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Ihre Freiheit ist grenzenlos. Fatou Diatta alias Sister Fa wurde 1982 in Dakar geboren, ging in Casablanca zur Schule und kam 2006 nach Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Rapperin Sister Fa: Der Traum der Rebellin

Die im Senegal aufgewachsene Rapperin und Sängerin Sister Fa schreibt sozialkritische Texte und kämpft gegen die Beschneidung von Mädchen in Westafrika. Ein Treffen in Berlin, wo sie seit 2006 lebt.

Vier Frauen gehen hintereinander durch ein Dorf. Jede trägt ein schweres Bündel auf ihrem Kopf. Der Wandteppich über der Sofaecke des sonnigen Neuköllner Altbau-Wohnzimmers zeigt eine klassische senegalesische Alltagsszene. Fatou Diatta hat den braun-beigen Teppich von ihrer Mutter geschenkt bekommen. Und eigentlich hätte sie sich längst in eine ähnliche Reihe von schuftenden Frauen einfügen sollen. Doch die 1982 in Dakar geborene Sängerin und Rapperin, die größtenteils bei ihrer Tante aufwuchs, fand es schon als Teenager unfair, dass drei Viertel der Arbeit in ihrer Gesellschaft an den Frauen hängen bleibt: „Meine Tante ist jeden Tag sehr früh aufgestanden, um zur Arbeit auf der Plantage zu gehen. Wenn sie dann abends nach Hause kam, ging es mit der Hausarbeit weiter. Sie hatte überhaupt keine Ruhe“, erinnert sich Diatta. Ihr missfiel dieser Zustand so sehr, dass sie begann, mit Hip-Hop-Texten dagegen anzuschreiben.

Aus Fatou Diatta wird damals Sister Fa. Statt zu Hause für die Familie zu kochen, geht sie ins Studio und rappt. Ihr Onkel schreit sie deshalb an, aber die „geborene Rebellin“ lässt sich nicht beeindrucken. Lachend erzählt sie von ihrer Anfangszeit, die zudem dadurch erschwert wird, dass die männerdominierte Hip-Hop-Szene sie nicht ernst nimmt. „Die Produzenten denken, dass es sich nicht lohnt, mit einer Frau zusammenzuarbeiten, weil sie sowieso bald einen Mann hat und aufhört.“ Doch Sister Fa kämpft sich durch, startet mit Freunden ein kleines Label, tritt bei Festivals auf – und bringt 2005 ihr erstes Album heraus, das ihr den Titel des besten Newcomers bei den senegalesischen HipHop-Awards einbringt.

Im Jahr darauf kommt der österreichische Ethnologie-Student Lukas May nach Dakar, um Sister Fa für eine Studie über senegalesischen Hip-Hop zu interviewen. Er bleibt ein paar Wochen, begleitet sie auch in die Region Casamance, wo ihr Vater wohnt. Als Mays Rückflug ansteht, beschließt die Rapperin mit ihm nach Berlin zu gehen. Die beiden heiraten und haben seit sechs Jahren eine gemeinsame Tochter. Gerade ist die in der Kita, und so hat Sister Fa Zeit für ein Gespräch, das sich bald auch um ihr erstes in Deutschland veröffentlichtes Album „Sarabah – Tales from the Flipside of Paradise“ von 2009 dreht.

Der Titel bezieht sich auf einen senegalesischen Mythos über einen wundervollen, ruhigen Ort. „Als Kind habe ich mich dorthin geträumt, wenn ich traurig war“, sagt Sister Fa. Auf der weit über Hip-Hop hinausgehenden Platte mischt sie auch Soul,- Reggae- und Popelemente in den sanft-melancholischen Sound. Zu Beats, Gitarre, Bass und Schlagzeug gesellen sich Instrumente wie die Kora-Harfe, Balaphone und Djembe-Trommeln, die den Songs einen westafrikanischen Touch verleihen. Sister Fa singt und rappt in ihrer Muttersprache Wolof und in Französisch, dazu kommen etwas Mandinga und Jola, was sie in Casamance gelernt hat, wo sie einige Jahre zur Schule ging.

Ihre Texte sind persönlich und politisch. So ist etwa „Hip Hop Rek“ Sister Fas kraftvolles Bekenntnis zu ihrem Genre. Der Titel bedeutet „Nur Hip- Hop“. Sie hat diese Musik zunächst durch ihre Cousins kennengelernt, hörte Mobb Deep oder Naughty By Nature, später auch fanzösischsprachige Rapper wie MC Solaar oder die senegalesische Gruppe Positive Black Soul. Dass sie selbst Hip-Hop als Ausdruckmittel wählte, hat auch pragmatische Gründe: „Wir haben im Senegal die populäre Musikrichtung Mbalax, deren bekanntester Vertreter Youssou N’Dour ist. Doch in dieser Musik kann man keine Kritik üben, da geht es immer nur darum, wie schön war deine Großmutter, wie reich ist deine Familie. Im Hip-Hop hingegen kann man kritisch sein“, erklärt sie – und rappt in ihren „Sarabah“-Liedern über arrangierte Ehen, das harte Leben der Landfrauen und AIDS.

