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Kultur: Der Weinzeichner

Multiples Talent: Chris Newmans erste Ausstellung in der Galerie Alexander Ochs.

„Think and Drink“ steht etwas krakelig, aber gut lesbar, in schwarzer Schrift auf der ungrundierten Leinwand. Darunter ziehen sich drei rötliche Streifen wie eine verblassende Spur über den durchscheinenden Stoff. Die Farbe erinnert an Blut, doch der Galerist Alexander Ochs gibt Entwarnung. „Chris Newman bleibt sehr kontrolliert und scharfsinnig, wenn er trinkt! Das ist nur Rotwein.“

Und tatsächlich hinterlässt getrocknetes Blut andere Rückstände. Unter den sich von der oberen Kante bis in die Bildmitte ziehenden Rotweinstreifen auf einem weiteren Bild aus dieser 2013 entstandenen Serie findet sich ein brauner Abdruck. Darüber fällt der Blick aus Vogelperspektive auf einen Stuhl und die kaum kenntliche Silhouette eines nackten Frauenkörpers. Hier war nun wirklich etwas Blut im Spiel, und Emotion, der Künstler hatte sich zuvor von seiner Freundin getrennt.

Newman gehöre zu den unterschätzen Künstlern, meint Ochs und freut sich über die Zusammenarbeit mit dem Künstler. Obwohl der Komponist, Musiker, Maler und Zeichner seit langem in Berlin lebt und mehrfach mit dem Ausstellungsraum 7hours zusammengearbeitet hat, könnte die Aufmerksamkeit größer sein. Die Ausstellung „A Pilgrimage in My Own Apartment“ strebt dies an. Newmans Wohnung muss verhältnismäßig eng sein. Denn auf einer Reihe von kleinformatigen Gemälden (2800 Euro) steht alles dicht an dicht: direkt neben dem Klavier ein Staubsauger, Zeichentische neben Klappstühlen, ein winziges Bad, dazwischen Stillleben mit Wasserglas oder Weinflasche. Newman nutzt sein Apartment als Unterkunft, Atelier und Komponierstube.

Und auch seinen wieder mittelformatigen, abstrakten Bildern sind diese eingeschränkte Räumlichkeit und ein direkter Körperbezug eingeschrieben (8000 Euro, wie auch die Rotweinbilder). Diese dritte Serie kennzeichnen vielfarbige Pinselstriche, die nur aus der Drehung seines Körpers oder dem Schwung seines Arms entstehen. Die Dynamik des Farbauftrags ist einer momentanen Statik des Künstlers geschuldet. Oder einer Strategie, sich selbst der Verantwortung über die Komposition zu entledigen. Deshalb verbindet sich Newman auch schon mal die Augen, während er malt, benutzt beide Hände oder tanzt auf die Leinwand zu. Die Farben wählt er auch nicht individuell aus, sondern legt eine komplizierte Kombinatorik zugrunde, für die er einzelne Farbtöne Ziffern zuordnet, die sich wiederum auf abgezählte Wörter aus Henrik Ibsens Drama „Gespenster“ beziehen. Von der schwermütigen Familientragödie erzählen Newmans Bilder aber nicht, sonder vielmehr von der Schönheit, die in der aleatorischen Selbstbeschränkung aufscheint.

Chris Newman wurde 1958 in London geboren. Seine konzeptuelle Arbeitsweise und sein Grenzgängertum zwischen Musik und bildender Kunst stellen ihn in die Nähe der Fluxus-Bewegung, mit Al Hansen und Emmett Williams ist er gemeinsam aufgetreten. Alexander Ochs hat ihn vor mehr als zwanzig Jahren über sein eigenes Engagement für die Neue Musik kennengelernt, die Berliner Kunstsammlerin Erika Hoffmann erwirbt Werke von Newman schon ähnlich lang. Auf der Ausstellungseröffnung zeigte sich aber auch Erich Marx interessiert, Wilhelm Schürmann kaufte ein Bild. Ochs stellt sich nun eine langfristige Partnerschaft mit Newman vor, plant die Veröffentlichung eines Buchs und will dem eigenwilligen Künstler eine größere Aufmerksamkeit verschaffen.

Für die erste Hängung hat er sich mit seinem Team einen besonderen Clou überlegt, der die Fluxus-Idee der künstlerischen Handlungsanweisung mit dem kalkuliert zufälligen Malakt Newmans verbindet. „Der Galerist wählte dreiundzwanzig Werke aus. Diese wurden rückseitig nummeriert“, heißt es auf einem erläuternden Zettel, der die Ausstellung flankiert. „Zwei Mitarbeiter der Galerie bewegten sich mit verbundenen Augen durch die noch leeren Räume; sie klebten vorbereitete Nummern an die Wände.“ Nach einem vorab festgelegten System wurde die Höhe festgelegt und die Bilder an die blind gefundene Stelle gehängt.

Als Folge dieses Zufallsprinzips hängen nun einige Bilder eng unter der Decke, knapp auf Kante oder sogar übereinander und setzen auch in der dritten Dimension in Szene. Vor allem aber ermöglicht diese unkonventionelle Hängung eine Freiheit, die auch die Fluxus-Bewegung für sich beansprucht hat. Newmans Bilder fügen sich so nicht in kuratorisch konstruierte Zusammenhänge, sondern nehmen eher beiläufig Kontakt miteinander und mit den Betrachtern auf. Wie Zufallsbekanntschaften, die einmal Freunde werden können. Marcus Woeller

Galerie Alexander Ochs, Besselstr. 14; bis 14.9., Di–Sa 11–18 Uhr

Marcus Woeller

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