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Kultur: Der zarte Schleier

Geheimnisse der Hofkunst: eine opulente Lucas-Cranach-Ausstellung in Chemnitz

Nach dem Kurfürsten von Sachsen und dessen Kanzler war er der drittreichste Mann der Stadt. Lucas Cranach der Ältere, seit 1505 Hofmaler Friedrichs des Weisen in Wittenberg, besaß stattliche Häuser und Grundstücke. Der Freund Martin Luthers und Albrecht Dürers betrieb eine Apotheke, amtierte als Bürgermeister und handelte mit Wein. Doch die Hauptquelle seines Wohlstands dürfte die Kunst gewesen sein. Die Mächtigen und Prächtigen der Zeit wollten von ihm porträtiert werden oder eine der gewagten erotischen Darstellungen besitzen. Kirchenherren und Stifter rissen sich um seine Andachtsbilder und vielteiligen Altarwerke. Und Cranach lieferte – an Fürsten, Erzbischöfe und Kaufleute, an Katholiken wie Lutheraner.

In seinem bis heute erhaltenen Haus am Wittenberger Marktplatz begründete der 1472 im fränkischen Kronach geborene und in Nürnberg und Wien ausgebildete Künstler eine Familientradition, die sich bald zu einer der bedeutendsten Künstlerwerkstätten Europas auswuchs. Meisterwerke entstanden dort gewissermaßen in Serie – und wurden zudem, reproduziert im neuen Medium der Druckgrafik, direkt ab Werkstatt massenhaft unters Volk gebracht. Cranach der Ältere beherrschte die Klaviatur der Selbstinszenierung lange vor Künstlern wie Tizian, Rembrandt oder Rubens.

1550 vermachte er die florierende Firma seinem Sohn Lucas Cranach dem Jüngeren. Der übernahm mit dem väterlichen Erbe auch das im Werkstattbetrieb bewährte Formenrepertoire und modernisierte es, im Sinne eines höfischen Manierismus, erstaunlich zurückhaltend. Schon bei den im Jahrzehnt vor 1550 entstandenen Bildern lassen sich die Anteile von Vater, Sohn und Mitarbeitern schwer auseinander dividieren.

Zum unmittelbaren Vergleich lädt nun die große Cranach-Ausstellung in Chemnitz ein, wo sich in der Schlosskirche auch ein Cranach-Altar in situ erhalten hat. Den mit 65 Werken beider Cranachs weltweit größten Bestand an Gemälden besitzen allerdings die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Einiges hängt in der Gemäldegalerie Alte Meister und der Rüstkammer, das Gros jedoch wird meist unzugänglich im Depot verwahrt. 1996 war dieser Bilderschatz schon einmal für eine Sonderausstellung im Dresdner Schloss ans Licht geholt worden. Inzwischen wissenschaftlich und restauratorisch untersucht, bildet er auch den Löwenanteil der Chemnitzer Ausstellung.

Zu entdecken sind zwei Granden der europäischen Renaissance-Malerei, die lange unter dem Verdikt litten, sich als Illustratoren der Reformation verausgabt zu haben. Natürlich fehlen auch in Chemnitz, wo der Dresdner Bestand durch weitere Leihgaben auf stolze 77 Gemälde angereichert wurde, weder die kanonischen Bildnisse Martin Luthers und Philipp Melanchthons noch die biblischen Lehrtafeln zu „Lasset die Kindlein zu mir kommen“. Doch die von Karin Kolb und Harald Marx klug thematisch statt chronologisch gehängte Ausstellung rückt eher das ambivalente Hofkünstlertum der Cranachs in den Mittelpunkt.

1514 schuf Cranach der Ältere mit den Staatsporträts des sächsischen Herzogs Heinrich des Frommen und seiner Gemahlin Katharina von Mecklenburg die ersten lebensgroßen weltlichen Ganzfigurenbildnisse nördlich der Alpen. Das aufgerüschte Paar platzt fast vor Diesseitigkeit – und wirkt doch merkwürdig labil vor den pechschwarzen Bildhintergründen, die das Ende aller Zeiten ankündigen. Vis-à-vis hängt die sechsteilige Bildnisserie, die Cranach der Jüngere 50 Jahre später von Kurfürst August von Sachsen, der Fürstin und den vier Kindern anfertigte: Wenn auch diese Herrschaften alle Insignien der Macht tragen, scheinen sich ihre berückend schön gemalten Schatten doch am liebsten verflüchtigen zu wollen – im Gegensatz zu den bodenständigen Körpern, die wie eingepuppt in ihren spanischen Hofkleidern stecken.

In diesen Bildern erweist sich der Sohn als Vollender, nicht als Kopist des Vaters. Ebenso bei den Frauenfiguren, die mal als himmlische, mal als teuflische Versuchung triumphieren. Entwaffnende Grazie und sinnlicher Aplomb, mit denen sie ihre ausrasierten Stirnen recken und ihren Unterleib grazil nach vorne strecken, finden sich, irritierend genug, schon bei den heiligen Katharinas und Barbaras aus vorreformatorischer Zeit. Erst recht jedoch bei den Hofdamen und Tugendheldinnen späterer Jahre. Mit den Aktdarstellungen einer Venus oder Lucretia, die außer durchsichtigstem Schleiertuch nichts tragen, zeigt schon Cranach der Ältere, dass es ihm, anders als Dürer, nicht auf anatomische Korrektheit jeder Muskelfaser ankommt. Wohl aber auf jene noch spätmittelalterliche Freude an der Bilderzählung, die vor kräftigen Fingerzeigen nicht zurückschreckt. Etwa in Gestalt der stolzen, aber keineswegs unnahbaren Begleiterin, die Bathsebas Keuschheit im Bade vor König David Lügen straft.

Mit dieser ganz und gar hinreißenden Rückenfigur im roten Kleid hat die Chemnitzer Ausstellung ihr Plakat- und Covergirl gefunden. Und die direkte Überleitung zu Picasso, der sich ab 1942 in einer losen Folge von Arbeiten auf Papier Cranachs erotischen Darstellungen zuwandte. 17 Blätter, darunter einige Neuerwerbungen für die Chemnitzer Sammlung, erneuern das Lob einer Schönheit, die sich bei aller Vitalität erst im Wissen um ihre Endlichkeit vollendet.

Kunstsammlungen Chemnitz, bis 12. März. Katalog 30 €.

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