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Kultur: Die Blaublütlerin

Cool: Enki Bilals Science-Fiction-Film „Immortal“

Man sollte nicht alles nachbeten, was der gute alte Siegfried Kracauer in seinen filmtheoretischen Schriften formuliert hat. Der Mann konnte furchtbar dogmatisch sein. Aber seine Ansichten zum animierten Film haben im Zeitalter der Computeranimation an Gültigkeit gewonnen. Kracauer war nicht begeistert, als Walt Disney um 1940 begann, mit seinen Zeichentrickfilmen die fotografische Realität nachzuahmen. Der Film, argumentierte Kracauer, müsse seine eigene Realität entwickeln. Die jüngsten Entwicklungen in der Tricktechnik geben ihm Recht. Die am Computer erschaffenen Landschaften, Menschenmassen und Gesichter lassen merkwürdig kalt. Andererseits fehlt solchen Aufnahmen auch der Reiz bewusster Künstlichkeit.

Wie erholsam fürs Auge sind dagegen jene wenigen trickreichen Filme, bei denen man noch die Hand des Zeichners zu spüren glaubt. Wenn Enki Bilal, der 1951 in Belgrad geborene, später nach Paris übergesiedelte Comiczeichner fürs Kino inszeniert, konkurriert er nicht mit George Lucas oder Robert Zemeckis. Dazu hat er nicht das Geld, und es passt auch nicht in sein Konzept. Bei ihm sind Kulissen Kulissen und Masken Masken. Vorwürfe, seine Bilder seien nicht plastisch genug, gehen ins Leere. Bilal hat gar nicht die Absicht, sich visuell allzu weit vom Comic zu entfernen.

Für „Immortal“ hat er die ersten zwei Bände seiner ab 1981 veröffentlichten „Alexander Nikopol“-Trilogie verarbeitet. „Immortal“ spielt in einer Welt, die Megalopolis genannt wird, und in der es ähnlich zugeht wie in allerlei Klassikern von „Metropolis“ bis „Das fünfte Element“. Fahrzeuge fliegen zwischen Häuserschluchten durch und stoßen – unfassbar! – nie zusammen. So soll New York 2095 aussehen. In diese Welt steigt der Gott Horus herab, den ziemlich irdische Sorgen plagen. Er hat eine Dummheit begangen und soll in sieben Tagen seine Unsterblichkeit verlieren. Horus, ein steinerner Koloss mit dem Kopf eines Falken, möchte wenigstens einen Teil von sich retten. Wenn er eine Frau schwängert, lebt er in deren Kind weiter. Aber welche Frau gibt sich schon solch einem Monstrum hin?

Horus benötigt einen Wirtskörper. Den findet er in dem Widerstandskämpfer Nikopol (Thomas Kretschmann), der vor 30 Jahren von der totalitären Regierung kryogenisiert wurde, eine futuristische Form der Konservierung. Es entwickelt sich ein merkwürdiges Dreiecksverhältnis mit der schönen, blauhaarigen Halbmutantin Jill (Linda Hardy). Nikopol liebt Jill, aber Horus, der in ihm steckt, denkt nur an Sex. Jill wird außerdem von einem Pharmakonzern als Versuchsperson gebraucht. Und dann stehen in Megalopolis auch noch Wahlen vor der Tür.

Erzählt wird die abstruse, konfuse Geschichte umwerfend cool und zugleich schwermütig. Die schauspielerisch unerfahrene Linda Hardy, Miss France 1992, fügt sich perfekt in Bilals Universum. Man glaubt ihr das blaue Haar, das blaue Blut, die blauen Tränen. Charlotte Rampling, die zwar viel kann, aber nichts mehr beweisen muss, verlässt sich bei der Verkörperung einer Ärztin ebenfalls ganz auf ihre starke Präsenz. Einen schwächeren Eindruck hinterlässt der arg intensiv agierende Thomas Kretschmann als Nikopol: Ein Dressman hätte die Aufgabe besser erledigt. Leider fehlt auch der trockene Humor, der Bilals „Tykho Moon“ (1996) auszeichnete. Bilal hat sich auf nekrophile Romantik festgelegt. Das immerhin konsequent.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmkunst 66, UCI Kinowelt Friedrichshain

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