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Kultur: Die Ruinenbaumeister

Florian Borchmeyers Doku „Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen“

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Da ist Totico, Klempner und Aufzugmonteur des maroden Riesenwohnkomplexes namens „Arbos“: Seine ganze Freizeit verbringt er als Taubenzüchter auf dem Dach, ein friedfertiger „Ghost Dog“ von Havanna – und träumt, im nächsten Leben selber eine Taube zu sein. Da ist Misleydis, eine Frau flirrenden Alters: Seit der Scheidung von einem Millionär lebt sie in der abbruchreifen Suiten- Etage des Regina-Hotels, nicht viel mehr als ein Bett hat sie und ein Kissen, das ihren Kopf vor abstürzendem Putz schützt – und neuerdings erfindet sie sich Heile-Welt-Geschichten in ein Heftchen. Und da ist der obdachlose Reinaldo, der in einem Nebengelass des vor Jahren eingestürzten Theaters „Campoamor“ nistet – und manchmal geht er durch das, was mal Parkett war, und klatscht Enrico Caruso Beifall . . .

Resignativ und ziemlich romantisch tönen die Ruinenbewohner, die Florian Borchmeyer in seinem Dokumentarfilm „Die neue Kunst, Ruinen zu bauen“ versammelt und die nun, stets druckreif und meist im Off sowie zu Verfallsbildern von geradezu schmerzhafter Poesie, ihre weltentrückten Philosopheme formulieren. Auch der selbsternannte Ruinologe Antonio José Ponte, der mit sensibel gerecktem Kopf durch die Altstadt Havannas wandert und vermutet, dass Thomas Mann seinen „Tod in Venedig“ heute zweifellos in die kubanische Metropole verlegen würde, passt zunächst in jenes Psycho-Raster von Eigenbrötlern, die offenbar als Protagonisten eines atmosphärischen Negativs von „Buena Vista Social Club“ funktionieren: nicht arm, aber sexy und grenzenlos musikalisch, sondern arm und extrem melancholisch – und dann doch, wie in Wenders’ Doku-Hit, unendlich verfallen dem Verfall.

Man muss Antonio José Ponte schon länger zuhören, um die kühle Diagnose des Films ganz zu begreifen: Havanna ist ein planmäßig heruntergewirtschafter Steinhaufen, dessen Bewohner zwangsläufig ihr Leben ruinieren. Die größte Ruine aber ist Fidel Castro selbst, und der Ruinenbaumeister in Personalunion. Ponte – ein renommierter Essayist, den sie in der Heimat mundtot und mürbe zu machen suchen – hat auch das Buch geschrieben, das dem Film seinen eigentümlichen Titel gibt. Seine satirische Kernthese: Castro hält das Volk mit der drohenden US-Invasion bei der Stange. Wenn aber Havanna heute schon aussieht wie nach einer Invasion, lohnt die dann überhaupt noch? So gesehen, hätte die Ideologie ganze Arbeit geleistet.

Das alles bündelt sich bald zur ebenso scharfsinnigen wie vielstimmig instrumentierten Analyse. Wenn nur die Bilder nicht wären. Immer wieder zärtlich und langsam gleitet der Blick (Kamera: Tanja Trentmann) an den Fassaden herab, schweift über die Stadt, berauscht sich an der morbiden Poesie spätklassizistischer Fensterrahmenruinen vor traumblauem Tropenhimmel. Die Hotelhöhlenbewohnerin Misleydis schließlich ist es, die das süßeste Gift der Resignation verabreichen darf: „Was hält mich hier?“, fragt sie sich. Um sich selber, mit effektvollen Pausen, die Antwort zu geben. „Die schönen Erinnerungen. Ein bisschen auch, dass ich nicht weiß, wohin sonst. Ein bisschen, dass ich nicht wirklich wegwill. Ja, dass es mir gefällt.“

In den Berliner Kinos Babylon Kreuzberg, Central (OmU), Neue Kant Kinos

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