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Kultur: Die Akropolis des Westens

Mit Richard Meiers spektakulärem Neubau unterstreicht das Getty Center in Los Angeles seinen kulturellen Weltrang - und erweist sich doch als sehr amerikanisches MuseumVON BERNHARD SCHULZDie Stürme, die "El Nino" selbst in der nördlichen Hälfte des amerikanischen Doppelkontinents zugeschrieben werden, haben sich verzogen, und was ihnen folgt, ist herrlichster Sonnenschein.Durch die kristallklare Luft geht der Blick vom schneebedeckten Gipfel des Mount Whitney bis zum glitzernden Wasserspiegel des Pazifischen Ozeans.

Mit Richard Meiers spektakulärem Neubau unterstreicht das Getty Center in Los Angeles seinen kulturellen Weltrang - und erweist sich doch als sehr amerikanisches MuseumVON BERNHARD SCHULZDie Stürme, die "El Nino" selbst in der nördlichen Hälfte des amerikanischen Doppelkontinents zugeschrieben werden, haben sich verzogen, und was ihnen folgt, ist herrlichster Sonnenschein.Durch die kristallklare Luft geht der Blick vom schneebedeckten Gipfel des Mount Whitney bis zum glitzernden Wasserspiegel des Pazifischen Ozeans. Los Angeles, jener Moloch von Stadt, der die weite Ebene zwischen Gebirge und Meer ausfüllt, erlaubt solche ungetrübten Blicke nur selten.Man muß zumindest auf einem Ausläufer der Santa-Monica-Berge stehen, die sich ein wenig in die ausufernde Besiedelung hineinschieben, um einen solchen Blick wirklich zu genießen.Dort oben hat das Getty Center Position bezogen.Seine Eröffnung ist nicht einfach ein weiterer Neubau im rasch sich wandelnden Gefüge der Stadt.Es ist ein kultureller Paukenschlag. Ab Dienstag wird sich die Öffentlichkeit vertraut zu machen beginnen mit dem, was in kaum 20 Jahren herangewachsen ist."Das" Getty wurde bislang mit dem liebenswerten, unter Puristen jedoch als Imitation verachteten Museum gleichen Namens im Vorort Malibu gleichgesetzt, voller antiker und zunehmend auch europäischer Hochkunst, aber bei flüchtigem Hinschauen doch eher als die Kollektion eines reichen Amateurs abgetan.Dieses Bild stimmte zwar schon längst nicht mehr.Wie wenig es aber zutraf, wie weit das Getty vielmehr in die erste Reihe der Museen der europäischen Hochkultur aufgestiegen ist, wird erst mit der Eröffnung seines neuen Domizils - und dafür um so nachhaltiger - deutlich. In den zurückliegenden Jahren hat der weltweite Boom im Museumsbau zu beeindruckenden Leistungen geführt - nur fehlte mehr als einmal die entsprechende Sammlung.Getty ist das umgekehrte Beispiel: eine außerordentlich angewachsene Kollektion bedurfte einer angemessenen Behausung.Die hat sie jetzt erhalten; und selbst Besucher, die mit dem wahrlich nicht kleinen Nachbau der antiken Villa in Malibu vertraut waren, müssen sich an den Glanz der Bestände in den vier untereinander verbundenen Einzelhäusern, die das Getty Museum bilden, erst noch gewöhnen.Vergleiche mit der Eröffnung des New Yorker Metropolitan Museum vor mehr als 100 Jahren, wie sie in den örtlichen Medien gezogen werden, sind alles andere als bloßer Lokalpatriotismus.Das anerkennende Erstaunen, das mit ebenso viel Geld wie Kennerschaft in den Jahren seit dem Vermächtnis des exzentrischen Ölmagnaten J.Paul Getty aus einer Privatsammlung ein Weltmuseum entstanden ist, reicht nicht nur bis in die etablierten Institutionen der amerikanischen Ostküste, sondern unvermindert bis nach Europa. Nun also hat das Museum ein Haus.Und mehr als nur das Museum: Der Getty Trust besteht aus weiteren fünf Institutionen plus einem Zuwendungsprogramm, deren Arbeit den Namen des 1976 verstorbenen Magnaten längst über jeden Zweifel erhoben haben.Getty verfügte nichts weiter, als mit dem von ihm hinterlassenen und damals auf 700 Millionen Dollar veranschlagten Vermögen für die Verbreitung und das Verständnis der Kunst tätig zu werden.Diesen Zielen widmen sich neben dem Museum insbesondere das Getty Forschungsinstitut für Kunstgeschichte und Geisteswissenschaften, das alljährlich die besten Wissenschaftler als Stipendiaten nach Los Angeles holt, und das Institut für die Erhaltung von Kunstwerken, das mittlerweile 1700 Projekte in über 100 Ländern der Erde fachlich und finanziell betreut hat.Das Stiftungsvermögen ist seit Gettys Tod auf 4,5 Milliarden Dollar, derzeit also beinahe acht Milliarden Mark, angewachsen.Davon müssen, um des Steuerprivilegs nicht verlustig zu gehen, in drei von vier aufeinanderfolgenden Jahren jeweils 4,25 Prozent für satzungsgemäße Zwecke ausgegeben werden.Zuletzt lagen die Ausgaben bei 500 Millionen Dollar im Jahr.Den Löwenanteil verschlangen die Investitionen: Die in die "Entwicklung der Sammlungen" - wie die opulente Ankaufspolitik dezent umschrieben wird - und eben dem Bau des Getty Center auf dem Hügel über der Stadt. 