
© Esther Haase
Die Klassik-Konzerte der Woche in Berlin: „Tastenlöwin“ Buniatishvili und Altmeister Jordi Savall
Von Barock über Ravels „Boléro“ bis zu Neuer Musik. Hier unsere Tipps der Woche.
- Tobias Schwartz
- Frank Weiss
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Die Berliner Klassik-Szene zeigt sich einmal mehr in seiner ganzen Bandbreite. Mit Jordi Savall gibt ein 84-jähriger Barock-Experte sein Debüt bei den Philharmonikern. Star-Pianistin Khatia Buniatishvili spielt Chopin und Liszt. Und Sopranistin Mojca Erdmann widmet ihren Liederabend der tragischen Hamlet-Figur Ophelia.
Mit der Komponistin Anna Clyne und dem Ensemble KNM ist aber auch Neue Musik zu erleben. Und was Heiner Müller und Janáčeks Streichquartette miteinander zu tun haben, zeigt die legendäre Musiktheater-Gruppe Nico and the Navigators in ihrem neuen Projekt im Radialsystem.
1 Das DSO mit Dalia Stasevska & Jess Gillam

© Victoria Stevens
Mit zunehmendem Alter werde ihr die Melodie immer wichtiger, sagte einmal die vielfach ausgezeichnete Komponistin Anna Clyne, deren Werke weltweit von führenden Musikern und Orchestern aufgeführt und vom Publikum frenetisch gefeiert werden, die hierzulande aber nach wie vor als Geheimtipp gehandelt wird.
Für die gebürtige Londonerin muss nicht immer alles dissonant klingen, sie schätzt Harmonien und die lange Entwicklung von Themen, die bei ihr mit einer intensiven Schichtung von Klängen einhergeht. Das steht in keinerlei Widerspruch zur absoluten Modernität ihrer Werke – die allerdings in keine Schublade passen –, sie bricht lediglich mit in der europäischen Neue-Musik-Szene lange Zeit gehegten Dogmen. Gleiches gilt für die Rhythmik, eines ihrer „Markenzeichen“.
Die finnische Dirigentin Dalia Stasevska und das Deutsche Symphonie-Orchester haben Clynes „Glasslands“ für Sopransaxofon und Orchester aufs Konzertprogramm gesetzt – den Solopart übernimmt die britische Saxophonistin Jess Gillam. Das Stück beschwört die keltische Sagenwelt herauf. Maurice Ravels „Boléro“ bildet dazu in seiner repetitiven, vermeintlich simplen Form einen gewissen Kontrast, fügt sich aber als Auseinandersetzung mit einer Tanzgattung nahtlos in den Kontext.
Auch William L. Dawsons legendäre, 1934 in der New Yorker Carnegie Hall uraufgeführte, als „Verkündung“ begrüßte „Negro Folk Symphony“ – der an sich diskriminierende Titel stammt vom Schwarzen Komponisten selbst und wird üblicherweise aus Respekt beibehalten – birgt Parallelen.
2 Klavierabend mit Khatia Buniatishvili

© Gavin Evans/Sony Classical
Für einige ist Khatia Buniatishvili (Foto) eine „Tastenlöwin“, für andere gar die „Beyoncé des Klaviers“. Wie sinnvoll solche Zuschreibungen sind, mag jeder für sich beurteilen. Klar ist, die georgische Pianistin gehört zu den Stars der Branche. Ihre Fans begeistert sie mit Leidenschaft und Extremen. Da ist ihr verwegenes Tempo, aber auch das zarte und ausgedehnt langsame Spiel.
Zuletzt hat die 38-Jährige ein Mozart-Album (Sony Classical) aufgenommen. Bei ihrem Recital in der Philharmonie präsentiert sie einen Querschnitt ihrer Aufnahmen, mit Fokus auf Chopin. Sie startet mit seiner Klaviersonate Nr. 2 b-Moll, die mit dem berühmten Trauermarsch beginnt. Buniatishvili endet mit Chopins Weggefährten Franz Liszt. Sie spielt seinen sich wild steigernden Mephisto-Walzer Nr. 1. Dazwischen neben weiteren Werken von Chopin: Bach, Tschaikowsky und Mozart.
3 Die Berliner Philharmoniker unter Jordi Savall

