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Grau ist alle Fantasie. Szene mit Jami Reid-Quarrell als Puck.

© Bettina Stöß/Deutsche Oper

Der "Sommernachtstraum" an der Deutschen Oper: Über allen Zipfeln ist Ruh

Mit „A Midsummer Night's Dream“ setzt Generalmusikdirektor Donald Runnicles den Britten-Zyklus an der Deutschen Oper fort.

Shakespeares „Sommernachtstraum“ ist ein zutiefst beunruhigendes Stück, eine eher notdürftig als Elfen-Komödie getarnte Grenzüberschreitung. Im nächtlichen Wald werden die Leidenschaften der Menschen durch Drogen manipuliert, schutzbefohlene Minderjährige begehrt und sodomistische Gelüste unter gellenden „Ihh-Ahh“-Rufen bejubelt.

Wer als Zuschauer am Ende nicht mindestens so durchgerüttelt ist wie die beiden verirrten jungen Paare aus gutem Hause, hat die Macht von Pucks Magie nie gespürt.

Benjamin Britten und sein Lebensgefährte Peter Pears haben den „Sommernachtstraum“ für das Libretto radikal gekürzt. Der Rotstift sauste durch die Verse, denn es musste schnell gehen: 1960 sollte die umgebaute Jubilee Hall beim Festival von Aldeburgh mit einer neuen Oper eröffnet werden. Immerhin gab es dort nun einen Orchestergraben und 316 Sitzplätze. Britten war längst eine Berühmtheit und wurde als Orpheus britannicus des 20. Jahrhunderts gefeiert.

Regie führte der junge US-Amerikaner Ted Huffman

Dennoch blieb Britten bei der Wahl seiner Theatermittel bescheiden und komponierte weiter musikalische Kammerspiele wie eben „A Midsummer Night's Dream“.

Daran muss man unweigerlich denken, wenn die Deutsche Oper Berlin (1859 Plätze) das Stück nun im Rahmen ihres ebenso ehrenwerten wie erfolgreichen Britten-Engagements auf die riesige, obendrein komplett leergeräumte Bühne stellt. (Weitere Vorstellungen am 29. Januar sowie am 1., 6. und 22. Februar).

In dieser Einöde sind die vom Komponisten bewusst zart besetzten Stimmen immer alleine, gewinnen nie auch nur annähernd Macht angesichts der drohenden Ohnmacht. Das ist gewiss eine existentielle akustische Grunderfahrung, aber keine, die echtes Spiel erlauben und Nähe zu den Figuren schaffen könnte. Es ist der Preis, den das Haus für eine Interpretation größtmöglicher Abstraktion zu zahlen bereit ist.

Vor Jahren schon hatte Musikchef Donald Runnicles den Wunsch geäußert, „A Midsummer Night's Dream“ in Berlin als Oper herauszubringen, wenn denn der richtige Regisseur dafür zu finden sei.

Die Wahl fiel auf Ted Huffman, einen jungen US-Amerikaner. Als seinen Seelenort nennt er Provincetown auf Cape Cod an der Ostküste, eine Zuflucht für Künstler und zugleich eine „queere Oase“ mit zahlreichen Drag-Bühnen. Natürlich schürt dieses öffentliche Bekenntnis Erwartungen.

Doch etwaige Erinnerungen an den seligen Dirk Bach als polymorph perverser Puck bleiben genau das – bloße Erinnerungen. Bei Huffman ist alles grau.

Damit kann man sich eine Menge latent unangenehmer Fragen vom Hals schaffen.

Diese Oper kreist um das Wesen des Traums

Etwa die nach der genauen Rolle der bei Britten allgegenwärtig sirenenhaft das Nachtlager besingenden Knaben. Für Huffman stecken sie bloß geschlechts- und alterslos in hellgrauen Anzügen. Was den Kinderchor der Deutschen Oper optisch in einen Schwarm Insekten verwandelt.

Auch der Auslöser des Ehekriegs im Elfenreich, der Kampf von Oberon (James Hall) und Tytania (Siobhan Stagg) um einen Waisenknaben, wird in beinahe grotesker Weise verharmlost.

Das Objekt der bei Shakespeare gar nicht keuschen Begierde ist hier ein Knirps in Uniform, der seinen Plüschhasen fest bei den Ohren packt.

Der Fragwürdigkeit konsequent entzogen, weiß der Zuschauer nicht recht, welche einschneidenden Erfahrungen die letztlich recht bornierten Wohlstandskinder Lysander (Gideon Poppe), Demetrius (Samuel Dale Johnson), Hermia (Keris Tucker) und Helena (Jeanine De Bique) denn nun in diesem Graubereich des Lebens machen könnten. Außer mit dem Schlaf zu ringen und zu unterliegen.

Eine Oper, die um das Wesen des Traums kreist, kommt nur schwer am Schlaf vorbei, es sei denn, sie verwandelt ihre Helden in Schlafwandler inmitten einer wachen Welt, ein perfider Kunstgriff des Belcanto. Britten siedelt seine Oper akustisch nahe am Wegnicken an, schon die Streicher-Glissandi zu Beginn können das Hinübergleiten in den Schlaf bedeuten, aber auch das Hochschrecken aus einem Nickerchen.

Nebelschwaden leider überall

So ist die gesamte Partitur gestaltet, als Wechselbad aus narkotischer Süßlichkeit und feindosierter Schärfe von Schlagwerk, Trompete und Cembalo. Donald Runnicles entscheidet sich konsequent gegen diesen zwittrigen Wesenszug von „A Midsummer Night's Dream“, gegen die quecksilbrige Natur, wie sie Puck verkörpert.

Selbst in Huffmans traumferner Regie darf wenigstens der Akrobat und Schauspieler Jami Reid-Quarrell durch die Luft gehen und schwebende Purzelbäume schlagen, die tatsächlich für Sekunden Puckzauber versprühen.

Donald Runnicles' vollmundige Klangmischung dagegen wirkt nachhaltiger als Baldriantee: Das Orchester klingt schmeichelnd, der Kinderchor wirkt balsamisch eingebunden, doch gleichzeitig wird das sensorische Empfindungsvermögen gedämpft.

Das durchgehend mit Niveau singende Ensemble bekommt so nie die vokalen Absprungpunkte, die in dem sängerfeindlichen Bühnenraum umso nötiger wären. Das wenig überraschende Ergebnis: Es kommt am besten über die Rampe, wer am lautesten schreit – James Platt als Halbzeitesel Bottom natürlich.

Angeblich schallt es ja so aus dem Wald zurück, wie man in ihn hineinruft. Bei „A Midsummer Night's Dream“ an der Deutschen Oper ist es nicht viel mehr als ein verschämtes Gähnen. Pucks berühmter Schlussmonolog bekommt da einen ganz anderen Dreh. Denn „beleidigt“ kann sich an diesem Abend niemand fühlen, weil Nacht und Traum ungeheuerliche Dinge enthüllt hätten, sondern weil Nebelschwaden die Hauptrolle übernommen haben, optisch wie musikalisch. Das haben weder Shakespeare noch Britten verdient.

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