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Die Band Gewalt wurde 2016 von Patrick Wagner (re.) und Helen Henfling (Mitte) gegründet. Jasmin Rilke (li.) blieb bis 2023 dabei.

© promo

Die Berliner Band Gewalt vor ihrem großen Heimspiel: Die dunkle Seite des Erfolgs

Das Trio um Patrick Wagner ist für seine radikale Haltung bekannt. Sein Industrial-Punk erzählt vom Scheitern und hat in acht Jahren vieles erreicht. Nur reichen tut es nie. Eine Würdigung zum Konzert im Revier Südost.

Stand:

Er hat lange überlegt, ob er es wirklich wagen soll. Er würde vor Publikum über seine Band reden müssen. Ok, Patrick Wagner tut nichts lieber als das. Er würde sich in den Mittelpunkt stellen. Auch eine Sache, die ihm wohl läge. Er würde vom Scheitern erzählen, was ebenfalls nichts Neues wäre. Aber vor allem würde er sich seiner letzten Illusionen berauben, und das würde weh tun. Da hört der Spaß auf.

Schließlich stellte sich Patrick Wagner in den Mittelpunkt, hielt Mitte September einen Vortrag bei den Fuck-Up-Nights in Berlin, einer beliebten, von ihm mitgegründeten Veranstaltungsreihe, in der Menschen aus allen erdenklichen Sparten von persönlichen Krisen und Wendepunkten berichten, und er nun eben davon, dass sich seine Band „unter Wert“ verkaufen müsse.

Die Sache sei gut gelaufen, meint Wagner hinterher. „Aber um ehrlich zu sein: Eine Band mal ausschließlich auf wirtschaftlicher Ebene zu analysieren, dann auch noch die eigene, das wünscht man niemandem.“

Ein Manager hätte Wagner vielleicht von diesem Schritt abgeraten. Aber Gewalt, die Berliner Band, um die es in Wagners Vortrag ging, hat keinen Manager. Sie hat auch kein Label mehr. Und sie könnte auch auf ihre Booking-Agentur verzichten. Und das ist das Problem: Die Infrastruktur des Musikgeschäfts, das professionellen Musikern erlaubt, professionell zu arbeiten, ist so weit erodiert, dass viele von Bürgergeld und Nebenjobs leben. Die Marke, um die sich ein Manager vielleicht Sorgen machen würde, ist das eine. Etwas anderes die Unmöglichkeit, eine Existenz auf ihr zu gründen.

Ehe kaputt, Business kaputt, kein Geld mehr

Dabei haben viele Musiker und Musikerinnen durchaus Erfolg, ziehen ein wachsendes Publikum an, wie Gewalt es durchaus auch tut, wenn sie am 2. Oktober ihr bislang größtes Berlin-Konzert im RSO geben werden.

Aber was heißt schon Erfolg in einer Branche, die nach der Digitalisierungswelle der 90er Jahre den nächsten Strukturwandel zu bewältigen hat – diesmal durch KI-Programme? Und was ist ein Erfolg wert, der sich nicht auszahlt?

Gewalt, das sind drei Menschen und eine Maschine: Wagner und seine Lebensgefährtin Helen Henfling an den Gitarren sowie Neumitglied Sol Astolfi am Bass. Die Beats sind programmiert. Nach etwas weniger als zehn Jahren stehen sie wieder wie am Anfang vollkommen allein da. Allerdings hat das Trio 60 Auftritte in diesem Jahr bereits absolviert. Im Oktober und November begibt man sich auf eine selbst organisierte Europa-Tournee.  

Das ist imposant für ein Projekt, das seine Ursprünge in einer tiefgreifenden Lebenskrise des früheren Label-Gründers und Musikmanagers Wagner hatte. Nach Jahren, in denen sich der gebürtige Pfälzer vergeblich gegen den ökonomischen Abstieg der Indie-Kultur gestemmt hatte und mit seinem eigenen Label Louisville schließlich doch Pleite ging, war er auch seelisch am Boden: Ehe kaputt, Business kaputt, kein Geld mehr und nichts, woran sich anknüpfen ließe.

