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Die Schriftstellerin Doris Knecht, 2017 auf der Frankfurter Buchmesse.

© Manfred Segener/imago

„Die Nachricht“ von Doris Knecht: Wenn der Stalker im Internet lauert

Doris Knecht erzählt in „Die Nachricht“ die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter, die Opfer eines Cyberstalkers wird – und eine unerwartete Verbündete findet.

Erst Trauer, dann Wut: Ruths Mann starb bei einem Unfall, und kurz nach seinem Tod erfuhr sie, dass Ludwig eine Geliebte hatte. Die Erzählerin in Doris Knechts neuem Roman „Die Nachricht“ leidet noch drei Jahre nach diesem doppelten Unglück darunter, dass sie sich mit Ludwig nie aussprechen konnte. Einen mentalen Trennungsstrich vermag sie nicht zu ziehen. Immer wieder sucht sie rückblickend nach den entscheidenden Krisenmomenten, zumal sie auch selbst sich von Ludwig trennen wollte. Doch die fragile Patchworkfamilie, mit jeweils einem Kind aus früheren Beziehungen, wollte Ruth nicht aufgeben. Sie blieb bei ihrem Mann, der sich längst in eine andere Frau verliebt hatte.

Nun ist Ruth alleinerziehende und berufstätige Mutter. Sie hat nicht nur eine verwirrende Vergangenheit, sondern auch einen herausfordernden Alltag zu bewältigen, als sie eines Tages von anonymen Nachrichten über einen Messenger-Dienst belästigt wird. Zunächst nimmt sie diese Nachrichten nicht ernst. Aber dann werden die kurzen Texte „beleidigender, hasserfüllter, drohender“. Statt zur Polizei zu gehen versucht sie den Stalker zu ignorieren, was ihr aber zunehmend schwerer fällt. Denn die Nachrichten, die ständig von neuen Adressen abgeschickt werden, enthalten inzwischen erstaunlich intime Informationen.

Es gehört zur literarischen Kunst der österreichischen Schriftstellerin, aus einer zunächst einmal überschaubaren Problemlage eine Geschichte zu entwickeln, die einen erstaunlichen Sog entwickelt. Im Laufe ihrer schriftstellerischen Arbeit hat Knecht einen Stil zur Vollendung gebracht, der die Atemlosigkeit und Zerbrechlichkeit ihrer Figuren offenlegt: Hypnotische Langsätze und Kurzsatzprosa in schnoddriger Mündlichkeit wechseln sich ab. Auffällig ist dabei die erzählerische Fürsorge, mit der sich die Autorin auch Nebencharakteren widmet, die sich gleichwohl auf den Hauptstrang der Erzählung beziehen. Ruths krebskranker, grundehrlicher Jugendfreund Wolf etwa weigert sich, eine lebensrettende Therapie zu beginnen und möchte sich nicht von Ruth bemuttern lassen. Die Erzählerin muss lernen, dass auch sie, die unter Hassnachrichten leidet, zu gleichwohl gutgemeinten Übergriffen neigt.

[Doris Knecht: Die Nachricht. Roman. Hanser Berlin, Berlin 2021. 256 Seiten, 22 €]

Knechts traurige Heldinnen und Helden sind keine Kopfgeburten, sondern im besten Sinne authentisch. In der Regel sind sie doppelbödig angelegt, wie etwa der Kinderpsychologe Simon Brunner, in den sich Ruth schon bald nach einer zufälligen Begegnung verliebt. Nicht nur der Sex mit ihm ist aufregend, der Mann hilft ihr sogar, mit den Messenger-Nachrichten umzugehen. Doch etwas unheimlich ist der erfolgsverwöhnte Typ auch, weiß er offenbar zu gut, wann er welche rhetorischen Marker setzen muss, um an seine nicht nur erotischen Ziele zu gelangen. Außerdem beginnt er ein mieses Spiel von Nähe und Distanz. Mal ist er da, dann verschwindet er wieder, was Ruth – diese eigentlich sehr selbstbewusste Drehbuchautorin – erneut verstört. Schon wieder scheint sie sich in einer Beziehung zu verheddern, in der Kommunikation ein Mittel der Gewalt ist, selbst wenn es zunächst nicht so aussehen mag.

Ruth findet Trost bei der Gespielin

Erst im Laufe der Zeit begreift Ruth, dass Simon immer wieder Grenzen überschreitet, er gar die Angriffe aus dem Internet instrumentalisiert: „Die Nachrichten waren eine Art Bindemittel zwischen uns, sie verschafften uns einen Grund, in Kontakt zu bleiben, uns wieder zu verabreden.“ Simon sagt aber auch gern mal ein Abendessen kurzfristig ab, und zwar mit Begründungen, die immer „fadenscheiniger klangen, je öfter es passierte.“

Vielleicht wäre Ruth vorsichtiger, wenn sie sich nicht mit der Frage quälte, ob sie Ludwigs ehemalige Geliebte Valerie kontaktieren solle. Wenn jemand einen Grund hat, anonyme Nachrichten zu schreiben, dann die ehemalige Konkurrentin! Die elektronische Briefpost, die beide Frauen austauschen, ist an Trostlosigkeit kaum zu überbieten und gehört gleichwohl zu den Höhepunkten des Romans. Statt Valerie mit juristischen Schritten zu drohen oder selbst mal verbal um sich zu schlagen, hat Ruth mit der Frau sogar Mitleid. Um so erschreckender, als sich herausstellt, dass Valerie nicht hinter den digitalen Attacken stecken kann.

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„Die Nachricht“ handelt keineswegs nur von Cyber-Stalking. Doris Knecht betrachtet sehr grundsätzlich toxische Sprache, die sich in anonymen Botschaften genauso wie durch nonverbale Kommunikation in Paarbeziehungen äußert. Gerade die Sprachlosigkeit in Ruths Ehe führte wohl auch dazu, dass ihr Mann sich einer Geliebten zuwandte. Auch dass die betrogene Protagonistin Drehbücher schreibt, ist kein Zufall. Die bittere Pointe ihrer Geschichte besteht nämlich darin, dass gerade sie, die sich Konfliktlinien für Fernsehfilme ausdenkt, es besser hätte wissen können. Nur scheinen in Momenten der emotionalen Schwäche die nötige Schutzmechanismen gegenüber manipulativer Macht nur schwach ausgeprägt zu sein.

Immerhin wird Ruth den Täter durch ein winziges Dialektdetail überführen, was für das angeknackste Selbstbewusstsein der sensiblen Spracharbeiterin wichtig ist. „Die Nachricht“ lässt sich als relevantes Themenbuch oder veritabler Thriller mit deprimierendem Ende lesen. Interessant wird die Geschichte aber durch die tieferen Erzählschichten, die es jenseits des Plots und hinter dem augenscheinlichen Gefühlswirrwarr der Ich-Erzählerin zu entdecken gilt.

Carsten Otte

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