zum Hauptinhalt

Kultur: Die schöne Masse

Der Fotokünstler Andreas Gursky präsentiert sich im Münchner Haus der Kunst als radikaler Ästhet

Nachdem sich Andreas Gursky zuletzt in deutschen Museen rar gemacht hatte, kehrt er jetzt mit Wucht zurück. Von 1987 bis in die Gegenwart reicht der Parcours durch sein Werk im Münchner Haus der Kunst. Allein 18 der 46 Bilder stammen aus den Jahren 2006 und 2007. Dabei wird vor allem eines deutlich: Gursky hat seine radikal ästhetisierende Position noch verstärkt. In den Werken aus Nordkorea, von der Kuwaiter Börse oder den Formel-1-Rennstrecken dieser Welt hat er seinen Bildern noch stärker jegliches kritisches Potenzial ausgetrieben. Hier behauptet einer das Recht des Künstlers auf nichts als – Kunst.

Dabei würden Gurskys Sujets durchaus politischen Sprengstoff bergen: Massentierhaltung im japanischen „Fukuyama“, Massenabfertigung von Gütern im Hafen von „Salerno“, Massenunterhaltung auf dem Konzert der „Toten Hosen“, Massentourismus in „Rimini“, Massenproduktion in den Hallen von „Siemens, Karlsruhe“ – die Masse macht’s. Oder aber die Leere: Die Cheops-Pyramiden, die Grand-Prix-Strecke von Bahrain, eine Seilbahn in den Dolomiten – und kein Mensch zu sehen. Ein marxistisch geneigter Fotograf würde auf diese Weise Ausbeutung und Entfremdung anprangern, ein humanistischer Künstler gegen das Verschwinden des Individuums wettern. Dies gilt noch mehr für die Bilder, die aus Nordkorea stammen: Bei den Arirang-Festspielen in Pjöngjang verschwinden Zehntausende von Menschen im arrangierten Kollektiv des Staates: Der Einzelne löst sich auf im bunten Ornament der Masse. Siegfried Kracauer hätte aufgeschrieen. Gursky dagegen gewinnt der Standardisierung der Warenwelt, der Vermassung unseres Alltags und nun auch der kommunistischen Propaganda ihre schönsten Seiten ab.

Gurskys Blickwinkel mag fast ausnahmslos aus einer distanziert-erhobenen Perspektive sein – herablassend wirkt seine Einstellung nie. Seine Bilder sind das Gegenteil von Kulturkritik. Als wollte der 52-Jährige sagen: Wir leben verdammt noch mal in dieser Welt – warum sollen wir sie nicht mit einem ästhetischem Auge betrachten, warum nicht die globalisierte Welt zum Muster stilisieren? Deshalb stinken bei ihm selbst Müllberge und riesige Rinderfarmen nicht zum Himmel. Daher dürfen Fabrikationshallen farbig funkeln und die billigen Waren der 99-Cent-Läden im bunten Panorama leuchten. Deswegen werden auch Großveranstaltungen nicht als Aufmarsch des Pöbels denunziert.

Gerade das Fehlen jeglicher politischer Rechthaberei macht Gurskys Bilder so populär. Auf jüngsten Auktionen lagen sie bei über zwei Millionen Dollar. Für einen Moment schieben seine Werke den alltäglichen Bilderabfall beiseite und führen die Perfektion gestochen scharfer Bilderwelten vor. Mit seinen Aufnahmen von Boxenstopps der Formel 1 oder Bergetappen der Tour de France hat der Düsseldorfer Fotokünstler darüber hinaus diesen zu Tode gefilmten Medienereignissen neues Leben eingehaucht: indem er Mechaniker und Rennwagen in ein Caravaggio-Licht taucht. Gursky hilft dabei künstlich nach. Er schönt die Welt, indem er seine digitalisierten Abbilder am Computer idealisiert – was länger als die Dreharbeiten zu einem Film dauern kann.

Für die Ausstellung wurden Gurskys imposante Bilder noch einmal auf bis zu zehn Quadratmeter vergrößert. Durch die großzügige Hängung in den hohen Sälen kann der Betrachter den Blick über die Spannweite von fünf Metern wandern lassen und sich den Bildern aus der Tiefe des Raumes nähern. Bei Gerhard Richter gibt es Stadtansichten, die aus der Ferne wie hyperrealistische Fotografien wirken und beim Herantreten zu Klecksen zerfließen. Bei Gursky verläuft die Wahrnehmungsverschiebung genau umgekehrt: Aus der Ferne sehen seine Bilder aus wie gegenstandslose Farbspielereien. Ein Wohnhaus am Pariser Montparnasse erinnert zunächst an Mondrian; ein vermeintliches Farbfeld-Gemälde entpuppt sich als Abbildung des Rheins; eine Schutthalde in Mexiko wirkt von fern wie De-Kooning-Malerei.

Die kunstgeschichtlichen Bezüge sind gewollt. Gursky selbst liefert den Verweis auf das Caravaggio-Zitat in den Boxenstopp-Bildern, auf Böcklins „Toteninsel“ im überwältigenden Foto aus dem Inneren des Neutrino-Detektors „Kamiokande“. Denn Gursky, der radikale Ästhet, will weg von den politischen Deutungen seiner Bilder. Dafür nimmt er sogar in Kauf, mit der Stilisierung kommunistischer Massen zu provozieren.

Haus der Kunst, München, bis 13. Mai. Katalog (Snoeck Verlag) 68 Euro.

Julian Hanich

Zur Startseite