Wagner rutschte in ein Loch, seelisch und psychisch bankrott. Die politischen Haltungsfragen, mit denen er sich als Szenegröße und Frontman der Rockgruppe Surrogat herumgeschlagen hatte, kamen ihm lächerlich und abgenutzt vor. Auf dem Grund seiner Depressionen gelangte er zu der Erkenntnis, dass „weitermachen zu müssen die Gewalt über uns ist, der wir nicht entkommen“.

„Fuck, ich muss hier raus / Dann fällt mir auf, das kann ich nicht / Das läuft so nicht.“

Patrick Wagner im Song „Das kann ich nicht“

Mit diesem Gedanken hatte er 2016 etwas zu fassen bekommen, das in Musik übersetzt vielleicht Bedeutung gewinnen könnte – für ihn selbst, aber auch für ein Publikum, das an Pop-Parolen nicht mehr glaubt und mehr von Musik erwartet als organisierte Trivialität.

So gründeten Wagner und Henfling eine Band, die es ernst meinen und sich stilistisch an Wagners All-Time-Favorite Steve Albini orientieren würde und dessen kompromisslosem Postpunk-Minimalismus von Shellac anno 1998: ein harter, magerer Industrial-Sound, eintönige, demonstrativ künstliche Beats und breite Gitarrenriffs. „Berlin Wutwave“ lautet das selbst erfundene Etikett.

Industrial-Minimalismus. Gewalt sind drei Menschen und eine Maschine.

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Zum Hit wurde 2019 die Single „Deutsch“, aus naheliegenden Gründen: Wie das Trio mit der Angst und Gefühllosigkeit eines „fiesen Mobs“ abrechnete, war ein prägnantes Beispiel deutschen Selbsthasses, der immer anschlussfähig ist. Grandios dabei, wie Wagner stotternd, fast würgend das Wort „D-D-D-Deutsch!“ ausspuckte. Da hatte er den inneren Hitler in sich aktiviert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Im Ausland kam das besonders gut an, „weil der Deutsche sich da vorführt“, wie Wagner glaubt. „Nur in Deutschland klappt das nicht.“

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Die Band gab denkwürdige Festivalkonzerte, es lief immer besser, als die Corona-Krise vor fünf Jahren alles zum Erliegen brachte und auch die Gewalt-Mitglieder zwang, Überbrückungshilfe zu beantragen.

Im vergangenen Jahr ist das zweite Album erschienen: „Doppeldenk“ (Clouds Hill), betitelt in Anspielung auf Orwells Metapher des Selbstbetrugs in „1984“. Für die Band war es musikalisch eine Weiterentwicklung. Düster und dystopisch („Ich seh die Welt Schwarz-Schwarz“), aber auch filigraner und mutiger im Rückgriff auf Groove, Akustik-Gitarre und Saxofon.

Man hört einem Liebesrausch wie „Ein Sonnensturm tobt über uns“ das schlechte Gewissen förmlich an, mit dem Wagner, Henfling und ihre vormalige Bassistin Jasmin Rilke sich in seichteren Tonlagen versuchen. Härte ist dann eben doch die beste, aber auch gefährlichste Panzerung gegen das eigene Empfinden.

