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Domstädter. Wolfgang Niedecken kam 1951 in Köln zur Welt.

© Oliver Berg/dpa

Wolfgang Niedecken wird 70: Der „Südstadt-Dylan“ von Köln

Aufrecht, echt, engagiert: Mit BAP gründete Wolfgang Niedecken eine der erfolgreichsten kölschen Rockbands. Heute wird der Humanist und Mundartbewahrer 70. Eine Gratulation.

Künstler wollte er werden, das Studium der freien Malerei war bereits beendet, es konnte losgehen. Allerdings musste Wolfgang Niedecken 1976 erstmal Zivildienst leisten – und alles kam anders.

Entscheidenden Anteil daran hatte Frieder Engstfeld, mit dem Niedecken beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband „Essen auf Rädern“ für Senior*innen in der südlichen Altstadt ausfuhr. Der Kollege war glühender Bob Dylan-Fan und überzeugte Niedecken, dem amerikanischen Barden nach abgekühlter früher Leidenschaft noch einmal eine Chance zu geben. Der Zivi hörte hin – und war erneut entflammt.

Mindestens genauso wichtig für dessen Karriereschwenk waren die Nachmittage in der Altentagesstätte. Hier wurde konsequent Kölsch gesprochen – und gesungen. Wenn Wolfgang Niedecken und Frieder Engstfeld dort zur Gitarre griffen, um mit den alten Leuten zu singen, standen ausschließlich Karnevals- und Volkslieder auf dem Programm.

Niedecken, der in diversen Schülerbands seinen britischen Vorbildern nachgeeifert hatte, kam so überhaupt erst auf die Idee, dass man ja auch Lieder auf Kölsch schreiben könnte. Das erste verfasste er zum 93. Geburtstag seiner Lieblingsomi. Es heißt „Leev Frau Herrmanns“ und erzählt vom harten Leben einer 1883 geborenen Kölnerin, die als Kirmesbudenverkäuferin gearbeitet hatte.

„Zwesche Karussell un Scheeßbuud/ Och em Winter, wenn’t drisskalt wood / Stund se do, vüür ihrem Laade/ Zwesche all dä Kirmeskraade/ Frau Herrmanns, leev Frau Herrmanns“, lautet eine der Strophen, in der schon der typische Niedecken-Sound späterer Jahre aufscheint.

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Vor Kurzem hat der Musiker den Text in seinem Archiv wiedergefunden. Bis dahin hatte „Helfe kann dir keiner“ als sein erster kölscher Song gegolten, jetzt hat „Leev Frau Herrmanns“ diesen Ehrenplatz inne. Mit Akustikgitarre und Mundharmonika hat Niedecken es in einem Studio eingespielt.

Die Aufnahme vermittelt eine Ahnung davon, wie Niedecken Ende der Siebziger als „Südstadt-Dylan“ in den Kneipen geklungen hat, die er erst allein und später mit Band zu seiner Bühne gemacht hat. Die Kapelle bekam den Namen BAP, weil Niedecken so viel von seinem Vater (kölsch: Bapp) erzählte.

In den BAP-Texten thematisiert er Privates und Politisches

Die beiden hatten erst ein inniges, dann ein zunehmend schwieriges Verhältnis. Josef Niedecken war der extrem arbeitssame Betreiber eines kleinen Lebensmittelladens, erzkatholisch und erzkonservativ. Von 1961 bis 1970 schickte er seinen Sohn auf das Internat des Konvikts St. Albert in Rheinbach.

Ein Ort des Schreckens und der Verlorenheit wie Niedecken in seiner Autobiografie „Für ’ne Moment“ eindrücklich beschrieben hat. Er wurde dort geschlagen und erlebte sexualisierte Übergriffe durch einen Pater. Als sein Vater das mitbekam, sorgte er dafür, dass der Geistliche die Schule verlassen musste.

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Über die derzeitigen „Aufklärungsbemühungen“ von Kardinal Woelki dürfte Niedecken, der seine Erfahrungen schon Ende der Achtziger in den Songs „Nie met Aljebra“ und „Domohls“ thematisiert hat, nur mit dem Kopf schütteln. Nach dem Tod seines Vaters ist er aus der Kirche ausgetreten. Privates war genau wie Politisches immer wieder Stoff für seine BAP-Texte. Die Hits „Verdamp lang her“ und „Kristallnaach“ verdeutlichen dieses Spektrum schon früh.

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Dass die Gruppe Anfang der Achtziger zu einer der populärsten deutschen Rockbands aufsteigt, ist zu einem großen Teil der Verdienst des Gitarristen Klaus „Major“ Heuser, der 1980 dazukommen war. Er bringt Zug in die Kneipencombo, die sich schnell ein immer größeres Publikum erspielt. BAP machen nie einen Hehl aus ihrer linken Gesinnung, treten auf für die Friedensbewegung und gegen Rassismus.

So sind sie selbstverständlich auch 1992 beim legendären „Arsch huh, Zäng ussenander“-Konzert vor rund 100 000 Zuschauer*innen auf dem Chlodwigplatz dabei, um mit Kölner Musiker*innen ein Zeichen gegen rassistische Umtriebe im Nachwende-Deutschland zu setzen. Der Text des gemeinsam gesungenen Motto-Songs stammt von Niedecken – ein packender Appell für Zivilcourage.

Wolfgang Niedecken hat sich diese engagierte, aufrechte Art über die Jahrzehnte bewahrt, hat einen Schlaganfall, zahlreiche BAP-Umbesetzungen und heftigen Trubel beim 1. FC Köln überstanden. Seinen 70. Geburtstag hätte der große kölsche Mundart-Dichter Dienstag gern mit einem Konzert in der Mehrzweck-Arena seiner Heimatstadt gefeiert. Es soll nicht sein – aber vielleicht schreibt er sich und seinen Fans ja selbst ein Ständchen.

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