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Das Fridericianum in Kassel ist eine der Spielstätten der Documenta.

© IMAGO/ZUMA Wire/Enid Tsui

Die Documenta und der Antisemitismusskandal: Neue Fachberater distanzieren sich von Leitung

Die Documenta hat ein Team berufen, dass die Antisemitismusvorfälle auf der Schau in Kassel aufarbeiten soll. Die Wissenschaftler zeigen sich vorab skeptisch.

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Das neu eingesetzte Forscherteam zur Aufarbeitung der Antisemitismusvorfälle der Documenta hat sich von der Leitung der Ausstellung distanziert. Die Documenta-Leitung habe sich zuvor offen für eine Fachberatung gezeigt, scheine aber wesentliche Fragen des Umgangs mit antisemitischer Kunst festlegen zu wollen, heißt es in einer am Montag verbreiteten Erklärung der Wissenschaftler. Sie sollen die Documenta ab sofort begleiten.

Die Position der Leitung, dass weder weitere Kunstwerke aufgrund antisemitischer Inhalte entfernt werden müssten noch eine systematische Prüfung der Werke notwendig sei, widersprächen einem fachlichen und ergebnisoffenen Dialog. Das Gremium behält sich vor, eine eigene Position zu formulieren.

Jüdische Sicht laut Experten-Team zu wenig berücksichtigt

Nach Einschätzung der Experten sind die jüdische Sicht und die Wirkung auf die jüdische Gemeinschaft in den Stellungnahmen der Documenta kaum berücksichtigt. Das Gremium will jüdische Sichtweisen bei der Aufarbeitung einbinden. Die Wissenschaftler betonen, das Zeigen antisemitischer Werke werfe nicht nur die Frage nach Grenzen von Kunst- und Meinungsfreiheit auf, sondern betreffe viele Menschen ganz konkret.
Seit ihrer Eröffnung Mitte Juni wird die Documenta fifteen in Kassel von Antisemitismus-Vorwürfen überschattet. Um den Eklat aufzuarbeiten, soll die Schau in den kommenden Monaten von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fachwissenschaftlich begleitet werden.

„Ziel ist, auch in Zukunft der Documenta ihren weltweit einzigartigen Rang als Ausstellung für zeitgenössische Kunst in Kassel zu sichern“, teilten die Gesellschafter der Ausstellung, die Stadt Kassel und das Land Hessen, am Montag mit.

Verlorengegangenes Vertrauen soll wiedergewonnen werden

„Die wissenschaftliche Analyse der Kunstwerke auf der Documenta fifteen, mit Hinweisen auf mögliche antisemitische (Bild-)Sprache, soll noch während der laufenden Ausstellung geschehen“, kündigten die Gesellschafter an. Die Hauptarbeit der Experten werde über den Ausstellungszeitraum der Documenta fifteen hinausreichen, da auch vertiefende wissenschaftliche Studien initiiert werden könnten.

Angesichts der Vorfälle hatte der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), und seine Stellvertreterin, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), Mitte Juli verschiedene Maßnahmen zur Aufarbeitung beschlossen, darunter die Einsetzung einer fachwissenschaftlichen Begleitung.

Zu dem Gremium gehören laut Mitteilung nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „mit herausragender wissenschaftlicher Expertise in den Bereichen Antisemitismus, Perspektiven aus globalen Kontexten und Postkolonialismus, Kunst sowie Verfassungsrecht“.

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Sie sind demnach zuständig für die erste Bestandsaufnahme der Abläufe, Strukturen und Rezeptionen rund um die documenta und sollen Empfehlungen für die Aufarbeitung geben und erörtern, welche Aspekte einer vertieften wissenschaftlichen Analyse bedürfen. „Außerdem werden sie bei der Analyse möglicher weiterer antisemitischer Bildsprache und Sprache sowie bereits als antisemitisch identifizierten Werken beraten“, hieß es in der Mitteilung.

Die Beratungsergebnisse und Positionen sollen dem Aufsichtsrat und den Gesellschaftern vorgelegt werden. Diese würden sie der Documenta gGmbH und den Kuratorinnen und Kuratoren zur Verfügung stellen und dazu in einen Dialog eintreten. „Die künstlerische Freiheit ist gewahrt, die kuratorische Verantwortung ist und bleibt explizite Aufgabe der künstlerischen Leitung Ruangrupa“, erklärten die Gesellschafter.

„Wir erwarten, dass unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Kunstfreiheit Hinweisen auf mögliche antisemitische Bildsprache und Beförderung von israel-bezogenem Antisemitismus nachgegangen wird“, unterstrich Geselle. Die Rekonstruktion und Aufarbeitung der antisemitischen Vorfälle mit Unterstützung eines fachwissenschaftlichen Gremiums seien „essentiell“ und sollten auch das in den vergangenen Wochen verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen, sagte Dorn, die die Besetzung des Expertenrates gemeinsam mit der Kulturdezernentin der Stadt Kassel, Susanne Völker, vorgeschlagen hat.

Nicole Deitelhoff leitet das Experten-Team

Den Vorsitz des Gremiums übernimmt Nicole Deitelhoff, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und geschäftsführende Sprecherin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ).

Zum Team gehören zudem die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermannn, die Professorin für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences, Julia Bernstein, und die Psychologin und Verhaltenswissenschaftlerin Marina Chernivsky. Sie ist Leiterin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden und Geschäftsführerin der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt OFEK.
Wissenschaftlich begleiten werden die documenta auch der Geschichtsprofessor Peter Jelavich von der Johns-Hopkins-University in Baltimore (USA), der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität sowie der Historiker Facil Tesfaye, Juniorprofessor an der School of Modern Languages and Cultures der Universität Hongkong.

Neben den ausgewählten Wissenschaftlern können den Gesellschaftern zufolge zudem weitere Sachverständige hinzugezogen werden, darunter Meron Mendel. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank hatte sich zunächst nach dem ersten Fund antisemitischer Bildsprache als externer Berater der Documenta engagiert, sich wegen der schleppenden Aufarbeitung des Eklats später aber zurückgezogen. (KNA/dpa/epd)

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