Mit passiv-aggressiver Kälte werden Drohnenkrieg und Party-Hedonismus, das soziale Elend im öffentlichen Stadtbild, das Bedrückende und auch das Erhebende besungen, das sich in der physischen Verausgabung erfüllt. Noch immer kreist die Band um das grundsätzliche Problem, nicht dazugehören zu können, und zwar ohne den üblichen Stolz darauf: „Fuck, ich muss hier raus“, schreit Wagner einmal zu dem Funk-Beat seines Roland 303. „Dann fällt mir auf, das kann ich nicht, das läuft so nicht.“

„Doppeldenk“ erhielt viel Zuspruch unter anderem als „großartig verstörendes, bipolares Werk“ („MusikBlog“), Vergleiche zu Hot Chip und Einstürzende Neubauten wurden gezogen. Doch für die 140.000 Streamings, die auf Spotify aufgerufen wurden, bekam das Trio weniger als hundert Euro ausbezahlt. Da mache es wenig Sinn, an ein weiteres Studioalbum überhaupt nur zu denken, wie Wagner und Henfling sagen, als sie in einem Café in Mitte über Salatteller gebeugt von dem frustrierenden Weg erzählen, der sie ziemlich weit, aber nicht weit genug gebracht hat, wie sie finden.

Helen Henfling ist so weit zu sagen: „Ich find’s besser, meine Miete bezahlen zu können, als in einer Band zu sein.“

Wagner: „Solange man auf Tour ist, klappt alles, aber kaum ist man wieder zurück, sind dieselben Probleme wie vorher immer noch nicht gelöst.“

Henfling: „So funktioniert es nicht.“

Die erfahrene TV-Journalistin schreibt Bewerbungen für Jobs, die ihr nebenbei ermöglichen müssten, in der Band zu bleiben. Denn verzichten auf etwas, das sich wie ein Lebenstraum anfühlt, wäre schmerzhaft. Als Gewalt in London vor 300 begeisterten Leuten spielen, denkt Patrick Wagner: „Hier wollte ich immer hin!“ Und in New York brüllt jemand laut „Gewaaaalt“ über die Straße, als man sie erkennt. Es sind Wagner-Anekdoten aus einer überdrehten Wagner-Welt, die den Wert all der Bemühungen an Träume und Lebendigkeit koppeln.

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Als Gewalt eine Croud-Funding-Kampagne initiieren, um 10.000 Euro für zwei Konzerte in den USA zusammenzukriegen, und Demo-Aufnahmen ihres noch unveröffentlichten Albums als Belohnung versprechen, reagiert das Label verärgert. Es habe vorher nichts von diesem Angebot erfahren. Wagner erklärt den Streit so: „Wenn der Markt so eng wird, dass sich jeder fragt, ob das Geschäftsmodell noch Sinn macht, geht man erstmals aufeinander los, statt zusammenzuarbeiten.“

Für das Label war der Vorstoß der Künstler „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, wie Clouds-Hill-Gründer Johann Scheerer auf Nachfrage mitteilt. „Wir haben die Band unter Vertrag genommen, weil wir von ihrer extremen Haltung beeindruckt waren. Leider haben wir mit der Zeit feststellen müssen, dass sich diese vor allem in einer extremen Destruktivität in der Zusammenarbeit manifestiert. Leider hat uns Gewalt nach jahrelangen Hilfestellungen unsererseits einseitig und unabgesprochen die Geschäftsgrundlage entzogen, was wir sehr bedauern.“

Gefahr droht derweil von KI-Programmen, die das Netz als Blaupause benutzen, um automatisiert nachzubauen, was Generationen von Musikern zuvor erschaffen haben. Schon jetzt wird der Rückgang von Streaming-Vergütungen damit erklärt, dass Spotify im Prinzip keinen Unterschied zwischen generischer KI-Musik und Musik mit einem künstlerischen Wert macht. In die Abrechnungsmodelle fließe beides ein. Der Markt wird kannibalisiert von Songs, die gut „gepromptet“ wurden und allmählich jene verdrängen, von denen sie gelernt haben.

Einmal hat Wagner es ebenfalls mit Künstlicher Intelligenz versucht. Er habe ein gutes Gitarrenriff im Kopf gehabt, aber nicht genau gewusst, wie er die Akkordfolge auflösen sollte. Also fragte er ein KI-Programm. Als Antwort erhielt er: „Gewalt sollte sich nicht um solche Fragen kümmern.“

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