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Kultur: Die Hunde, der Dieb und der Tod

Mein Europa (3): Die schöne Utopie von der erweiterten EU-Gemeinsamkeit ab 1. Mai reizt auch zu Wehmut und Witz. Denn der Osten ist wilder, als es der Westen träumt. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk erzählt eine Gangsterballade von den neuen EU-Bürgern, von Deutschen, Russen und den Spuren der Vergangenheit

Sie nahmen einen ordentlichen schweren Wagen und fuhren mitten ins Schaufenster rein.

Sie nahmen Gold, Silber und Brillanten und kehrten in ihre halbwilden Städte im Osten zurück. „Schaut nur, schaut nur! Sie sind zurück!“ So riefen die Mädchen, die auf sie warteten, auf Parfüms, auf schillernde Kleider und die Ledersitze in den gestohlenen Autos.

Erst danach bemerkten die Kettenhunde sie, die Hunde, die die halbwilden Städte im Osten bewachen.

Hier ließen sie ihre Wagen offen mitten auf dem Platz stehen, mitten auf der Straße, und gingen zu den Mädchen nach Hause, hinein in das schwarze nächtliche Nichts.

Am anderen Morgen aber bekamen sie Angst. Sie verdrückten sich heimlich und gingen zu ihren Autos zurück, um die Straßen der Städte des Ostens auf und ab zu kurven. Wie früher die Nomaden: ständig in Bewegung, immer herdenweise, Witterung aufnehmend.

Arme Schlucker, hungrig nach Sachen, denn Eigentum war immer das der anderen, nie das eigene. Sie machen sich einen Spaß daraus, Benzin zu verjuckeln. Sie drehen feige, enge Kreise, um einander nicht aus den Augen zu verlieren. Das Fernsehprogramm der ganzen Welt imitieren sie dort, in ihren östlichen Städten mit Häusern, die wie alte Zelte sind.

Sie bringen Brillanten aus dem Westen mit, denn etwas anderes gibt es dort nicht.

Sie bringen Autos mit, denn das ist alles, was der Osten vom Westen braucht.

Die Autos verbringen ihre letzten Tage im mongolischen Wüstensand.

Mercedes ist glücklich, weil es die Produktion steigern muss.

Audi ist auch glücklich, und BMW auch, denn der Sohn des moldawischen Zigeunerkönigs fährt das Modell X5.

Am glücklichsten aber ist Mercedes, denn die Wracks seiner Autos bedecken wie Schuppen den schönen Leib Albaniens.

Sie stahlen einen ordentlich schweren Wagen und fuhren mitten ins Schaufenster rein. Sie nahmen Silber und Gold mit und kehrten in ihre verschlafenen Städte im Osten zurück.

Eines Tages lehnte sich der Besitzer aus dem Fenster und erschoss einen von ihnen.

Sie konnte es nicht glauben. Von den Sachen, Brillanten und Autos, gab es doch so viel, sie sahen wie weggeworfen aus, wie herrenloses Gut, überflüssig, niemandem von Nutzen, beinahe Gemeingut.

Später in der Dunkelheit, aneinander gedrängt, lauschten sie auf ihren eigenen Atem und flüsterten:

Mensch, er hat geschossen...

Mensch, er hat es geschafft zu töten...

Das vergisst man nicht...

Was wird jetzt aus uns...

Wo sollen wir hin...

Woher nehmen wir die Brillanten...

Und woher jetzt die Autos...

Wir fahren zu den Russen...

Die haben keine Autos...

Sie haben welche, aber nur wenige, und sie passen drauf auf...

Ein Russe legt dich sofort um...

Ein Russe ja, aber der...

Wenn du ein Russe wärst, hätte er dich nicht angerührt...

Die haben Angst vor den Russen...

Wie vor nichts auf der Welt...

Das vergisst man nicht...

Sie würden ihnen alle Autos geben...

Sie freuen sich noch, wenn sie einen geklauten Daimler in Moskau sehen...

Hoho hoho, vom Russen geklaut, sagen sie dann...

