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2012 erhielt Morrison die Friedensmedaille vom damaligen Präsidenten Barack Obama.

© AFP/Mandel Ngan

Nachruf auf Toni Morrison: Die Erzählerin des schwarzen Amerikas

Toni Morrison verstand es, Diskurse und Poesie miteinander zu verknüpfen. Als erste afroamerikanische Autorin erhielt sie den Literaturnobelpreis. Ein Nachruf.

Als Toni Morrison 1993 den Literaturnobelpreis verliehen bekam, als erste schwarze US-Autorin überhaupt in der Geschichte der Schwedischen Akademie, sprach sie in ihrer Nobelpreisrede davon, dass es womöglich der Sinn des Lebens sei, zu sterben. „Aber wir haben die Sprache. Und die ist womöglich das Maß unserer Leben“. Morrisons Rede handelte durchgehend von der Sprache und von den Positionen, von denen aus gesprochen wird - und sie handelte natürlich auch von ihr selbst, davon, dass die Sprache gerade auch das Maß ihres Lebens war.

Geboren als Chloe Ardelia Wofford 1931 in dem amerikanischen Industriestädtchen Lorain, Ohio, noch heute Heimat der US Steel Corporation, als zweites von vier Kindern eines afroamerikanischen Arbeiterehepaars, wuchs sie in einem vorwiegend von italienischen und polnischen Einwanderern bewohnten Viertel auf.

Als sie in die Schule kam, war sie nicht nur das einzige Kind mit schwarzer Hautfarbe - sie war auch das einzige Kind, das schon lesen und als erstes schreiben konnte. Früh hielt sie es auch für angebracht, ihren Geburtsnamen zu vereinfachen und in Toni zu verändern (abgeleitet von der Kurzform ihres katholischen Taufnamen Anthony) und ein Studium der Anglistik und Altphilologie an der Howard University in Washington DC zu beginnen. 1953 schloss sie den Master of Arts an der ungleich renommierteren Cornell University mit einer Arbeit über die Rolle der Entfremdung im Werk von Virginia Woolf und William Faulkner ab.

Morrison lehrte und arbeitete als Lektorin

Morrison nahm dann in den mittleren fünfziger Jahren an mehreren Universitäten Lehrtätigkeiten an. Zu der Zeit war sie weit davon entfernt, eine Karriere als Schriftstellerin einzuschlagen und zu einer der wichtigsten Stimmen der US-Gegenwartsliteratur zu werden, die Jahre nach dem Erhalt des Literaturnobelpreises in Interviews entschieden darauf bestehen würde, eine Frau ohne Nationalität zu sein, eine schwarze Frau, eine afroamerikanische Schriftstellerin - und die trotzdem nie an den Schreibtisch ging und sich vornahm: „Jetzt schreibst du für deine schwarzen Brüder und Schwestern.“

Toni Morrison heiratete, bekam zwei Kinder und nahm die Bürgerrechtsbewegung der fünfziger und sechziger Jahre aus einer Außenseiterinnenposition wahr - nach der Scheidung von ihrem Mann schlug sie sich in New York als Lektorin bei Random House durch, wurde bald Cheflektorin und sorgte dafür, dass in ihrem Verlag unter anderem Bücher der Bürgerrechtlerin Angela Davis, von Muhammed Ali und Toni Cade Bambara erschienen.

Rassismus wurde zu einem ihrer Hauptthemen

Sie selbst debütierte erst im Alter von 39 Jahren mit dem Roman „Blaue Augen“. Darin erzählt sie die Geschichte eines schwarzen Mädchens, das von seiner Mutter verachtet und seinem Vater missbraucht wird und sich nichts mehr wünscht als ausgerechnet blaue Augen zu haben.

In der Folge wird der verinnerlichte Rassismus und seine komplex-verzweigte Psychologie zu einem von Morrisons beiden literarischen Hauptthemen. So auch in dem Roman „Sula“, der Familiensaga „Solomons Lied“, mit dem sie ihren internationalen Durchbruch schaffte, oder „Teerbaby“, der 1981 veröffentlicht wurde und von zwei komischen Typen handelt, die auf einer karibischen Insel das sowieso schon fragile Miteinander zwischen der weißen und der schwarzen Bevölkerung völlig durcheinander bringen.

Toni Morrison 2003 in New York. Die Schriftstellerin wurde 88 Jahre alt.
Toni Morrison 2003 in New York. Die Schriftstellerin wurde 88 Jahre alt.

© REUTERS/Stephen Chernin

Noch in ihrem letzten Buch „Die Herkunft der Anderen“, einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Essayband, analysiert sie, wie „kulturelle, körperliche oder rassische Merkmale“ zur Abgrenzung und dann hierarchisierend oder wertend verwendet werden - und wie sie selbst erfahren hat, „was einen wertloser, weil anders macht“. Sie erzählt darin, wie ihre Urgroßmutter, eine „teerschwarze Frau“, entsetzt darüber gewesen sei, dass sie und ihre Schwester von etwas hellerer Hautfarbe waren, als „verpfuscht“ empfand die Urgroßmutter die beiden Mädchen gar.

Es ist diese Ambivalenz, die Morrison in ihren Büchern immer wieder reflektiert hat, wie Fremdheit und Anderssein gleichermaßen konstruiert und behauptet werden. Das leitet sie in „Die Herkunft der anderen“ historisch aus der Sklaverei ab: „Die Notwendigkeit, die Sklaven zu einer fremden Art zu erklären, scheint ein verzweifelter Versuch zu sein, sich seiner eigenen Normalität zu versichern“, so Morrison in einem der Essays, die auf einer Vorlesungsreihe mit dem Titel „Literatur der Zugehörigkeit“ basieren. Die hatte sie 2016 in der Harvard University gehalten, zu einer Zeit als Barack Obama noch US-Präsident war und jemand wie Donald Trump als Obamas Nachfolger undenkbar erschien.

"Freiheit und gebändigtes Chaos" seien das Wichtigste

Die Sklaverei ist dann auch das große andere Thema in Morrisons Werk. Mit deren Historie hat die Schriftstellerin sich in Büchern wie „Menschenkind“ über die Sklavin Sethe, die ihre eigene Tochter umbringt, in „Paradies“, einem Roman über eine abgelegene Schwarzensiedlung im kalifornischen Oklahoma, oder zuletzt in „Gnade“ intensiv auseinandergesetzt, immer vor dem Hintergrund, wie Sklaverei und Rassismus sich gegenseitig bedingen, wie erstere letzteren hervorgebracht hat.

Die literarische Leistung Morrisons besteht darin, dass sie mit ihren überwiegend weiblichen Heldinnen nicht allein eine engagierte Literatur geschrieben hat, sondern sie es verstand, Diskurse und Poesie miteinander zu verknüpfen. 

Morrison war eine sprachmächtige Autorin, die gleichermaßen die Moderne mit dem mündlichen Erzählen verband, die Walt Whitman und Faulkner genauso zu ihren Vorbildern zählte wie Allan Ginsberg.  Eine Mischung aus „Freiheit und gebändigtem Chaos“ sei ihr beim Schreiben immer das Wichtigste gewesen, so Morrison. Das war ihr künstlerisches Credo - wohlwissend, dass Analyse und Engagement nicht weniger wichtig sind, dass das mit dem Rassismus erst ein Ende hat, wenn weiße Polizisten von hinten auf weiße Jugendliche schießen würden, wie sie das einmal provokativ formuliert hat. Am Montagabend ist Toni Morrison in einem Krankenhaus in New York City im Alter von 88 Jahren gestorben.

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