© Pouyfourcat, Hervé
Man ist nie zu alt für ein erstes Mal. Mit 84 Jahren gibt der katalanische Dirigent Jordi Savall sein Debüt bei den Philharmonikern. Auf dem Programm steht mit einer von ihm zusammengestellten Suite aus Rameaus Oper „Naïs“ und Glucks Ballettmusik „Don Juan“ natürlich Musik des Barock. Schließlich gilt er als der Experte für „Alte Musik“. Er forschte, gründete drei Ensembles und machte die Gambe populär. Den Abschluss bildet Mozarts letztes und größtes sinfonisches Werk, die strahlende „Jupiter“-Sinfonie.
Savall ist in dieser Saison noch mit weiteren Ensembles in der Philharmonie zu erleben. Am 11. Januar 2026 mit der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker und am 16. März 2026 mit der Capella Nacional de Catalunya.
4 Nico and the Navigators

© Piet Truhlar
Heiner Müller siedelt die Handlung um Liebe, Macht und Intrigen des Briefroman-Klassikers „Gefährliche Liebschaften“ in seiner Bearbeitung „Quartett“ in einem Salon der Französischen Revolution und in einem Bunker nach dem dritten Weltkrieg an.
Das Ensemble Nico and the Navigators verknüpft in ihrer Inszenierung „Quartett zum Quadrat“ den Text mit Janáčeks Streichquartetten „Kreutzer-Sonate“ und „Intime Briefe“, die dieser spät in seinem Leben schrieb. Seine Ehe war zerrüttet, und er hatte sich in eine jüngere Frau verliebt. Neben den Darstellern Annedore Kleist und Martin Clausen steht das Tanzduo Yui Kawaguchi und Martin Buczko auf der Bühne. Es spielt das Kuss Quartett.
5 Liederabend „Ophelia Sings“

© Felix Broede
Vor 30 Jahren lag Kylie Minogue im Teich und schmachtete mit Nick Cave „Where the Wild Roses Grow“. Zuletzt brachte Taylor Swift einen Song mit dem Titel „The Fate of Ophelia“ heraus. Das tragische Schicksal der Geliebten Hamlets, die, zerrieben von den Intrigen der Männer, den Verstand verliert und am Ende tot im Bach liegt, beschäftigt Künstler seit Jahrhunderten.
Die Sopranistin Mojca Erdmann und Pianist Malcolm Martineau widmen Ophelia einen Liederabend. Der Fokus liegt dabei auf den Liederzyklen von Wolfgang Rihm und Richard Strauß. Rihm, mit dem Erdmann lange zusammenarbeitete, vertonte Ophelias Lieder 2012 auf Englisch. Dabei verwendet er auch gesprochene Passagen, die der Pianist vorträgt.
Strauß nutzte die gleiche Textvorlage und betont in seinen Liedern plastisch den Wahnsinn, mit einer teils dissonanten, ziellosen Harmonik und abrupten Ausbrüchen. Kombiniert werden die Zyklen mit thematisch verwandten Liedern von Mozart, Schubert, Schumann und Reimann.
6 Crippled Symmetries

© Peer Kugler
Wann immer die Dinge auf der Erde halbwegs rundzulaufen scheinen, ist es ein kleines Wunder. Morton Feldman musste für diese Erkenntnis noch nicht einmal das große Ganze ins Auge nehmen. Ihm genügte der Blick in die symmetrischen Muster handgeknüpfter Teppiche, die bei genauem Hinsehen alles andere als symmetrisch sind.
Die Unmöglichkeit von Synchronizität darin inspirierte ihn 1983 zum 75-minütigen „Crippled Symmetry“. Zum 100. Geburtstag Feldmans feiert nun das KNM Berlin mit einer internationalen Konzertreihe, Titel „Crippled Symmetries“, das Ungenaue und Fehlerhafte, mit Auftakt in der Villa Elisabeth.
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