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Kultur: Die Mecklenburg- Connection

Es beginnt mit einem Telegramm, das Uwe Johnson am 30. März 1971 an Walter Kempowski aufgibt, nachdem er begeistert Kempowskis gerade erschienenen zweiten Roman „Tadellöser & Wolff“ gelesen hatte: „Was heißt Ocki-Arbeit und was ist Iben in Beziehung zu Kluge?

Es beginnt mit einem Telegramm, das Uwe Johnson am 30. März 1971 an Walter Kempowski aufgibt, nachdem er begeistert Kempowskis gerade erschienenen zweiten Roman „Tadellöser & Wolff“ gelesen hatte: „Was heißt Ocki-Arbeit und was ist Iben in Beziehung zu Kluge?“ Johnson schickt am selben Tag einen Brief hinterher, in dem er seine Frage erläutert, ästhetisch-literarische Ähnlichkeiten benennt („Erinnerung als eine Hauptfunktion des Erzählens“) und filigran-verschraubt gesteht, „dass ich an Ihrem Versuch gerade schätze, was andere als ,nicht literarisch‘ abtun möchten: die Vorführung eines tatsächlichen Lebens, bei der die Entstellung durch ästhetische oder gar moralische Sinnprogramme vermieden ist“. Kempowski antwortet, erst telefonisch, dann brieflich, erklärt, was „Ocki“ ist (eine Handarbeit) und was „Iben“ (Kempowski-Wortkreation für erschöpft), und freut sich über die Anerkennung, gerade „wenn man die dürftigen Kritiken mit dem vergleicht, was man in die Bücher hineintat“. Trotzdem bleibt er reserviert, denn „ich habe immer etwas ,Schiß‘ vor ihnen. Sie haben so etwas Strenges an sich, das mir zwar vertraut ist, aber mir den Mund verschließt“.

Wenn heute Abend Otto Sander und Peter Fitz die Rollen von Kempowski und dem 1984 verstorbenen Johnson übernehmen und in der Akademie der Künste aus dem Briefwechsel der beiden Schriftsteller vorlesen (Pariser Platz, 20 Uhr), wird man erkennen, dass sich da zwei nicht gesucht, aber doch gefunden hatten: Beide stammten aus Mecklenburg, beide siedelten in den späten fünfziger Jahren in den Westen über, und beide verstanden sich als Außenseiter im resolutions- und appellsüchtigen Literaturbetrieb der sechziger Jahre.

Es entspann sich ein vorsichtig-sympathisierender Briefwechsel mit knapp 60 Schriftstücken („Kaum beweisbare Ähnlichkeiten“, Transit-Verlag), am intensivsten geführt von 1971 bis 1973 und 1979 bis 1983. Problematisch war die Beziehung durchaus, etwa als Johnson 1972 Kempowskis Roman „Uns geht’s ja noch gold“ lektorierte oder er den Schriftverkehr ganz einschlafen ließ, als er sich in einer schweren Schreib- und Lebenskrise befand und mit dem vierten Band der „Jahrestage“ nicht vorankam. Schließlich aber sandte er aus seiner Einsamkeit im britischen Sherness-On-Sea einige der schönsten, anrührendsten Briefe, die es überhaupt von ihm gibt, an Kempowski.

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