100 Millionen Dollar waren einst dafür veranschlagt; eine gute Milliarde ist es geworden.Richard Meier, mit allen denkbaren Auszeichnungen geehrter Stararchitekt aus New York, hat den Komplex mit seinen fast 90 000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche entworfen - und ist darüber 13 Jahre älter geworden.Sieben Jahre dauerte der Entwurfsprozeß, währenddessen die Getty-Verantwortlichen erst einmal das Raum- und Funktionsprogramm entwickeln und spezifizieren mußten, und weitere sechs Jahre dann der eigentliche Bau.Währenddessen hat Meier zahlreiche weitere Bauwerke geschaffen, hat in Barcelona mit einem Museumsbau ebenso brilliert wie in Den Haag mit dem "Stadthaus", einer Kombination von Gemeindeverwaltung und Hauptbücherei. Er hat überhaupt beinahe mehr in Europa gebaut als in den Vereinigten Staaten und gilt mit seinem Markenzeichen, den makellos weißen Fassaden, als Lordsiegelbewahrer der klassischen europäischen Moderne.Doch auf dem Hügel, der Los Angeles zwar überblickt, aber eingebettet ist in die wohlhabenden und kommunal eigenständigen Vororte mit ihren mißtrauischen Einwohnern, konnte Meier nicht drauflos bauen.Anstelle des blendenden Weiß dominiert, von außen und unten gesehen, elfenbeinfarbener Travertin, geschnitten in Platten mit rustikaler Oberflächenstruktur, die das unglaublich gleißende Licht Südkaliforniens weniger reflektieren als absorbieren.Erst im Inneren des um zwei einander schneidende Achsen geordneten Konglomerats aus Museumspavillons, der zugehörigen Sonderausstellungshalle, dem Forschungszentrum, dem Konservierungsinstitut, dem Verwaltungstrakt, dem Auditoriumsgebäude und schließlich einem Restaurantflügel sticht das Meiersche Weiß von Fassadenflächen, Säulen und Sonnenschutzdächern, nicht zuletzt aber den zahllosen Erschließungs- und Fluchttreppen ins Auge.Anders als von unten, vom zehnspurigen San Diego Freeway her, über den das Getty verkehrsmäßig ideal an die autovernarrte Stadt angebunden ist, und von wo aus das Center enttäuschend wuchtig wirkt, stellt sich oben jene schwebende Leichtigkeit ein, die die Volumina Meierscher Bauten gewöhnlich in ein Geflirr von weißen Linien aus vertikalen und horizontalen Stützen und Streben aufzulösen vermag.Struktur und Haut, jenes aus der klassischen Moderne übernommene Dioskurenpaar, mußte beim Getty Center zumal bei den fensterlosen, dafür allerdings mit Oberlicht bestens versorgten Museumspavillons der eher italienisch inspirierten Natursteinverkleidung weichen.Tapfer beharrt der Architekt darauf, die Steinfassaden von Anfang an gewollt zu haben, doch einem so ausgewiesenen Modernisten werden die Anleihen bei tradierter Architektur gewiß nicht leicht gefallen sein. Das Getty Center ist in mancherlei Hinsicht ein Kompromiß.Es ist riesengroß, darf das aber auf Grund seiner exponierten Lage nicht unverblümt zeigen; daher mußte das Raumprogramm in eine Vielzahl von wiederum filigran verschachtelten Einzelgebäuden aufgeteilt werden.Es ist zeitgenössisch und in technischer Hinsicht beispielhaft ausgestattet, aber es versucht architektonisch zugleich jene Traditionssicherheit auszudrücken, die die junge Institution des Getty über jeden Verdacht des neureichen Emporkömmlings erheben soll.Und nicht zuletzt zeigt das Museum seine Werke in neutralen Galerien, doch wurde andererseits ein Innenarchitekt für die Gestaltung von delikaten "Epochenräumen" für die reichlich vorhandenen Möbel und kunsthandwerklichen Objekte engagiert, so daß der Besucher zwischenzeitlich in Barockschlössern oder Empire-Residenzen zu lustwandeln glaubt. Ähnlich verhält es sich mit der "Firmenphilosophie".Einerseits ist der Anspruch universell; dafür stehen das weltumspannende Konservierungsprogramm ebenso wie die Sammlungen, die von der Antike über die Renaissance, über Rembrandt und Poussin (von dessen Hand eine "Landschaft" gerade erst für 26 Millionen Dollar ins Haus kam) bis zu Van Gogh reichen.Andererseits ist das Getty mit seiner neuen Behausung nicht länger ein wunderlicher Exot, sondern ein ebenso beeindruckender wie manch einen auch beunruhigender Schwerpunkt im kulturellen Gefüge des Großraums von Los Angeles.Der aber ist multi-ethnisch, multikulturell, heterogen in jeder Hinsicht; und eine Institution, die das kulturelle Erbe europäischer Herkunft in einer derart überzeugten Weise hochhält, tut gut daran, diesem hegemonialen Grundzug durch ein Angebot für Minoritäten aller Art auszubalancieren.Wie eine Burg, wie eine Abtei des Geistes erhebt sich der Gebäudekomplex über den gewöhnlichen Dunst der Stadt.Bei der Vorbesichtigung lag in der Bibliothek des ringförmig angelegten Forschungszentrums das Original von Schinkels "Architektonischem Lehrbuch" von 1840 mit jener Tafel aufgeschlagen aus, die den Phantasieentwurf zu Schloß Orianda auf der Krim zeigt.So wie Schinkel in königlichem Auftrag eine Akropolis - samt Museum! - zwischen Gebirge und Meer ersann, soll die Anspielung sagen, hat Richard Meier mit dem wundersam vermehrten Geld des Ölmoguls Getty eine Akropolis unserer Tage errichtet.Die aber liegt nicht in der Alten Welt, sondern im zukunftsfreudigen Los Angeles.

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