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Auferstanden. Ran Jia wollte ihre Karriere bereits aufgeben, weil ihre linke Hand permanent schmerzte. Sie fand Hilfe.

© Uwe Arens

Pianistin Ran Jia spielt in Berlin: Die Herausforderin

Für ihr großes Idol Franz Schubert riskiert die 27-jährige chinesische Pianistin Ran Jia alles. Wenn es sein muss, sogar ein Interpreten-Duell mit Daniel Barenboim – wie jetzt in Berlin.

Als Ran Jia der Mann ihres Lebens begegnet, ist sie 13 Jahre alt. Gesehen hat sie ihn damals nicht, nur gehört. Sein Name: Franz Schubert. Als die in Shanghai aufgewachsene Teenagerin erstmals die Noten seiner großen A-Dur-Sonate durchspielt, spürt sie sofort, dass dies eine Musik ist, mit der sie alt werden will.

Ihr Berufswunsch Profipianistin steht zu dem Zeitpunkt bereits länger fest. Auch wenn ihr Vater, der Komponist Jia Daqun, darüber gar nicht froh ist. Anders als Zehntausende anderer chinesischer Eltern will er seine Tochter nicht zu einem Tasten-Wunderkind trimmen. Sondern ihr durch den Klavierunterricht ein Gefühl für die westliche Musik vermitteln. Es kommt noch dicker für die Eltern: Zwei Jahre nach dem schubertschen Erweckungserlebnis bekommt Ran Jia die Autobiografie von Lang Lang in die Hände, in der es auch ausführlich um seine Ausbildung am berühmten Curtis Institute of Music in Philadelphia geht – und beschließt, genau dort ebenso zu studieren.

Heimlich bei Lang Lang beworben

„Nicht bevor du 18 bist“, ist die Reaktion der Erziehungsberechtigten. Also nimmt sie heimlich ein paar Stücke auf, schickt die CD an Lang Langs Lehrer Gary Graffman und bekommt vier Wochen später eine Einladung in die USA. Die sie, mangels Englischkenntnissen, natürlich nicht entziffern kann. Der herbeigerufene Vater ist zuerst sprachlos – und gibt dann doch seine Zustimmung.

Und so kommt die 15-Jährige nach Philadelphia. Und wagt, sieben Jahre später, mit dem Diplom in der Tasche, einen weiteren culture clash: Sie zieht nach Deutschland. Weil Ran Jia der Welt von Franz Schubert näherkommen will. Schon 2008 hatte sie sich beim Klavierfestival Ruhr vorstellen dürfen, es folgen Einladungen zu den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern und nach Dresden. Dort erklärt sie im Jahr 2011 selbstbewusst: „Mein Traum ist es, Schuberts Sonaten aufzunehmen und im Konzert zu spielen.“

Dann aber passiert das Schreckliche: Jedes Mal beim Üben beginnt Ran Jias linke Hand zu schmerzen. Die Familie ist alarmiert. Doch die Ärzte, die sie konsultiert, können keine Ursache dafür finden. Sie muss bereits fest gebuchte Auftritte absagen, gerät in einen Strudel der Verzweiflung, wacht nachts mit Panikattacken auf. Nach zwei Jahren, sie ist kurz davor, die Pianistinnenkarriere ganz aufzugeben, bekommt sie von einem Bekannten die Adresse eines auf Musikerkrankheiten spezialisierten Mediziners. Der ihr nach der Untersuchung sagt: „Ihnen fehlt nichts, Sie müssen einfach nur wieder mehr üben!“ Dann würde sich die psychisch bedingte Verkrampfung der Handmuskeln schon wieder lösen.

Verständnis für Verzweiflung

Und er hat tatsächlich recht. „Seitdem“, sagt Ran Jia, „spiele ich Schubert ganz anders. Weil ich seine seelische Verzweiflung jetzt viel besser nachvollziehen kann.“ Darum wagt die 27-Jährige jetzt auch das Abenteuer, von heute an sämtliche Sonaten des Komponisten an vier Abenden im Kammermusiksaal der Philharmonie aufzuführen. Ohne einen großen Sponsor im Rücken, auf volles privates Risiko, was die Mietkosten betrifft. „Andere Leute kaufen sich ein Auto oder ein Haus“, reagiert sie auf die Frage, ob ihr Vorhaben nicht reichlich tollkühn sei. „Ich erfülle mir meinen Traum“, lautet ihre Entgegnung. „Darin kann ich keine Verschwendung sehen.“

Dass ausgerechnet Daniel Barenboim im März ebenfalls einen Schubert-Rundumschlag plant, und zwar in seinem neuen Pierre-Boulez-Saal, wusste Ran Jia vorab nicht. Einen Tag vor ihrem letzten Konzert startet der Musikchef der Staatsoper seinen Klaviersonaten-Zyklus. Eine mächtigere Konkurrenz lässt sich für eine junge Interpretin, die in Berlin noch kaum jemand kennt, nicht denken.

Ob sie diese Tatsache nervös macht, lässt sich Ran Jia beim Interview nicht anmerken. Im Gegenteil, sie betont sogar, dass sie es spannend fände, sich eines von Barenboims Konzerten anzuhören. Andererseits braucht sich die Chinesin nicht zu verstecken. Wer ihre gerade frisch beim Label Sony erschienene Schubert-CD hört, erlebt eine Interpretin, die ihrem Vornamen alle Ehre macht.

Ran bedeutet auf Chinesisch „Natur“. Sie ist niemand, der auf harsche Kontraste setzt oder auf Ruppigkeit, interpretatorische Egotrips liegen ihr fern. Während Daniel Barenboim als Pianist durchaus dazu tendiert, die gespielten Werke mit seiner eigenen, fraglos faszinierenden Persönlichkeit zu überwölben, strebt Ran Jia danach, sich so weit wie möglich in den Komponisten hineinzudenken, seinen ursprünglichen Gedanken und Gefühlen nachzuspüren.

Hineindenken in den Meister

Wo es der Notentext erfordert, kann sie durchaus auch mal hinlangen, scharf akzentuieren. Doch in erster Linie ist ihr Spiel durch eine mühelose Leichtigkeit geprägt, sensibel und fein austariert, ohne dabei je verzärtelt zu wirken. Ran Jia ist eine Erzählerin, der man gerne zuhört, weil sie die Grammatik von Schuberts Sprache wirklich durchdrungen hat, weil sie harmonische Abweichungen vom Erwartbaren als atmosphärische Schwankungen spürbar machen kann. So entsteht auf dem modernen Konzertflügel ein authentisches Klangbild, das den Hörer in die Schubert-Zeit zurückzuversetzen vermag.

Ran Jia spielt an diesem Freitag sowie am 9., 16. und 29. März im Kammermusiksaal, jeweils um 20 Uhr. Daniel Barenboims Schubert-Zyklus findet vom 18. bis 31. März im Boulez-Saal statt.

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