So flüstern sie in der Dunkelheit, wenn sie schon weit weg sind. Sie lauschen auf die Hunde in ihren Städten und trösten sich mit der Angst der anderen. Die Mädchen warten in den finsteren Hauseingängen, sie aber gehen vorüber und sagen: „Geht schlafen, ihr Flittchen. Heute werden wir allein trinken, auf den Tod des Getöteten.“

Dann suchen sie das dunkelste Haus aus und legen die schmutzigste Tischdecke auf, denn sie wollen echte Trauer spüren. Sie lassen ihre Autos mit laufendem Motor stehen, sollen sie draußen warten wie die Hunde, soll das Benzin verbraucht werden, denn auch die Maschinen sollen Trauer tragen.

Sie trinken Wodka und spülen mit Bier nach. Sie trinken warmen Wodka und spülen mit lauem Bier nach. Sie zerbeißen Glas und verschlucken es. Das verstehen sie unter Trauer, denn der Tod ist für sie einfach nicht zu glauben.

Wir haben nicht gewusst, daß man dort sterben kann...

Niemand hat uns das gesagt...

Man konnte nicht sehen, dass dort gestorben wird...

Auch der Tod war nicht zu sehen...

Nur das gute Leben...

Schon an der Grenze ging es los...

Sogar die Alten sahen lebhaft aus...

Rosig sahen sie aus...

Ruhig sahen sie aus...

Manche auch fett...

Alle ganz lebendig...

Gestorben wurde nur bei uns...

Damals heulten die Hunde...

Dort sind die Hunde still...

Die Brillanten können erst mal ruhig liegen bleiben. Die Autohalter brauchen nicht hinter der Gardine zu stehen. Die Besitzer sollen ausruhen.

In dieser Nacht wird nichts passieren. Soll das ganze Land schlafen. Es droht ihm nichts, denn sie beweinen den Tod, an den sie nicht glauben können. Der Tod ist kein Meister der Diebe.

Nie werden sie ihn zu Gesicht bekommen, denn er kehrt im verlöteten Sarg heim in ihre Stadt. Sie werden das Ohr daranlegen, werden horchen, werden daran schnüffeln und auf den silbernen Sargdeckel klopfen.

Guck mal, wie glatt...

Wie poliert...

Nichts zu riechen. ..

Als wäre da nichts...

Als wäre gar nichts passiert...

Kein Gestank...

Alles wie vorher...

Glänzt wie ein neuer Daimler...

Nicht wie ein Daimler, sondern wie Hundeklöten glänzt er...

Nein, wie ein Aluminium-Audi...

Schönes Begräbnis...

Ob sie ihn da wohl nackt reingelegt haben..

Und heil? Ob sie ihn danach wieder zugenäht haben...

Wonach...

Nachdem sie ihn aufgeschnitten haben, um zu prüfen...

Ob er normal ist, weil er geklaut hat...

Bestimmt haben sie ihn nach dem Aufschneiden wieder zugenäht...

Die Russen hätten ihn so gelassen...

Die hätten ihn überhaupt nicht aufgeschnitten, der Russe wundert sich über nichts...

Er kehrt also als Held zurück. So hermetisch verschlossen, dass nicht einmal die Hunde den Tod wittern. Sie wittern nur die stinkende Angst der Lebenden, den Geruch von kaltem Schweiß, und sie werden heulen, denn wenn der Mensch Angst hat, hat der Hund zweimal so viel Angst und kriecht seinem Herrn zu Füßen. Leer kommt er zurück, also auch ohne Angst. Alles haben sie ihm rausgenommen und vielleicht nicht zurückgelegt. Er ist aus dem Osten, da haben sie es vielleicht gelassen. Die aus dem Osten glauben noch immer an Wahrsagungen, die aus den Eingeweiden gelesen werden. Also haben sie es bestimmt nicht zurückgelegt, um keine Wahrsagungen zu fördern oder um sie gar nicht erst deuten zu lassen. Als Held kehrt er zurück. Als Heiliger. Stinken tut er nicht. Die Nutten bleiben arbeitslos, solange sie dort am silbernen Aludeckel des Sarges trinken wie an einem Tisch.

