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Roaring Sixties. Jens Hagen und seine Lebensgefährtin Dorothee Joachim.

© Nachlass Hagen/Stadtarchiv Köln

Jens Hagen und sein "Köln Poem": Der Tanz am Rhein

Unter dem Pflaster liegt der Strand: Der Künstler Jens Hagen wird wiederentdeckt - und mit ihm sein vielstimmiges „Köln Poem“.

Der Olymp hat Jens Hagen nie gereizt. Er gehört zu den Künstlern, die das Ohr auf den Asphalt drücken, hingebungsvoll lauschen, um dann mit Furor in die Tasten ihrer „Olympia Monica“ zu hauen. Einen zärtlichen Graswurzel-Aktivisten der Literatur, so kann man diesen Wahl-Kölner nennen, der mit Günter Wallraff 1969 die Polizei bei den Vorbereitungen auf ihren Einsatz gegen studentische Demonstranten beobachtete, der Frank Zappa, Jimi Hendrix und France Gall fotografierte, der mittendrin war, in dieser fröhlichen und manchmal unheimlichen Zeit und heute doch wie eine Nebenfigur wirkt.

Eine reizvolle Perspektive: vom Rand und aus der Mitte. Gerade ihretwegen möchte man nach der ersten Berührung den Kosmos dieses vielfältigen, hybriden Werks aus Reportagen und Fotografien, Hörspielen, saloppen Haikus und fragilen Schreibmaschinenschrift-Miniaturen entdecken: um sich anstecken zu lassen von der überbordenden Energie, die über Hagens Tod hinausstrahlt.

Jens Hagen, 1944 bei München geboren, starb vor zehn Jahren. Sein Nachlass war jahrelang verschollen; er lag im Historischen Archiv der Stadt Köln, das 2009 einstürzte. Den Archiv-Mitarbeitern und der Beharrlichkeit seiner Gefährtin, der Kölner Malerin Dorothee Joachim, ist es zu verdanken, dass vieles inzwischen gerettet wurde. Hagens „Köln Poem“ erscheint nun zum ersten Mal vollständig, zusammen mit einer CD, auf der Hagen sein Langgedicht liest. Erst wenn man ihn singen, flüstern, brummen, schreien, quietschen und wie einen Rheindampfer tuten hört, zeigen sich die Qualitäten dieses Gesangs, der dem Hörspiel näher steht als dem Gedicht.

Seine vier Teile sind in den 1980er und 1990er Jahren entstanden. Hagen öffnet also ein Fenster in die gerade noch große Zeit der Rheinmetropole, die Zeit, bevor Berlin ihr den Rang ablief. „Köln, alte Kradenmutter, / Das schreib ich dir / Aufs Pflaster“: nämlich die Gewitztheit der Studenten und die Brutalität der Polizeiüberfälle um 1970. Die Klänge von Charlie Parker, Bill Haley, aber auch von Verlaine und Rimbaud. Die antiautoritäre kölsche Seele und ihre feige Verlogenheit („Die deutschen Helden sehen zu / und werden später / Von den wilden Zeiten schwärmen“). Die konsumkritische Ballade des Rattenkönigs und das ironische Loblied auf den Wandel: „Man wechselte / Vom großen Aufbruch ins Kleine Schwarze / Vom Pantoffel in die Männergruppe / Von Heimatlos ins Einig Vaterland / Vom Staatsverdruß zur Gauck-Behörde / Vom heiligen Heldenmut zum vorbeugenden Kotau (...) Man stieg um / Von Gauloise auf Bioquark“.

Kein „Kolossalgemälde“ habe er Köln widmen wollen, sondern den Rhythmus der Stadt erfassen, erklärte Hagen einst, und „meinen Rhythmus darin“. Montage ist das Prinzip dieses „City Poems“, das treibende Metrum seine Ausdrucksform und die Liebe zur Liste Zeichen eines Ordnungswunsches, dem mehr zugrunde liegt als der Versuch, eine Stadt mit wachen Sinnen und in kritischem Geiste zu verherrlichen.

„Das dröhnt, das / Kommt doch alles auf dich zu“ klingt es fast verzweifelt durch das erste Kapitel „Ich geh mit Picasso in den Park“. Kein Ausweichen möglich, so ist die Stimmung, kein Ort zum Verweilen, alles in ständiger Bewegung. So schreibt einer, dessen Vater 1980 wegen Beihilfe zum Mord an 70 000 Menschen verurteilt wurde. Herbert Hagen, Sturmbannführer der SS, Vorgesetzter von Adolf Eichmann und verantwortlich für die Deportation der französischen Juden. „Das muss man doch abschütteln können“, schreibt Hagen und weiß, dass sich Geschichte auch in die Körper der Nachgeborenen einschreibt.

Verletzlich und in Rage sein, diesem Gestus begegnet man auch in Jens Hagens zarten Schreibmaschinenschrift-Miniaturen. Manisch übertippt Hagen so lange die Zeilen, bis sie unlesbar werden. Manchmal, wie in seinem Epitaph zur Todesstrafe, kann man mit großer Mühe erkennen, was da steht. Diese Mühe, das scheinbar Unlesbare zu entziffern, verlangte Hagen sich und seinen Lesern ab. „Zierdeckchen-Rock“ war seine Sache nicht, ihm ging es darum, Existenz und Kunst zusammenzubringen: „Der Tanz bricht ab, Es bricht was auf“.

Jens Hagen: Nie ankommen. Köln Poem. Hrsg. von Dorothee Joachim. Sprungturm Verlag, Köln 2014. 103 Seiten mit CD, 19,90 €.

Insa Wilke

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