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Hallo, ist da wer? Sängerin Anna Prohaska im Zuschauerraum des Konzerthauses.

© Marco Borggreve

Die Bühnen und die neuen Coronaregeln: Wahl der Qual

Schachbrett-Prinzip oder 1,5-Meter-Abstand: Die Berliner Klassik-Szene reagiert ganz unterschiedlich auf die Lockerungen von Senator Lederer.

Jetzt haben sie die Wahl der Qual: Nach der Überarbeitung des Hygienerahmenkonzepts von Kultursenator Klaus Lederer ist es den Berliner Theatern, Opernhäusern und Konzertsälen freigestellt, ob sie weiterhin den Abstand von 1,5 Metern zwischen den Besucherinnen und Besuchern einhalten – und nur ein Viertel der Plätze belegen können, also auf einen Großteil ihrer Einnahmen verzichten.

Oder ob sie das so genannte Schachbrett-Prinzip einführen, bei dem jeweils nur ein Platz in alle Richtungen frei bleibt, weil das Publikum auch während der Aufführung Mund-Nasen- Schutz tragen muss – was die mögliche Auslastung auf bis zu 60 Prozent erhöht, aber auch das Risiko birgt, dass sich viele Menschen gar nicht erst Tickets kaufen, weil sie die Maskenpflicht abschreckt.

Die "Walküre" können jetzt 770 Wagnerianer sehen

Wie eine Umfrage des Tagesspiegels im Bereich der klassischen Musik zeigt, gehen die Berliner Institutionen ganz unterschiedlich mit den neuen Optionen um. Die Deutsche Oper wird zum 27. September auf das Schachbrett-Prinzip umstellen. Das ist der Tag, an dem Stefan Herheims „Walküre“-Neuinszenierung Premiere feiert. Die Zahl der nutzbaren Plätze erhöht sich von 450 auf 770.

Wagners Musikdrama hat eine reine Aufführungslänge von 210 Minuten, rechnet man zwei Pausen von 20 Minuten hinzu, müssen die Gäste über vier Stunden lang ihre Maske tragen. Wagnerianer gelten als iron men des Klassikbusiness, ihnen ist oft keine Strapaze zu groß, wenn die Werke des Bayreuther Meisters locken. Die Frage ist, wie sich weniger hart gesottene Opernfans verhalten werden.

Die Komische Oper bleibt bei den alten Regeln

An der Staatsoper ist Intendant Matthias Schulz noch in Besprechungen mit den Abteilungen des Hauses, geplant wird aber auch dort mit dem Schachbrett-Muster. Die Komische Oper dagegen hat sich entschieden, vorerst beim Sitzplan mit 1,5 Meter Abstand und ohne Mund-Nasen-Bedeckung während der Vorstellung zu bleiben. Was sicher auch daran liegt, dass Hausherr Barrie Kosky die gesamte Planung bis Ende des Jahres verworfen und durch ein coronakompatibles Programm ersetzt hat, das jetzt bereits vollständig im Vorverkauf ist.

Ähnliche Überlegungen treiben auch die Leitungsebene der Philharmonie um. Denn das Haus wird ja nicht nur von einem Orchester genutzt, sondern auch an diverse Player aus der Klassikszene vermietet. Die Berliner Philharmoniker selber haben bis Ende Oktober ihre Konzerte umgeplant und für diesen Zeitraum auch bereits ein großes Kartenkontingent nach den alten Abstandsvorgaben verkauft.

Im Konzerthaus wird zum 21.10. umgestellt

Daher überlegen sie nun, erst zum Novemberbeginn das Bestuhlungskonzept anzupassen. Beim Deutschen Symphonie-Orchester, das zu den Hauptmietern in der Philharmonie gehört, würde man eine frühere Umstellung begrüßen. Um wieder mehr Publikum erreichen zu können, möchte das Orchester so schnell wie möglich den Ein-Meter-Abstand bei durchgehender Maskenpflicht nutzen. Neutraler formuliert es das Rundfunk-Sinfonieorchester: „Da wir über keine eigene Spielstätte verfügen, sind wir auf die Anweisungen des Konzerthauses und der Philharmonie angewiesen“, heißt es aus der Pressestelle. Man sei aber „diesbezüglich im regen Austausch“. Auch das Konzerthaus behält bis Mitte Oktober die 1,5-Meter-Regel bei und wird erst für Veranstaltungen ab 21. Oktober auf den Schachbrett-Saalplan umstellen.

Querdenker im Boulez Saal

Einen Sonderweg geht der Pierre Boulez Saal. Dessen Intendant Ole Baekhoej geriert sich als Querdenker der Szene. Schon zum Saisonstart wollte er im Alleingang das Schachbrett-Prinzip einführen. Daran wurde er vom Bezirk gehindert. Während alle anderen Verantwortlichen Solidarität untereinander beschworen – Ulrich Khuon vom Deutschen Theater sagte im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses, man werden den schweren Weg gemeinsam gehen – scherte Baekhoej jetzt ein weiteres Mal aus und entschied eigenmächtig, dass in seinem Haus alle Zuhörerinnen und Zuhörer bei einem Abstand von einem Meter FFP2-Masken zu tragen haben.

Diese medizinischen Masken werden im Boulez Saals kostenlos zur Verfügung gestellt, wie Pressesprecher Martin Andris auf Nachfrage erklärte. Außerdem wird das Publikum online um eine Bewertung der Maßnahme gebeten. Ein erstes Stimmungsbild zeige, so Andris, dass 85 Prozent der Teilnehmer den Service als hilfreich empfanden. Nur etwa 10 Prozent gaben an, dass sie deswegen keine weiteren Konzerte besuchen wollten.

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