Statt der Nutten kommen die Mütter und Großmütter, denn die haben vor nichts Angst. Nicht mal vor dem Tod haben sie richtig Angst, denn sie sind aus dem Osten.

Sie hätten nicht dorthin fahren sollen...

Wohin denn sonst...

Hier sollen sie fahren! Trautes Heim, Gott allein...

Sie fahren und kommen gleich zurück, weil das Benzin alle ist...

Stimmt, dort geht es ihnen nie aus...

Nie haben sie gesagt, dass es dort ausgegangen wäre...

Dort haben sie immer welches. Aber sobald sie hierher kommen, ist es gleich alle...

Und sie kommen und betteln die Alte an, weil sie nichts zum Fahren haben...

Ich gebe nichts...

Weil du dumm bist! Da bleiben sie hier und werden im Kreise fahren! Und immer wieder betteln!

Tjaaa, das ist schlimmer für einen Kerl als der Tod...

Jesus, wenn sie zu den Russen fahren würden...

Wenn sie so zu den Russen gefahren wären wie zu denen, wäre keiner zurückgekommen...

Ich erinnere mich noch an die Russen...

Mein Gott, wie gestern...

Sie kamen und wollten ein Huhn...

Ja, wir wollten es rupfen...

Aber sie warfen es mit den Federn in den Topf...

Ach ja! Wir mussten ihnen erklären, dass man es erst tötet...

Hühner kannten sie nicht...

Doch, aber sie hatten es eilig, wollten in den Krieg...

Ja, ich erinnere mich. Sie trugen vier Armbanduhren an jeder Hand...

Wegen der Eile...

Jeder hatte acht...

Die Federn schwammen oben...

Ich wollte Salz dazugeben, aber sie wollten nicht...

Sie sagten, sie hätten keine Zeit, sie müssten schnell nach Westen...

Ach, das sind die guten alten Zeiten, keine Erinnerung ist so wie diese. Und die Zeit zerfällt in ein Davor und ein Danach. Wer sich erinnert, ist weise. Am weisesten sind die Frauen in schwarzen Kleidern und schwarzen Kopftüchern. Sie haben ihre Männer überlebt, sie haben ohne sie gelebt, und es war nicht furchtbar. Eine Frau, die sieht, wie ihr Mann oder Sohn verscharrt wird, wird selbst ein bisschen Mann. Die Zeit ändert nicht viel daran. Eine Frau, die ein Huhn töten kann, braucht weniger Mann und fürchtet den Tod weniger. Nicht ausgeschlossen, dass sie schwarze Kleider tragen, damit die Spuren des Hühnerbluts nicht zu sehen sind.

Und wisst ihr noch, diese anderen...

Ich weiß noch, wie gestern...

Polierte Stiefelschäfte...

Manschetten...

Bügelfalten...

Die Drogerie...

Sie haben gegrüßt...

Sie nahmen Pfeffer...

Ich weiß noch, einer von ihnen...

Ich weiß auch...!

Und ich...!

Ihre Hunde wollten nichts fressen. ..

Als hätten sie keinen Hunger gehabt...

Hunde sind immer hungrig...

Dann haben sie vielleicht so getan...

Hunde tun nie nur so...

Vielleicht haben sie ihnen das beigebracht...

Damals hatte ich Angst, weil ich einem Hund was hingeworfen hatte, und er nahm es nicht...

Als wäre er krank gewesen...

War er aber nicht, einem Hund sieht man das sofort an...

Ja, sie hatten keine kranken Hunde...

Die Russen hatten kranke. ..

Und die haben sie gegessen...

Daran kann ich mich nicht erinnern...

Sie hören den Müttern zu, so wie sie ihre Milch getrunken haben. Die Erinnerung ist ihnen mit der Nahrung in Fleisch und Blut übergegangen. Alles was war, ist den Müttern ins Blut gegangen und lebt jetzt in ihren Leibern wie die älteste Legende.

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