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Kultur: Die Angst im Walde

FORUM „Dreileben“, ein Experiment von Petzold, Graf und Hochhäusler

Es begann 2006, mit einer Mail-Korrespondenz. Die Filmemacher Christian Petzold, Christoph Hochhäusler, zwei Protagonisten der jüngeren „Berliner Schule“, und der Münchner Dominik Graf, Autorenfilmer der ersten Generation, führten einen freundschaftlichen Disput. Über die Einsamkeit des Filmemachens in Deutschland zwischen Kommerzkino und Festivalkultur, das „Ersterben in den eigenen gut gewärmten Socken“ (Graf), die Melancholie des neuen Bürgertums – und vor allem über die Chancen und Gefahren des Stilwillens bei den Berliner „Schneewittchenfilmen“, wie Graf sie einmal nannte, weil er Kommunikation, Humor und Sinnlichkeit darin vermisste.

Nachbarschaft statt Einsamkeit. Über die in der Zeitschrift „Revolver“ veröffentlichte (im Forums-Katalog gekürzt nachzulesende) Korrespondenz entstand die Idee zu einem gemeinsamen Projekt. Kein Omnibusfilm, sondern „drei Geschichten, drei Filme, von drei Autoren, die sich einen Ort, eine Tat, eine Zeit teilen“. So entstand „Dreileben“, drei mal 90 Minuten mit je eigenem Team, eine TV-Gemeinschaftsproduktion von WDR, BR und ARD Degeto.

Der Ort: Oberhof bei Suhl im Thüringer Wald. Ski-Hotels, eine Klinik am Waldrand, eine Felsenhöhle, eine Autobahnbrücke. Die Tat: Die Polizei und das LKA jagen einen flüchtigen Frauenmörder, der sich in den Wäldern versteckt. Christian Petzold webt in „Etwas Besseres als den Tod“ ein Melodram hinein: Der Zivi Johannes (Jacob Matschenz) trifft das Zimmermädchen Ana (Luna Mijovic), eine zunächst scheue, dann schwärmerische Liebe, der die sozialen Barrieren zwischen dem angehenden Medizinstudenten aus gutem Hause und dem Mädchen aus Sarajewo im Weg stehen. Ana bei den Motorradrockern, Ana an der Bushaltestelle, das Paar allein auf dem Waldweg, er allein auf der Lichtung am See, sie allein an der Höhle, in der Ferne die Martinshörner, Hubschrauber und bellenden Suchhunde der Polizei. Petzold setzt die Liebenden einer Atmosphäre latenter Bedrohung aus. Hier das zarte, schutzlose Glück, dort die unsichtbare Gefahr und die Ahnung: Das geht nicht gut.

In Dominik Grafs „Komm mir nicht nach“ reist die Polizeipsychologin Jo (Jeanette Hain) an, um bei der Mördersuche zu helfen. Sie wohnt bei einer alten Freundin (Susanne Wolff) und deren Mann, einem Bestsellerautor (Misel Maticevic, der Held aus „Im Angesicht des Verbrechens“, mit Brille, Bart und schlagfertigen Sottisen). Man verbringt die Abende bei Rotwein und Geschichten von früher. Graf lädt die Atmosphäre erotisch auf, mit Sehnsüchten, Geheimnissen, Misstrauen und Eifersucht. Fährten legen, Spuren lesen: Hier spielt jeder mit seiner Identität, herrscht ständig Verwechslungsgefahr. Camouflage und Korruption auch bei der Polizei, wie Jo herausfinden wird. Eines Nachts steht der Gesuchte im Garten, einen Augenblick nur – und Jo setzt bei der Fahndung einen Lockvogel ein.

Christoph Hochhäuslers „Eine Minute Dunkel“ schließlich folgt dem entflohenen Häftling Molesch (Stefan Kurt). Das Psychogramm eines Gejagten – und die Ermittlung eines krankgeschriebenen Ortspolizisten, der den Frauenmord von damals rekonstruiert und Überraschendes zutage fördert. Ein Mann auf weichem Nadelwaldboden, im Maisfeld, zwischen den Betonpfeilern der Brücke, ein anderer Mann, der Fotos betrachtet. Nachtbilder, Kindheitsmuster, Hinterlassenschaften: Wie ein Archäologe erkundet Hochhäusler die Konsistenz der Dinge.

Ein TV-Krimi, ein Schauermärchen aus dem deutschen Wald, ein Experiment, ein Sehvergnügen: Der Zuschauer wird selber zum Detektiv und sucht nach Spurenelementen der jeweils anderen Filme. Die Tapetentür in der Klinik, Molesch hinterm Baumstamm, ein Werbeplakat, ein Hotelbett. Erst mit der allerletzten Einstellung fügt sich das Bild zusammen – und so ist „Dreileben“ am Ende weit mehr als die Summe seiner Teile.

Petzold verortet das Geschehen und lädt es mit Spannung auf, Dominik Graf verdichtet es zum Sittenbild einer Kleinstadt, und Hochhäusler begibt sich ins Unterholz der Vergangenheit. Drei Erzähltempi, drei Temperamente, drei Handschriften – und die gelungene Liaison von Genrekino und Autorenfilmkunst im besten Wortsinn. „Dreileben“ soll im September ausgestrahlt werden.

Heute 18 Uhr (Delphi), 20.2., 14 Uhr (International)

Drei Temperamente,

drei Geschwindigkeiten,

drei Handschriften. Ein Krimi

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