die Gäste können es kaum fassen, dass jemand wie er in der VIP-Lounge sitzt. Tony wer? Tony Ward, mit „Hustler White“ im Panorama vertreten, ist der Mann aus dem skandalumwitterten Madonna-Video „Justify My Love“. Zu späteren Verleihungen kommen Gitte Haenning und Sänger Rufus Wainwright, Politprominenz wie Claudia Roth und Volker Beck, und Klaus Wowereit sowieso. Bei der 20. Verleihung empfängt er die Teddy-Jury im Rathaus.

Gab es in all den Jahren eine beste, ungewöhnlichste oder peinlichste Verleihung? Man kann es nie allen recht machen, ein paar Pannen gibt es immer, Grund zur Freude auch. Als besonders zwiespältig bleibt die Verleihung von 2007 in Erinnerung, ausgetragen im Flughafen Tempelhof. Sie ist alles auf einmal: gut, ungewöhnlich, peinlich. „Teddy hebt ab“, lautet selbstbewusst das Motto, doch in den Tageszeitungen werden wenig schmeichelhafte Parallelen zum abrissreifen Schauplatz gezogen, vielen Gästen erscheint der Abend als konfus und ausufernd. Wie zur Legitimierung der eigenen Existenz verweisen Moderatoren und Redner auf Homophobie in aller Welt; Volker Beck berichtet von den brutal bekämpften Schwulendemos in Moskau, bei denen er selbst blutig geschlagen und festgenommen wurde; berichtet wird auch über Homophobie in Polen und die Hinrichtung zweier schwuler Jugendlicher im Iran. Schockierende Nachrichten, zweifellos. Doch aus dem Berlinale-Wettbewerb ist man längst Filme über den Völkermord in Ruanda und Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien gewohnt. Der Kampf für schwul-lesbische Rechte kann eben nicht vom Kampf für generelle Menschenrechte losgelöst werden.

Für die Widersprüche innerhalb der schwul-lesbischen Community spricht der Zuschauerpreis: Er geht an „Tagebuch eines Skandals“, in dem Judi Dench als verbitterte, manipulative Lesbe der jüngeren Hetera Cate Blanchett hinterherrennt. Homophob und frauenfeindlich, schimpft die schwul-lesbische Presse. Müssen es denn immer nur FeelGood-Movies sein?, erwidern die Leserinnen. Konflikte und Widersprüche sind immer von Nutzen; bei dieser Teddy-Gala werden sie besonders deutlich. Der von der Skandalnudel zum Grandseigneur gereifte Visconti-Zögling Helmut Berger verleiht dem Abend Würde, den Preis für sein Lebenswerk kommentiert er ganz knapp: „Ihr müsst verrückt sein.“ Während dann Wieland Speck von besseren Zeiten schwärmt, als das Kino noch richtig engagiert und politisch war, erscheinen hinter ihm die Namen der Sponsoren auf der Leinwand.

Der Reiz der Teddy Awards wird weiterhin in der Diskrepanz von Trash und Aufklärung bestehen, im Nebeneinander von Modenshow und Aktivismus. Ein verdienter Aids-Aktivist und Generaldirektor bei den Vereinten Nationen wie Michel Sidibé verblasst neben den Dragqueens, die es sogar schaffen, dass Nina Hagen, gern gesehener Gast auf den Partys, nicht weiter auffällt. Den Dragqueens ist es auch zu verdanken, dass man bei den Teddy-Feiern die längste Herren-WC-Schlange der Welt bewundern kann, sie ist so lang, weil ein Mann im Rokokokostüm nun einmal länger braucht – und doch aufs Männerklo gehen muss. Überhaupt nichts geändert hat sich über die Jahre hinweg an der Tatsache, dass die Herren entweder overdressed oder underdressed sind. Es sind ausschließlich Männer, die Turmfrisuren und hohe Absätze tragen und stark geschminkt sind. Und es sind ausschließlich Männer, die fast gar nichts tragen. Manchmal verlangt es der Sponsor. Es kommt schon vor, dass Pilsener auf blanker Herrenbrust angepriesen wird.

Die Vielfalt unter Lesben geht nicht so weit, dass frau es auch mal halbnackt riskiert. Hier ist noch einiges nachzuholen. Im Jahr 1996 gab es im S0 36 immerhin eine lesbische Trapeznummer – so etwas hatten die Schwulen bislang nicht zu bieten. Aber der Teddy ist ja auch erst ein Vierteljahrhundert alt. Er hat nicht nur viel verdiente Kritik einstecken müssen, er hat sie auch verkraftet. Mag man sich über das begrenzte Angebot an eingereichten Filmen beklagen – die unterhaltsamen Gäste machen das wieder wett.

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