Einen ihrer emotionalsten Songs hat Sister Fa nicht auf die Platte genommen. Er heißt „Excision“ und handelt von genitaler Beschneidung. Sie selbst ist Opfer dieser Praxis. Noch vor ihrer Einschulung brachte ihre Mutter sie zu einer Beschneiderin. „Sie wollte das Beste für mich“, sagt Sister Fa über ihre mittlerweile verstorbene Mutter. „Denn in meinem Dorf findet eine unbeschnittene Frau keinen Mann, sie darf bestimmte Wege nicht gehen, nicht kochen oder an Zeremonien teilnehmen.“ Der soziale Druck führt selbst heute noch – 15 Jahre nachdem Senegal die Genitalverstümmelung verboten hat – dazu, dass in einigen Gegenden heimlich weitergemacht wird. Nach UN-Angaben sind in dem 12-Millionen-Einwohner- Land ein Viertel der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Weltweit mussten etwa 125 Millionen Mädchen und Frauen diesen Eingriff über sich ergehen lassen, bei dem die äußeren Genitalien (Klitoris und Schamlippen) ganz oder teilweise entfernt werden. Manchmal wird zudem die Vaginalöffnung vernäht.

Sister Fa wurde bewusst, dass etwas an diesem Ritual grundlegend falsch ist, als sie etwa 16 Jahre alt war. Damals starb ein Baby aus der Nachbarschaft an den Folgen falscher Wundversorgung nach der Beschneidung. Es war ein Skandal im Dorf, doch alles blieb beim Alten. Als Sister Fa älter war, sparte sie Geld fürs Internetcafé und recherchierte über das Tabu-Thema. In Deutschland begann sie dann auch, mit anderen darüber zu reden. Kein einfacher Prozess, doch inzwischen fühle sie sich psychisch geheilt, sagt die Musikerin.

Sie steckt viel Kraft in ihr Projekt „Education sans excision“: Zusammen mit einer Ärztin und einem Imam besucht sie seit einigen Jahren Schulen in Senegal und Guinea, um Jugendliche zwischen 12 und 14 für das Thema Beschneidung zu sensibilisieren. Die meisten Mädchen in den Klassen haben den schmerzhaften, gefährlichen Eingriff bereits hinter sich. Sister Fa will erreichen, dass die Schülerinnen ihren eigenen Kindern dieses Schicksal ersparen. „Hoffnung für die nächste Generation“ ist ihr Motto.

Am Abend des Workshop-Tages gibt die Sängerin mit ihrer Band sowie lokalen Musikern ein Gratiskonzert, zu dem alle örtlichen Würdenträger eingeladen sind. Zur Eröffnung präsentieren die Kinder, was sie am Tag gelernt haben. Doch nicht immer läuft es so feierlich und friedlich ab: 2013 wurde Sister Fa in einer Dorfschule in der nordsenegalesischen Region Fouta von islamistischen Fanatikern angegriffen. Eine Narbe am Unterarm ist ihr geblieben. Ihr Team zog sich aus der als extrem religiös geltenden Gegend zurück. Dabei hat weibliche Gentialbeschneidung nichts mit dem Islam zu tun.  „Schließlich waren Mohammeds Töchter auch nicht beschnitten,“ sagt Sister Fa. Den oft vorgebrachten Verweis auf die Tradition lässt sie ebenfalls nicht gelten: Die Praxis sei ein uralter Import aus Ägypten.

Die Projektarbeit, die Sister Fa oft in Kooperation mit NGOs durchführt, nimmt die Hälfte ihrer Zeit in Anspruch. Gerade denkt sie über eine Veranstaltung für afrikanische Frauen in Berlin nach. Doch die dynamische Neuköllnerin, die einen goldenen Notenschlüssel als Kettenanhänger trägt und über deren Schulter tätowierte Noten hüpfen, ist natürlich weiterhin Musikerin. Sie hat eine Reihe neuer Songs geschrieben. Einige davon werden beim Abschlusskonzert der Nächte des Ramadan am Mittwoch zu hören sein. Bis Ende des Jahres, hofft Sister Fa, kommt dann auch endlich ihr drittes Album heraus.

Konzert: 30. Juli, 19 Uhr, Alfred- Scholz-Platz, Neukölln, Eintritt frei

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